In den Fluren des Roma Convention Centre herrschte an diesem 10. Juli eine gespannte Ernsthaftigkeit. Die Gespräche waren höflich, das Setting vertraut, aber der Ton – er war anders. Es war der Klang einer zivilisierten Dringlichkeit, getragen von einem Mann, der nicht nur bittet, sondern fordert: Wolodymyr Selenskyj, Präsident eines geschundenen Landes, trat vor die Delegierten der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz und ließ keinen Zweifel daran, was er von Europa erwartet. „Nicht nur die Erträge“, sagte er, „sondern die eingefrorenen russischen Vermögen selbst – sie müssen zur Rettung von Leben eingesetzt werden.“ Und dann fügte er einen Satz hinzu, der das ganze Dilemma offenlegt: „Nur Freunde sind eingeladen, Teil des Wiederaufbaus zu sein.“ Was Selenskyj an diesem Tag in Rom formulierte, war mehr als ein diplomatischer Appell – es war ein Weckruf, eine Anklage und ein strategisches Angebot zugleich. Während russische Raketen in der Nacht erneut auf Kiew niedergingen, Schulen zerstörten und Rauchschwaden über den Morgen legten, redete der ukrainische Präsident Klartext: Dies sei kein Krieg mehr nur um Territorien, sondern ein Krieg um die Zukunft Europas – ein Angriff auf die Idee zivilisierter Koexistenz.
„Das ist reiner Terrorismus“, sagte Selenskyj mit Blick auf die nächtlichen Angriffe. „Putin will, dass unsere Menschen leiden, dass sie fliehen, dass das Leben selbst ausgelöscht wird – nicht nur an der Front, sondern überall.“ Es war eine Rede, die bewusst keine diplomatische Balance suchte. Stattdessen machte sie unmissverständlich klar, dass es an Europa liegt, inmitten dieses Krieges nicht nur Beistand zu leisten, sondern Verantwortung zu übernehmen – auch mit dem Geld, das in europäischen Tresoren liegt. Rund 460 Milliarden Euro an russischen Vermögenswerten sind derzeit im Ausland eingefroren, ein Großteil davon in der EU. Kiew will, dass diese Mittel nicht länger nur symbolisch gehalten oder zur Absicherung von Krediten verwendet werden – sondern aktiv in den Wiederaufbau fließen. Der ukrainische Premier Denys Schmyhal, per Video zugeschaltet, nannte eine Zahl: Über 850 Milliarden Euro werde der Wiederaufbau kosten, über 14 Jahre hinweg. Und er präsentierte einen klaren Plan: Zwei Fonds, einer staatlich, gespeist durch beschlagnahmte russische Gelder, und ein zweiter, privat finanziert – mit fast 400 Milliarden Euro über Investoren.
Doch genau hier beginnt das politische Ringen. Deutschlands Kanzler Friedrich Merz machte in Rom zwar deutlich, dass Russland „für den angerichteten Schaden aufkommen muss“. 500 Milliarden Euro Sachschäden stünden im Raum. Aber er ließ offen, ob – und wann – diese Vermögenswerte wirklich zur Finanzierung des Wiederaufbaus herangezogen werden. Bisher würden sie nur zur Absicherung von Krediten dienen, eine direkte Verwendung sei nur „gegebenenfalls im Zusammenhang mit einem entsprechenden Abkommen“ denkbar. Sprich: nach einem Waffenstillstand. Es ist diese vorsichtige Semantik, die Selenskyj zum Widerstand reizt. Denn für ihn ist der Wiederaufbau nicht nur eine Frage der Zukunft, sondern der Gegenwart. „Jeder Angriff auf uns“, sagte er, „sollte mit Investitionen beantwortet werden – nicht mit Abwarten.“ Europa müsse erkennen, dass die Wiederherstellung ukrainischer Infrastruktur auch eine Chance sei: für europäische Firmen, Technologien, Jobs. Wer jetzt investiere, baue nicht nur ein Land wieder auf, sondern auch eigene Kapazitäten aus. Selenskyj formulierte seine Erwartung in nie dagewesener Deutlichkeit: „Nur Freunde sind eingeladen, Teil des Wiederaufbaus zu sein – nicht jene, die Russland helfen, diesen Krieg fortzusetzen.“ Der Satz war ebenso wirtschaftspolitisches Signal wie geopolitischer Test. Europa muss sich entscheiden: Will es in der Ukraine nur helfen, oder will es gestalten?
Die Konferenz, an der über 60 Staaten, Unternehmen und Organisationen teilnahmen, war auch ein Ort der Konkurrenz. Frankreich und Großbritannien trieben parallel ihre Pläne für eine europäische Friedenstruppe voran. Präsident Macron erklärte, die Truppe sei „einsatzbereit“, sobald ein Waffenstillstand unterschrieben sei. Doch die Realität lässt wenig Hoffnung auf baldigen Frieden. Russland greift Nacht für Nacht mit ballistischen Raketen an. Die USA liefern zögerlich Patriot-Systeme, Deutschland möchte nun ebenfalls solche Systeme erwerben – bei Donald Trump, mit dem Merz zuletzt telefonierte. Doch wie viele Systeme tatsächlich kommen, bleibt offen. Die industrielle Produktion – etwa bei Lockheed Martin – läuft unter Volllast, aber die Nachfrage übersteigt das Angebot. Trotz allem bemühte sich Selenskyj darum, ein Bild von Fortschritt zu zeichnen: „Kein anderes Land hat so schnell von sowjetischen Jets auf F-16 und Mirages umgestellt“, sagte er – eine Erfolgsmeldung, die verdeutlichen soll: Die Ukraine ist bereit. Jetzt brauche sie nur noch den Rückhalt. Doch das dramatischste Thema sprach er zuletzt an: die verschleppten Kinder. „Wir müssen jeden möglichen Weg gehen, um unsere Kinder zurückzubringen“, sagte er. Und meinte damit: zurück aus den Lagern, den Heimen, den Umerziehungsprogrammen auf russischem Boden – zurück nach Hause. Vielleicht wird man diesen Juli 2025 eines Tages als Wendepunkt betrachten. Nicht weil an diesem Tag Frieden geschlossen wurde – davon ist man weiter entfernt denn je. Aber vielleicht, weil in Rom eine neue Sprache entstand: Die Sprache eines angegriffenen Landes, das nicht mehr nur bittet, sondern Bedingungen stellt. Ein Land, das Europa sagt: Ihr habt es in der Hand – mit jedem Euro, mit jeder Rakete, mit jeder Entscheidung. Und mit jedem Tag, an dem ihr zögert, wächst die Zerstörung. Selenskyj hat seine Karten auf den Tisch gelegt. Jetzt ist Europa am Zug.
Unterdessen traf sich der amerikanische Außenminister Rubio Lawrow. Es war ein flüchtiger Moment der diplomatischen Öffnung – und doch eine der bemerkenswertesten Aussagen aus den Reihen der US-Regierung seit Beginn der großangelegten Invasion. Nach einem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow am Rande des ASEAN-Gipfels in Kuala Lumpur erklärte US-Außenminister Marco Rubio am Donnerstag, es gebe „neue und andere Ideen“ im Hinblick auf mögliche Friedensgespräche zur Ukraine. „Ich denke, es ist ein neuer und ein anderer Ansatz“, sagte Rubio in knappen Worten vor der Presse. Es sei allerdings kein Konzept, das einen Frieden garantiere, „aber etwas, das ich dem Präsidenten mit nach Washington bringen werde“. Details nannte Rubio nicht – zu brüchig scheint das diplomatische Terrain, auf dem er sich bewegt. Die Begegnung mit Lawrow fällt in eine Phase zunehmender Unzufriedenheit im Weißen Haus. Präsident Donald Trump sei „enttäuscht und frustriert“ über die mangelnde Beweglichkeit der russischen Seite, so Rubio. „Wir hoffen, dass sich das ändern kann – und wir werden weiterhin dort aktiv bleiben, wo wir Chancen sehen, einen Unterschied zu machen.“ Ob aus den vagen Signalen konkrete Schritte entstehen, bleibt offen. „Doch Rubios Worte deuten an, dass sich hinter den Kulissen mehr bewegt, als öffentlich sichtbar ist – ein stilles Ringen um Deutungshoheit, Einfluss und die Möglichkeit, dem Krieg eine neue Richtung zu geben. Doch ob es tatsächlich Substanz hat, darf stark bezweifelt werden. Fazit des Tages: Im Westen nichts Neues.“
Was man aber sagen kann, es geht hinter den Kulissen nicht um einen fahren Frieden für die Ukraine.
Es ist zynisch und menschenverachtend in Zeiten der stärksten russischen Angriffe von Wiederaufbauhilfen und Friedenstruppen zu sprechen.
Sehr guter Artikel und kein rumgeseihere
Selenskji ist einfach genial….
Europa sollte nicht auf diesen verrückten Clown mit seinem Marionettenkabinett hören, sondern selbstbewusst stark helfen!!! Scheiß gerade auf Amiand, in 3,5 Jahren sieht man dann weiter!
Europa eiert rum. USA beziehen keine verlässliche Linie.Putin greift an und schickt den Müttern gefallener Söhne Sarggeld. Ich vermisse einen Michael Gorbatschow