Ein Viertelprozent ist klein auf dem Papier und groß in der Politik. Die Federal Reserve hat den Leitzins um 25 Basispunkte gesenkt – neue Spanne 4,00 bis 4,25 %, der erste Schnitt seit Dezember. Zugleich signalisiert sie zwei weitere Schritte noch in diesem Jahr. Nicht als Versprechen, sondern als Pfad: Bis Dezember könnte das Band bei 3,50 bis 3,75 % liegen. Diese Bewegung ist mehr als Routine – sie ist die Antwort auf eine Wirtschaft mit 2,9 % Inflation im August (Auftrieb durch Trumps Zölle) und einem Arbeitsmarkt, der plötzlich fragiler wirkt, als es die 4,3 % Arbeitslosenquote vermuten lässt.

Powell nennt das „eine herausfordernde Situation“ und spricht offen vom „no risk-free path“: Normalerweise gilt – schwache Jobs, niedrige Inflation; starke Jobs, höhere Inflation. Jetzt droht das Doppelte: Preisdruck bleibt, während die Neuschaffung von Jobs fast stoppt (29.000 im Dreimonatsschnitt bis August, im Mai waren es noch etwa 130.000). Folgerichtig hat das FOMC seine Diagnose angepasst: Die „Abwärtsrisiken für die Beschäftigung sind gestiegen.“ Gleichzeitig hält es fest, dass die Kerninflation (ohne Energie/Lebensmittel) bis Jahresende bei 3,1 % gesehen wird, 2026 bei 2,6 %, und erst 2028 sei die 2 %-Marke wieder erreicht. Der neutrale Zins bleibt in den Projektionen bei 3 % verankert, das Wachstum für 2025 bei 1,6 %, die Arbeitslosigkeit perspektivisch bei 4,5 %. Wer die Sitzung für technokratisch hält, verkennt die politische Schwere. Donald Trump drängt seit Wochen auf massive Lockerung – „drei volle Prozentpunkte“. Kurz vor Sitzungsstart wird Stephen Miran vereidigt, frisch vom Senat bestätigt, offiziell nur „beurlaubt“ aus seiner Rolle als CEA-Chef. Und prompt stimmt Miran für den halben Prozentpunkt – der härteste Dissens am Tisch. Im Dot Plot tauchen die Extreme auf: ein „soft dissent“, der keine Senkung in 2025 wollte (bei 4,25–4,50 % bleiben), und am anderen Ende eine Projektionsspur Richtung 2,75–3,00 % bis Jahresende – mutmaßlich Mirans Linie. Das ist keine akademische Differenz, das ist Machtpolitik im Maschinenraum der Geldordnung.

Parallel läuft der beispiellose Versuch, Fed-Gouverneurin Lisa Cook zu entlassen – der erste in 112 Jahren. Ein Berufungsgericht stoppt den Schritt 2:1 vorläufig, das Weiße Haus will zum Supreme Court. Finanzminister Bessent ruft nach einer „unabhängigen Überprüfung“ der Fed, Powell verweigert den Kommentar und wiederholt stattdessen sein Mantra: „Everything we do is in service to our public mission“, „meeting by meeting“, „tief in unserer Kultur ist es, nur auf Daten zu schauen und nie auf politische Ergebnisse.“ In Zeiten, in denen Zölle Preise verzerren und die Exekutive an der Unabhängigkeit sägt, wird selbst diese Nüchternheit zur Institutionenverteidigung.

An den Märkten zeigt sich die neue Erzählung sofort – nicht im Knall, sondern im Gefälle. Der Dow steigt um rund 0,6 % (etwa +290 Punkte), Small Caps im Russell 2000 gewinnen rund 1 %, weil billigeres Geld ihre Bilanzrisiken senkt. Die Nasdaq fällt um rund 0,9 %: Nvidia −3,2 %, Broadcom −4,7 % – ein Reality-Check für teure KI-Storys im Umfeld nur langsam sinkender Zinsen. Der S&P 500 tritt mit −0,3 % auf der Stelle, während die 10-jährige Treasury auf 3,99 % rutscht – ein leiser Vertrauensbeweis in Powells Pfad. Einzelnamen malen die Mikrogeschichte: Lyft +11,9 % (Robotaxi-Story), Workday +6,9 % (Aktivisten-Einstieg), RCI Hospitality −8,7 % (AG-Klage). StubHub preist sein IPO bei 23,50 Dollar und pendelt.
Die globale Perspektive setzt die Kontraste: Die EZB bleibt unverändert; die BoE hält voraussichtlich fest – bei britischen 3,8 % Inflation gibt es keinen Spielraum nach unten. Japans Exporte in die USA fallen im August um −13,8 % im Jahresvergleich – die Tarife wirken nicht nur in US-Regalen, sondern in asiatischen Fabriken. In dieser Welt bleibt der Dollar die Schwerkraft: Jeder Fed-Schritt verschiebt Kapitalflüsse, bilanziert Schwellenländer in Dollar neu und lenkt Rohstoffpreise. Die Fed schneidet – und die Welt rechnet neu. Bleibt die Kernfrage: Ist das genug – ökonomisch und institutionell? Powell sagt selbst, 25 bp allein „machen keinen großen Unterschied“, entscheidend sei der Pfad. Genau darum geht es: nicht um den Heldenmut des einzelnen Schnitts, sondern um die Glaubwürdigkeit, unter politischem Druck kurszuhalten. Trump will billiges Geld, um die Kosten seiner Zoll-Inflation zu übertünchen – und er setzt die Fed dafür unter offenen Druck. Die Antwort der Notenbank lautet: kleine Dosen, harte Nerven, Daten vor Dogma.
Für Haushalte heißt das: Hypotheken reagieren graduell (vieles ist eingepreist), Autokredite bleiben zäh, Kreditkarten mit etwa 20 % schmerzen weiter; Sparer müssen mit sinkenden 4 %-plus-Renditen bei Hochzinskonten und CDs rechnen. Für Unternehmen: Refinanzierungen werden schrittweise leichter, aber kein „all clear“. Für die Demokratie: Entscheidend ist, ob die Fed auch dann noch die Hand ruhig hält, wenn der Druck weiter steigt. Dieser Viertelpunkt ist kein Feuerwerk. Er ist ein Test – ob Amerikas Geldpolitik den Spagat zwischen 2,9 % Inflation und weichem Arbeitsmarkt schafft, ohne vor der Politik einzuknicken. Heute zählt weniger, wie tief die Zinsen bis Dezember fallen. Es zählt, ob die letzte Senkung noch als eigene Entscheidung erkennbar ist.
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Auch die Fed wird sich beugen.
Bis Ende des Jahres.
Das zeichnet sich leider ab.
Ich hoffe, dass Lisa Cook gewinnt.
… schauen wir was der supreme sagen wird