Mit jedem neuen Gerichtsdokument verliert das Heimatschutzministerium mehr und mehr moralischer Bodenhaftung. Gestern erreichte am späten Nachmittag das nächste Dokument einer Regierung, die Unrecht zu Recht verwandeln möchte. Die US-Regierung plant, Kilmar Abrego Garcia nach Liberia abzuschieben – möglicherweise schon am 31. Oktober. Da ist man sprachlos. Ein Land, zu dem er keinerlei Beziehung hat, das er nie betreten hat und in dem ihn niemand erwartet. Der Versuch, ihn aus den Vereinigten Staaten zu entfernen, wirkt inzwischen wie eine politische Racheaktion – eine kalt kalkulierte Machtdemonstration einer Regierung, die nicht Recht, sondern Vergeltung sucht. Doch wir alle halten dagegen.
Abrego Garcia, geboren in El Salvador, wurde im März 2025 fälschlicherweise in sein Herkunftsland deportiert – ein schwerer Verfahrensfehler, den der Oberste Gerichtshof später als rechtswidrig bewertete. Im Juni ordnete das Gericht seine Rückführung an, und die Regierung musste ihn zurückholen. Seither steht er unter Dauerbeobachtung, ein Mann zwischen Staaten, ein Mensch ohne Land. Da er nicht erneut nach El Salvador abgeschoben werden darf, hat die Einwanderungsbehörde ICE begonnen, ihn wie eine Ware über den Globus zu verschieben – zuerst nach Uganda, dann Eswatini, dann Ghana. Alle Versuche scheiterten. Nun also Liberia.
In der jüngsten Stellungnahme des Heimatschutzministeriums heißt es, Liberia sei „eine florierende Demokratie und einer der engsten Partner der Vereinigten Staaten auf dem afrikanischen Kontinent“. Das klingt wie aus einem PR-Leitfaden entnommen, als wollte man die moralische Schieflage mit schönen Worten übermalen. Tatsächlich kämpft Liberia bis heute mit den Folgen jahrzehntelanger Bürgerkriege, mit Korruption, Vetternwirtschaft, einer schwachen Justiz und einer zerrütteten Infrastruktur. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze, politische Loyalitäten folgen oft ethnischen oder klientelistischen Mustern statt Überzeugungen. Medienfreiheit existiert zwar, doch Journalistinnen und Journalisten arbeiten unter prekären Bedingungen und ständiger Bedrohung. Der Staatsapparat ist von internationalen Gebern abhängig – und Reformen versanden, sobald die Aufmerksamkeit der Welt nachlässt. Dass ausgerechnet dorthin ein Mann abgeschoben werden soll, der nie in Afrika war, zeigt, wie sehr die moralische Kompassnadel des Heimatschutzministeriums inzwischen frei schwingt.
„Costa Rica ist bereit, ihn als Flüchtling aufzunehmen – eine rechtlich zulässige und humane Option. Dennoch hat sich die Regierung für einen Weg entschieden, der größtmögliches Leid verursacht“, sagt sein Anwalt Simon Sandoval-Moshenberg. „Dieses Vorgehen ist strafend, grausam und verfassungswidrig.“ Worte, die kaum deutlicher sein könnten – und doch im juristischen Rauschen verhallen. Abrego Garcia hat eine amerikanische Ehefrau, ein Kind und ein Leben in Maryland. Als Jugendlicher kam er ohne gültige Papiere in die USA, arbeitete, baute sich etwas auf. 2019 erkannte ein Einwanderungsrichter seine Angst vor Gewalt in El Salvador als „begründet“ an und gewährte Schutz. Die Familie dachte, sie könne endlich aufatmen. Doch seit seiner irrtümlichen Abschiebung und der erzwungenen Rückkehr ist der Mann zu einer Projektionsfläche geworden – für eine Politik, die Stärke mit Härte verwechselt.
Parallel läuft gegen ihn ein Verfahren in Tennessee wegen angeblichen Menschenschmuggels, zu dem er sich auf nicht schuldig bekannt hat. Seine Anwälte sprechen von einer „vergeltenden“ Strafverfolgung – und tatsächlich hat das zuständige Gericht bereits erkennen lassen, dass es erwägt, die Anklage mangels Beweisen einzustellen. Es hagelte Kritik durch das Gericht an die US-Regierung. Das ist mehr als ein juristisches Signal: Es ist die Feststellung, dass dieser ganze Fall längst seine rechtliche Basis verloren hat.
Wir sind seit März 2025 in diesem Fall tätig – und wir werden nicht nachlassen. Wir alle haben bis eben noch ein intensives Brainstorming geführt, jede mögliche Option durchgespielt, die juristisch oder familiär noch denkbar ist. Möglicherweise reisen wir noch morgen nach Liberia, um uns dort mit Journalistinnen und Journalisten zu treffen sowie das sogenannte ‚Florierende‘ aktenfähig zügig zu dokumentieren – ein nicht unheikles Unterfangen in einem Land, das zwar demokratisch regiert wird, in dem investigatives Arbeiten aber weiterhin riskant ist. Was bleibt, ist die Frage, wie weit ein Staat gehen darf, um sein eigenes Gesicht zu wahren – und wann ein Land, das einst Zuflucht versprach, endgültig aufhört, eines zu sein.
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