Am Sonnabend, dem 14. Juni, wurde Anklam einmal mehr zum Schauplatz eines Treffens, das so klingt, als sei es harmlos. „Besuch im Norden“ – so lautete der Tarnname, unter dem sich in sozialen Netzwerken dutzende rechtsextreme Akteure im Haus Jugendstil verabredeten. Es ist ein vertrauter Ort in der Szene, altbekannt, gut vernetzt, mit einer Geschichte, die mehr erzählt, als es vielen lieb sein dürfte. Doch diesmal war alles ein wenig anders. Weniger martialisch. Weniger sichtbar. Und dennoch da.
Während auf dem Bahnsteig am Anklamer Bahnhof der Samstagmorgen seinen gewohnten Gang ging, standen auf der anderen Seite bereits Mannschaftswagen der Polizei. Präsenz, Absicherung, Beobachtung – ein vertrautes Bild in einer Stadt, die sich das längst nicht mehr ausgesucht hat. Vor allem die Pasewalker Straße war im Fokus, dort, wo einst die Kaufhalle stand und heute das Gebäude sitzt, das unter wechselnden Namen und Farben immer wieder dasselbe beherbergt: rechtsextremes Denken. Geplant war ein Vernetzungstreffen mit bis zu 200 Personen aus Sachsen, Brandenburg und dem Ruhrgebiet. Der Nordkurier berichtete über Anreisen aus Dortmund, über Telegram-Gruppen mit martialischem Ton, über rechte Symbolik, die in der Stadt niemand mehr sehen will. Dass am Ende offenbar deutlich weniger Personen erschienen, ist nicht nur ein Zufall. Es ist ein Ergebnis – eines zivilgesellschaftlichen Signals.
Das Bündnis Greifswald für alle hatte kurzfristig zur Mahnwache aufgerufen. „Bunte Welle statt braune Zelle“ – so das Motto. Etwa 30 Menschen versammelten sich vor dem Haus Jugendstil. Darunter nicht nur Studierende und Aktivistinnen, sondern auch bekannte Gesichter aus Anklam selbst. Evangelischer Pfarrer Helge Jörgensen stand mit einem großen Transparent am Straßenrand. „Menschenliebe verlangt Klarheit – evangelische Kirche gegen Rechtsextremismus“, war darauf zu lesen. Es war nicht nur ein Satz – es war eine Haltung.
Jörgensen sprach leise, aber unmissverständlich: Er liebe diese Stadt, verstehe den Stolz vieler Menschen auf ihre Entwicklung, aber: „Solange die Regenbogenflagge in dieser Stadt immer noch als Provokation empfunden wird, werde ich sie hochhalten – auch heute.“ Und man glaubte ihm jedes Wort. Denn wer dem Hass widerspricht, braucht keine Lautstärke. Er braucht Standhaftigkeit. Auch die Landtagsabgeordnete Jeannine Rösler war gekommen, ebenso wie der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Erik von Malottki. Beide machten deutlich, dass Anklam sich seine Wahrnehmung nicht erneut aus der Hand nehmen lassen dürfe. Und sie hatten recht. Denn Städte sind mehr als Fassaden. Sie sind Geschichten. Und wer ihnen keine Stimme gibt, bekommt Schweigen zurück.
Bürgermeister Michael Galander äußerte sich später dankbar für die Mahnwache – obwohl aus seiner eigenen Wählergemeinschaft, den Initiativen für Anklam, niemand daran teilnahm. Aus der Stadtpolitik war es nur Dr. Georg Becker von der sozial-ökologischen Bürgerplattform, der sich öffentlich zum Gegenprotest bekannte. Es ist dieser Gegensatz, der bleibt. Die Erleichterung, dass es friedlich blieb – und der bittere Nachgeschmack, dass sich noch immer zu wenige klar positionieren.
Denn das Haus Jugendstil ist nicht einfach ein Gebäude mit problematischer Mietstruktur. Es ist Symbol, Rückzugsort, ein architektonischer Resonanzraum für ein Netzwerk, das von außen bürgerlich wirkt – und von innen radikalisiert. Hier treffen sich seit Jahren rechtsextreme Unternehmer, Aktivisten, Vordenker. Und es gibt nach wie vor Räume, in denen nicht gefragt wird, was gesprochen wird – solange gezahlt wird.
Die Mahnwache war klein. Aber sie war aufrecht. Und sie wirkte. Der Tag zeigte: Es ist möglich, solchen Treffen den Raum zu nehmen, ohne sie zu stören. Indem man ihnen widerspricht – sichtbar, friedlich, entschlossen. Doch das darf nicht Aufgabe weniger bleiben. Anklam verdient mehr als ein still geduldetes Zentrum rechter Selbstvergewisserung. Es verdient Klarheit. Haltung. Politik, die sich nicht wegduckt, wenn es unbequem wird. Und es verdient, dass Orte wie das Haus Jugendstil nicht weiter normalisiert, sondern endlich problematisiert werden – auf allen Ebenen.
Denn auch wenn es an diesem Tag leiser war als sonst – das Haus hat nicht geschwiegen. Und es wird weiterreden, solange niemand widerspricht. Wenn wir Demokratinnen und Demokraten uns nicht dauerhaft zeigen – in Anklam, in Demmin, in Pasewalk, in Greifswald –, dann werden andere das tun. Und die sind längst da. Es wird Zeit, dass auch der Staat das erkennt. Und handelt. Endlich.