Es ist Freitagnachmittag, der 30. August 2025. Die Händler an der Wall Street starren auf ihre Bildschirme, während die Nachricht über die Ticker läuft: Das U.S. Court of Appeals for the Federal Circuit hat in einer 7:4-Entscheidung geurteilt, dass Präsident Trumps umfassende Zollpolitik seine gesetzlichen Befugnisse überschreitet. Doch die Erleichterung währt nur Sekunden. Die nächste Zeile folgt sofort: Die Durchsetzung des Urteils wird bis Mitte Oktober ausgesetzt, Trump kann weiter lustig neue Zölle erheben, die Berufung beim Supreme Court ist Formsache, der Einspruch bereits eingelegt. Die Zölle bleiben in Kraft.

Was seit Trumps selbsternanntem „Liberation Day“ am 2. April 2025 geschieht, sprengt alle ökonomischen Grundsätze. Der Präsident hat ein Zollregime errichtet, das fast jeden US-Handelspartner trifft: Länder mit Handelsdefizit gegenüber den USA werden mit „reciprocal tariffs“ von bis zu 50 Prozent bestraft, fast alle anderen mit einem Basiszoll von 10 Prozent belegt. Wer nicht spurt oder Trumps Zorn auf sich zieht, wird härter getroffen: Laos mit 40 Prozent, Algerien mit 30 Prozent. Für chinesische Waren droht Trump mit einem 55-Prozent-Zoll ab nächster Woche – falls bis dahin kein Abkommen zustande kommt.
Das 2,2-Billionen-Dollar-Märchen
Die große Verheißung, mit der Trump seine Wähler ködert, klingt zu schön, um wahr zu sein: Amerika erhebt massive Zölle, andere Länder zahlen die Rechnung, und amerikanische Bürger mit einem Jahreseinkommen unter 150.000 Dollar werden von der Einkommenssteuer befreit. Ein steuerfreies Paradies, finanziert durch den Rest der Welt. Die Mathematik entlarvt diese Fantasie gnadenlos. Die Einkommenssteuer privater Haushalte bringt den USA jährlich 2,2 Billionen Dollar ein – mehr als 40 Prozent aller Bundeseinnahmen. Die Zolleinnahmen? Sie erreichten bis Juli 2025 zwar rekordverdächtige 159 Milliarden Dollar, mehr als das Doppelte des Vorjahreszeitraums. Doch selbst wenn man diese Rate hochrechnet, kämen maximal 270 Milliarden Dollar im Jahr zusammen – nicht einmal ein Achtel dessen, was die Einkommenssteuer einbringt.
Das Council on Foreign Relations hat es durchgerechnet, die Tax Foundation bestätigt es: Selbst mit astronomischen Zollraten auf alle Importe ließe sich die Einkommenssteuer nicht ersetzen. Mehr noch: Zölle wirken wie eine Verbrauchssteuer und treffen überproportional Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen, die einen größeren Anteil ihres Einkommens für Konsumgüter ausgeben.
Die Preisexplosion ist bereits Realität
Die Auswirkungen sind keine Zukunftsmusik – sie sind bereits brutal spürbar. Das Budget Lab der Yale University beziffert den kurzfristigen Preisanstieg durch die neuen Zölle auf 1,8 Prozent. Das entspricht einem Einkommensverlust von etwa 2.400 Dollar pro Haushalt und Jahr. Die Detailzahlen sind noch erschreckender: Schuhpreise steigen laut Budget Lab zunächst um 39 Prozent und bleiben langfristig etwa 19 Prozent höher. Bei Kleidung liegen die Werte bei 37 Prozent kurzfristig und 18 Prozent dauerhaft. Regierungsdaten bestätigen: Seit Juni steigen die Verbraucherpreise für Lebensmittel, Möbel und Haushaltsgeräte kontinuierlich.

Die US Wine Trade Alliance warnt vor noch drastischeren Folgen in ihrer Branche: Der 15-Prozent-Zoll auf europäische Weine und Spirituosen könnte mehr als 25.000 Jobs kosten und fast 2 Milliarden Dollar Umsatz vernichten. Bananen, Kaffee, Fisch – alles Produkte, die die USA nicht in ausreichender Menge selbst produzieren können – werden teurer.
Das Gericht schlägt zurück – aber reicht das?
Die Gerichtsentscheidung vom gestrigen Freitag liest sich wie eine schallende Ohrfeige für Trumps Allmachtsfantasien. Das Berufungsgericht stellte fest: „Es scheint unwahrscheinlich, dass der Kongress beabsichtigte, dem Präsidenten unbegrenzte Autorität zur Erhebung von Zöllen zu gewähren.“ Trump hatte versucht, seine Zölle mit dem International Emergency Economic Powers Act (IEEPA) von 1977 zu rechtfertigen, indem er Amerikas Handelsdefizite zum „nationalen Notstand“ erklärte. Das Gericht verwarf diese Argumentation. Die Regierung hatte sich auf einen Präzedenzfall aus der Nixon-Ära berufen, doch die Richter sahen keinen Vergleich zwischen Nixons Reaktion auf die akute Währungskrise nach dem Ende des Goldstandards und Trumps Nutzung von Notstandsbefugnissen für chronische Handelsungleichgewichte.

Doch – und hier liegt die Krux – das Urteil ist nicht sofort wirksam. Trump hat, wie bereits erwähnt, Zeit bis 14. Oktober 2025 für seine Berufung. Auf seiner Social-Media-Plattform wetterte er bereits: „Wenn dieses Urteil Bestand hätte, würde es buchstäblich die Vereinigten Staaten von Amerika zerstören.“ Trump vergisst nur zu erwähnen, dass er, der Unternehmer mit einer langen Spur aus Insolvenzen, der versprach, Amerika wieder groß zu machen, Amerika zerstört hätte. Aber um Ausreden war Trump noch nie verlegen. Das Justizministerium warnt tatsächlich vor einem „finanziellen Ruin“ der USA, sollten die Zölle fallen und möglicherweise Rückerstattungen fällig werden. Bei über 159 Milliarden Dollar bereits eingenommener Zölle wäre das ein fiskalisches Erdbeben.
Die Konzern-Apokalypse läuft bereits
Die Quartalszahlen sprechen eine deutliche Sprache. Toyota meldete einen Gewinnrückgang von 37 Prozent und korrigierte seine Jahresprognose „wegen der Trump-Zölle deutlich nach unten“. General Motors beziffert den jährlichen Schaden auf vier bis fünf Milliarden Dollar. Der Aktienkurs von Crocs brach um 29,2 Prozent ein, obwohl das Unternehmen die Gewinnerwartungen übertraf. Der Grund: Ein prognostizierter Umsatzrückgang von bis zu 11 Prozent im laufenden Quartal. Das Management verwies explizit auf „anhaltende Unsicherheit durch sich wandelnde globale Handelspolitik und damit verbundene Belastungen im Konsumumfeld“. Eli Lilly verlor 14,1 Prozent an einem einzigen Tag. Intel sank um 3,1 Prozent, nachdem Trump den CEO ohne Beweise als „hochgradig befangen“ bezeichnete und seinen Rücktritt forderte.
Nur wenige profitieren: Apple stieg um 3,2 Prozent, nachdem CEO Tim Cook im Weißen Haus ankündigte, weitere 100 Milliarden Dollar in den nächsten vier Jahren in US-Produktion zu investieren. „Große, liquide Unternehmen, die es sich leisten können, in den USA zu bauen, werden die größten Gewinner sein“, analysiert Brian Jacobsen von Annex Wealth Management trocken. „Es ist das Überleben der Größten.“
Der Chip-Krieg und die neue Erpressungspolitik
Besonders aufschlussreich ist Trumps Ankündigung eines 100-Prozent-Zolls auf importierte Computerchips – gefolgt vom Nachsatz: „Wenn ihr in den USA produziert, zahlt ihr nichts.“ Es ist industrielle Erpressung im großen Stil. Unternehmen weltweit werden vor die Wahl gestellt: Verlagert eure Produktion in die USA oder werdet vom Markt gedrängt. Diese Politik hat bereits Früchte getragen – bittere Früchte. Einige Länder, darunter Großbritannien, Japan und sogar die Europäische Union, haben sich Trumps Forderungen gebeugt und „lopsided deals“ – einseitige Abkommen – akzeptiert, um noch höhere Zölle zu vermeiden. Die Länder, die sich weigerten oder „Trumps Zorn auf sich zogen“, wurden mit den härtesten Strafzöllen belegt.
Für Deutschland als Exportnation sind die Auswirkungen dramatisch. BMW, Mercedes und Volkswagen haben bereits Milliarden in US-Werke investiert, um Zöllen zu entgehen. Doch Trumps neue Doktrin macht auch vor lokaler Produktion nicht halt – wer nicht vollständig in Amerika produziert, zahlt trotzdem. Die deutschen Autobauer sehen sich in einer Zwickmühle: Eine komplette Produktionsverlagerung würde Hunderttausende Arbeitsplätze in Deutschland vernichten. Bleiben sie in Deutschland, werden ihre Produkte auf dem US-Markt unverkäuflich. Toyota hat bereits die Konsequenzen gezogen und seine Prognose massiv gesenkt – ein Warnsignal für die gesamte Branche.
Aber es geht um mehr als nur die Automobilindustrie. Der deutsche Maschinenbau, die Chemieindustrie, der Pharma-Sektor – sie alle hängen vom US-Export ab. Die am Donnerstag in Kraft getretenen Zölle trafen die Märkte zwar weniger hart als befürchtet, da sie „bereits lange bekannt waren und niedriger ausfielen als Trump ursprünglich angedroht hatte“. Doch die Unsicherheit bleibt das Gift, das die Wirtschaft lähmt.
China und der globale Dominoeffekt
Die Daten aus China zeigen die Dramatik: Im Juli stiegen die chinesischen Exporte an, da Unternehmen versuchten, noch vor weiteren Zollerhöhungen ihre Waren zu verschiffen. Sie nutzten, wie es in den Berichten heißt, „eine Atempause im Zollstreit mit Washington“. Doch was passiert, wenn der angedrohte 55-Prozent-Zoll auf chinesische Waren tatsächlich nächste Woche in Kraft tritt? Die Märkte reagieren bereits nervös. In Shanghai stiegen die Kurse nur um 0,2 Prozent, in Hongkong um 0,7 Prozent – bescheidene Gewinne angesichts der drohenden Eskalation. Der japanische Nikkei 225 legte 0,6 Prozent zu, doch Toyota-Aktien fielen nach der Gewinnwarnung, während Sony zulegte, da der Konzern „geringere Zollbelastungen als erwartet“ meldete.
Der Supreme Court als letzte Hoffnung?
In wenigen Wochen wird der konservative Supreme Court entscheiden müssen. Die vier Richter, die in ihrem Minderheitsvotum argumentierten, das IEEPA-Gesetz sei „keine verfassungswidrige Delegation legislativer Autorität“, haben Trump einen möglichen Weg aufgezeigt. Doch beide Szenarien sind bedrohlich: Bestätigt das höchste Gericht Trumps Befugnisse, erhält jeder künftige US-Präsident ein Instrument zur wirtschaftlichen Erpressung der Welt. Erklärt es die Zölle für illegal, droht den USA ein fiskalisches Chaos mit möglichen Rückzahlungsverpflichtungen in dreistelliger Milliardenhöhe.
Trump hat bereits angekündigt, notfalls auf andere Gesetze auszuweichen. Der Trade Act von 1974 erlaubt Zölle von bis zu 15 Prozent für maximal 150 Tage gegen Länder mit großen Handelsdefiziten. Section 232 des Trade Expansion Act von 1962 ermöglicht Zölle aus Gründen der nationalen Sicherheit – erfordert aber eine Untersuchung des Handelsministeriums.
Die Wall Street zeigt sich erstaunlich resilient – noch. Der S&P 500 gab nur 0,1 Prozent nach und stand kurz vor einem neuen Allzeithoch. Der Nasdaq Composite kletterte sogar um 0,3 Prozent auf einen Rekordstand. Die Hoffnung: Die Federal Reserve wird mit Zinssenkungen gegensteuern. Die Bank of England senkte bereits ihren Leitzins, um die „schleppende britische Wirtschaft anzukurbeln“. Doch die Warnzeichen mehren sich. Der Dow Jones verlor 224 Punkte. Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen stieg auf 4,23 Prozent. Die wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe stiegen leicht – noch im normalen Rahmen, aber ein Warnsignal. „Das sind noch lange keine Rezessionswerte“, beruhigt Carl Weinberg von High Frequency Economics. Noch nicht.
Was hier zerbricht, ist mehr als ein Handelssystem. Es ist das Ende der liberalen Wirtschaftsordnung, die seit 1945 unprecedented globalen Wohlstand geschaffen hat. Trump, der Amerika „wieder groß machen“ wollte, demontiert genau die Strukturen, die amerikanische Unternehmen jahrzehntelang dominierten. Die historische Parallele zum Smoot-Hawley Tariff Act von 1930 drängt sich auf. Damals führten Schutzzölle in die Katastrophe der Großen Depression. Heute ist die Weltwirtschaft ungleich stärker vernetzt, die möglichen Folgen entsprechend verheerender. Die Steuerbefreiung für Kleinsendungen unter 800 Dollar wurde am 29. August – also gestern – aufgehoben. Das trifft den Online-Handel ins Mark. Amazon, Alibaba, Temu – ihre auf günstige Importe basierenden Geschäftsmodelle werden über Nacht unrentabel.
Die kommenden Wochen werden entscheidend. Tritt der 55-Prozent-Zoll auf China tatsächlich in Kraft? Wie entscheidet der Supreme Court? Können die verbleibenden Länder noch Deals mit Trump aushandeln, oder eskaliert der Handelskrieg weiter? Eines ist bereits jetzt klar: Der Schaden ist angerichtet. Das Vertrauen in die USA als verlässlichen Handelspartner ist erschüttert. Unternehmen verschieben Investitionen, die Unsicherheit lähmt die Wirtschaft. Trump hat nicht nur einen Handelskrieg entfesselt. Er hat die Büchse der Pandora geöffnet. Die Folgen werden uns alle treffen – in den Supermärkten von Ohio genauso wie in den Fabrikhallen von Stuttgart.
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Unglaublich.
Ein Mann, zig Zölle und die Welt lässt sich erpressen.
Es ist beschämend wie sich Europa, UK etc anbiedern.
Wer sich einmal leicht erpressen lässt, wird beim nächsten Mal ein noch leichteres Opfer.
Schon jetzt sind westlichen Stasten bereit Produktionen in die USA zu verlegen und auch hier DEI Programme zu kippen, weil es sonst Probleme mit der Trump Regierung gibt.
Alle machen einen Kniefall und beflûgeln Trumps Allmachtsphantasien.
Der Supreme Court ist leider nur noch eine Marionette.
Es wird eine Entscheidung zu Gunsten von Trump geben.
Und selbst wenn nicht, wie Du schon schriebst Rainer, wird Trump andere Gesetze Anwendung und weitermachen.
Der Rechtstreit wird dauern… Ausgang beim Marionetten Supreme Court fast vorhersehbar.
Somit wird das Thema Zollerpressung uns noch lange begleiten.
Endlich Zeit aufzuwachen und sich unabhängig zu machen, anstatt immer boch darauf zu hoffen „dass das vorbeigeht“
DAS geht bicht vorbei.
Unwahrscheinlich, dass die Midterms was ändern. Weil es garantiert manipulierte Wahlen sein werden.
Dank Datenkrake Palantir, die durch DOGE alle sensible Daten der US Amerikaner, vorzuliegen hat.
Da kann ganz gezielt gesteuert werden.
Ach ja und MAGA jubelt immer noch dem Besten Präsidenten aller Zeiten zu.
Die Kommentare bei ACLU, CNN etc sind erschreckend
….leider sind die meisten länder einzelkämpfer und dadurch kann trump machen was er will, und die kommentare, ja, die sind unter aller ….