Stell dir vor, du lebst in einer Welt, in der man dich verhaftet, weil du sagst: „Tötet keine Kinder.“ Nicht weil deine Worte falsch wären. Nicht weil sie Hass schüren. Sondern weil sie – so heißt es dann – die Gefühle des Mörders verletzen könnten. Stell dir das nicht als Satire vor, nicht als Parabel oder dunkles Gedankenspiel. Stell es dir als Realität vor, als Zustand unserer Gegenwart. Eine Gegenwart, in der sich das moralische Koordinatensystem nicht nur verschoben hat, sondern auf den Kopf gestellt wurde. Was einst als unantastbar galt – das Leben der Unschuldigen, das Kind als Symbol des Schutzbedürftigen –, wird heute relativiert, zerredet, in politischen Spitzfindigkeiten aufgelöst. Wer es wagt, sich klar, deutlich, ohne Floskeln gegen das Töten zu stellen, steht schnell im Verdacht, zu polarisieren. Zu „vereinfachen“. Zu spalten. Und plötzlich wird nicht mehr über das Kind gesprochen, das starb – sondern über das Gefühl des Täters, das verletzt wurde.
So kommt man sich mittlerweile auch als investigativer Journalist vor: als Grenzgänger. Dabei gilt doch: Wenn niemand aufklärt, wenn alle nur noch den glattgebügelten Agenturjournalismus betreiben, der stets auf Nummer sicher geht und nie aneckt, dann würden viele plötzlich ganz überrascht sein, wenn die Welt kippt – und erst dann begreifen, wofür andere längst Kopf und Kragen riskieren. Aufklärung ist keine Pose. Sie ist Notwehr gegen das kollektive Vergessen. Es ist eine Zeit, in der der Täter zur fragilen Figur stilisiert wird, der Kritiker zum Aggressor. In der eine Gesellschaft, die sich selbst als aufgeklärt versteht, über Empathie für Gewalt klatscht – solange sie korrekt verpackt ist. Der Schmerz der Opfer wird unsichtbar gemacht, verdrängt unter dem Gewicht einer Empfindlichkeit, die sich nicht um Recht, sondern um Rechthaben dreht. Es ist nicht mehr entscheidend, was wahr ist. Entscheidend ist, wie unbequem diese Wahrheit klingt. Und wer sich daran stört. „Was bleibt, ist ein Großteil der Gesellschaft im moralischen Sturzflug – in der nicht mehr zählt, was richtig ist, sondern wer sich gekränkt fühlt; in der der Maßstab für Anstand nicht das Leid des Schwächeren ist, sondern die Verletzbarkeit des Stärkeren; in der es gefährlicher ist, die Wahrheit zu sagen, als sie zu verschweigen.“
Es ist Zeit, dem etwas entgegenzusetzen. Nicht mit Wut, nicht mit Hass, sondern mit unmissverständlicher Klarheit. Mit der Fähigkeit, Gut und Böse noch unterscheiden zu können. Mit der Bereitschaft, sich nicht einschüchtern zu lassen – weder von der Sprache der Macht noch von der Macht der Sprache. Denn wenn das Schweigen bequemer wird als das Sprechen, ist der Weg in die Barbarei längst beschritten. „Tötet keine Kinder“ darf nie ein Tabu sein. Es muss ein Imperativ bleiben – menschlich, ethisch, unumstößlich. Wer das nicht erträgt, hat nicht das Recht, sich verletzt zu fühlen. Sondern die Pflicht, sich selbst zu hinterfragen. In einer Zeit, die sich selbst verrät, ist das klare Wort keine Provokation – es ist das letzte Mittel der Würde. Oder, wie es zwei von mir sehr geschätzte Männer formulierten, die jahrelang als gute und gewissenhafte Ermittler für den Rechtsstaat gearbeitet haben – und fast daran zerbrachen:
Robert Mahler (ehemaliger LKA-Beamter):
„Mir wurde mal gesagt: In bestimmten Bereichen sollte man’s nicht so eng sehen. Wenn es um den einfachen Bürger geht, dann ja, aber, da wo’s politisch wird, darf man nicht ganz so am Wort des Gesetzes kleben bleiben.“
Stefan Sattler (ehemaliger LKA-Beamter):
„Da hab ich mich gefragt, ob ich noch auf dem richtigen Planeten stehe. Sie benennen Unrecht, und zum Dank ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Sie.“
Starker Text👍
danke dir