Die Stunde der Entscheidungen – und der Zweifel

VonRainer Hofmann

November 4, 2025

Amerika wählt – und doch geht es nicht um die Kandidaten allein. Es geht um den Zustand einer Nation, die sich seit Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus in eine Mischung aus Dominanz, Angst und Müdigkeit verwandelt hat. Zum ersten Mal seit seiner Wiederwahl treten die Vereinigten Staaten an die Urnen, um Gouverneure, Bürgermeister und Richter zu bestimmen – und in fast jedem Rennen ist der Schatten des Präsidenten spürbar, auch dort, wo er gar nicht auftritt. Die Augen richten sich vor allem auf Virginia und New Jersey, die einzigen Bundesstaaten, die in diesem Jahr ihre Gouverneure wählen. Beide galten einst als sichere Demokratenterrains, doch beide haben eine Tradition, in Zwischenjahren nach rechts zu schwenken. In Fairfax, Richmond und New Brunswick stehen die Schilder der beiden Welten dicht nebeneinander – auf der einen Seite die blauen Banner von Abigail Spanberger und Mikie Sherrill, auf der anderen die roten Fahnen von Winsome Earle-Sears und Jack Ciattarelli. Es ist ein Kampf um das politische Gleichgewicht, aber noch mehr um die Deutung des Augenblicks.

Trump selbst hat keinen Fuß in diese Bundesstaaten gesetzt. Er bleibt in Washington, lässt seine Stimme über Telekonferenzen und Videoauftritte tragen, als wäre er längst mehr Symbol als Politiker. Aber seine Agenda, seine Sprache, seine Drohgebärden prägen alles. Die republikanischen Kandidaten schmücken sich mit seinem Namen, als wäre er ein Siegel der Loyalität – auch wenn der Präsident Earle-Sears kaum erwähnte und Ciattarelli nur in einem Nebensatz lobte. Für sie reicht schon die Nähe zur Macht. Ein Sieg würde als Bestätigung seiner Politik gelten; eine Niederlage als erstes Zeichen, dass sein Bann zu bröckeln beginnt. Die Demokraten hoffen auf diesen Riss – doch sie sind uneins, wie er zu erreichen ist. In Virginia und New Jersey setzen sie auf Mäßigung, auf vertraute Biografien, die Vertrauen statt Euphorie erzeugen sollen. Mikie Sherrill, einst Marinehubschrauberpilotin, und Abigail Spanberger, ehemalige CIA-Offizierin, verkörpern Pragmatismus und Disziplin. Sie meiden Trumps Namen, sprechen über Lebensmittelpreise, Mietkosten und Krankenversicherungen. Sie wollen nicht provozieren, sondern zurückgewinnen – das Vertrauen der Mitte, die sich in den Jahren des Zorns verloren hat.

Ganz anders die Szene im Norden: In New York, wo die Geschichte immer lauter klingt als anderswo, trägt Zohran Mamdani den Traum der meisten Demokraten in die Arena. Der 34-jährige Abgeordnete, Sohn ugandischer Eltern, Muslim, Sozialist, will Bürgermeister einer Stadt werden, die selten zögert, Extreme zu lieben. Seine Reden klingen nach Gerechtigkeit und Nachdruck: kostenlose Kinderbetreuung, freier Nahverkehr, höhere Steuern für Reiche. Für die einen ist er die Zukunft, für andere ein Risiko. Trump hat ihn beinahe täglich attackiert, nannte ihn „die Katastrophe, die New York verdient“, und setzte schließlich auf einen alten Gegner: Andrew Cuomo.

Cuomo, einst Gouverneur, dann Gestürzter, tritt als Unabhängiger an, mit der Aura des Mannes, der sich selbst überlebt hat. „Ob man ihn mag oder nicht“, schrieb Trump am Vorabend der Wahl, „man hat keine Wahl – man muss auf ihn setzen.“ Es war ein vergiftetes Lob, das zugleich Mamdani schwächen und Cuomos Rückkehr legitimieren sollte. Der Republikaner Curtis Sliwa bleibt der Außenseiter, mehr Erinnerung als Hoffnung, doch er könnte zum Zünglein an der Waage werden, wenn die Stimmen zwischen den beiden anderen Lagern zerrissen bleiben.

Währenddessen steckt das Land im Stillstand. Seit über einem Monat ist die Regierung lahmgelegt – ein weiterer „Shutdown“, diesmal tief und erbarmungslos. Mehr als zwei Millionen Staatsbedienstete spüren die Folgen, viele ohne Gehalt, viele ohne Sicherheit. In Virginia, wo über 130.000 Menschen für den Bund arbeiten, wird der politische Konflikt zur privaten Last. In New Jersey sind es mehr als 20.000, die zwischen Loyalität und Wut schwanken. Millionen Familien verlieren in diesen Wochen den Zugang zu Lebensmitteln über das SNAP-Programm, und in den Warteschlangen vor den Tafeln spürt man, was Washington verdrängt: dass die Krise längst im Kühlschrank angekommen ist.

Trump gibt sich als Reformer der Institutionen und fordert die Abschaffung der Filibuster-Regel im Senat, um das Land „endlich wieder regieren“ zu können. Doch selbst in seiner Partei gilt das als riskant. Seine Gegner sehen darin den Versuch, die Gewaltenteilung endgültig zu untergraben. Während New Jersey und Virginia ihre Stimmen zählen, entscheidet Kalifornien über die Neuordnung seiner Wahlkreise. Gouverneur Gavin Newsom, ehrgeizig, strategisch, vielleicht selbst Präsidentschaftsanwärter für 2028, will mit „Proposition 50“ den Kongress neu zeichnen – fünf zusätzliche Sitze für die Demokraten, als Gegengewicht zu den republikanischen Neuzuschnitten in Texas. Es ist ein stiller Machtkampf um Karten, Linien und Sitze – und damit um die Zukunft des Repräsentantenhauses.

In Pennsylvania wiederum steht die Unabhängigkeit der Justiz auf dem Spiel. Drei Richter des Obersten Gerichts müssen sich einer Bestätigungswahl stellen. Kein Parteiname auf dem Stimmzettel, nur ein schlichtes Ja oder Nein – doch hinter den Kulissen fließen Millionen. Über 15 Millionen Dollar an Wahlkampfmitteln, ein Rekord für Richter. Das Urteil, das aus diesen Wahlen entsteht, wird über Wahlbezirke, Briefwahlverfahren und vielleicht über die Präsidentschaft 2028 entscheiden. Über all dem liegt die Frage, ob Trumps politische Neuausrichtung trägt. Sein Sieg von 2024 hatte die Karte verschoben: Gewerkschafter, junge Männer, viele Schwarze und Latino-Wähler wandten sich ihm zu. In New Jersey schrumpfte sein Rückstand von 16 Punkten (2020) auf weniger als sechs. Doch die Basis, die ihn trug, bleibt launisch. Arbeiter, die ihm aus Trotz folgten, bleiben oft zu Hause, wenn er nicht selbst auf dem Stimmzettel steht.

In den letzten Tagen hat sich Barack Obama in die Kampagne eingeschaltet – als Stimme der Erinnerung. Er sprach in Virginia und New Jersey, mahnte zur Teilnahme, zum Glauben an Demokratie, an die Kraft der Institutionen. Sein Auftreten war ein Kontrast zu Trumps Fernsteuerung der Politik – zwei Präsidenten, der eine ehemalig, zwei Welten.“ Und so steht der heutige Tag für mehr als nur regionale Wahlen. Er ist ein Prüfstein, ob Trumps Macht sich von der Person auf das System übertragen hat – und ob die Demokraten nach Jahren des Defensivkampfes und wenig Mut wieder ein Gefühl für ihre eigene Sprache finden. Zwischen Brooklyn und Richmond, zwischen Newark und Los Angeles entscheidet sich, ob Amerika noch die Kraft hat, sich selbst zu korrigieren – oder ob es längst gelernt hat, mit seiner eigenen inneren Leere zu leben.

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Helga M.
Helga M.
6 Stunden zuvor

Ich hoffe, hoffe…🍀👍🍀

Ela Gatto
Ela Gatto
4 Stunden zuvor

Ich hoffe so sehr.
So sehr dass die Demokratie und nicht der Faschismus siegt.

Aber letztlich wird der Pragmatismus siegen.😞
Wenn Schwarze und Latinos nicht aufwachen und sehen wohin Trumps Weg führt, sehe ich schwarz für die Demokraten.

Die Trump Wähler machen sich vor, dass 10 Monate nicht gereicht haben um „make America great again“ und „drain the swamp“ durchzusetzen.
Der Shutdown ist ja ohnehin Schuld der Demokraten. Sie setzen „das Wohl der Illegalen, über das von US-Amerikanern“
Tausende Bots befeuern das im Internet.

Ich weiß nicht, inwieweit die Meldungen stimmen, aber bei Alt National Park mehren sich die Berichte, dass in Virginia und New Jersey Wähler bedrängt werden. Falsche No Kings Schilder mit falschen Hinweisen zur Wahl der Bundesrichter am Straßenrand stehen.

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