Die neuen und alten Kreuzritter – oder: Rechtspopulismus, Rassismus und die Rückkehr der Verblendung

VonRainer Hofmann

Oktober 17, 2025

Es gibt Momente, in denen man sich fragt, ob Geschichte sich wiederholt – oder ob sie sich einfach nur über uns lustig macht. Friedrich Merz: Redet wie einer, der gefallen will – und trifft den Ton derer, die längst verloren sind – Donnerstagabend, Fox News. Karoline Leavitt, 28 Jahre alt, Pressesprecherin des Weißen Hauses, sagt in die Kamera: „Die Hauptwählerschaft der Demokratischen Partei besteht aus Hamas-Terroristen, illegalen Einwanderern und gewalttätigen Kriminellen.“ Das sind keine Versprecher. Keine ironischen Seitenhieben. Das ist das neue Vokabular von Regierungen, die den inneren Feind nicht mehr im Verbrechen sucht, sondern in der Demokratie und dem Menschen selbst.

Leavitt steht für eine neue Rechte – mediengeschult, skrupellos und offen extrem

Man hätte glauben können, dass nach den Jahren der Verrohung in Trumps erster Amtszeit irgendwann eine Grenze erreicht ist. Doch das Amerika von 2025 hat sich von solchen Vorstellungen verabschiedet. Die Regierung Trump spricht inzwischen, als würde sie ein Land besetzen, nicht führen. Und während Leavitt lächelnd den Begriff „Terroristen“ auf Millionen Amerikaner anwendet, nickt der Moderator, als hätte sie gerade das Wetter zusammengefasst. Der Demokrat und Gouverneur von Minnesota, Tim Walz, reagierte fassungslos. „Make it stop“, schrieb er – eine Verdichtung seines Unmuts, die in US-Medien sinngemäß zitiert wurde und inzwischen fast sprichwörtlich für die Ratlosigkeit vieler steht. Aber Amerika macht nicht halt. Es rast – und nimmt alle mit, die noch zuhören.

Robert Francis Kennedy Jr. – Seine Stimme klingt, als würde sie aus einer anderen Zeit kommen – brüchig, predigend, verloren.

Wenig später trat Robert F. Kennedy Jr. vor die Presse, diesmal als Gesundheitsminister. Thema: künstliche Befruchtung. Doch statt medizinischer Fakten gab es Weltuntergangsrhetorik. „Die Eltern bekommen keine Kinder mehr“, verkündete Kennedy feierlich – um im selben Atemzug stolz darauf hinzuweisen, dass er selbst sieben Kinder habe. Es war ein Auftritt, der mehr über den Zustand der politischen Kultur verriet als über den Stand der Fortpflanzungsmedizin. Ein Mann, der Wissenschaft als Bühne für sich selbst nutzt, um moralische Krisen zu predigen, die es in dieser Form gar nicht gibt.

Und während Amerika zwischen religiöser Selbstüberhöhung, moralischer Panik und autoritärer Rhetorik taumelt, sieht Europa zu – und beginnt, gefährlich vertraute Töne zu übernehmen. In Deutschland löste in dieser Woche eine Bemerkung von Bundeskanzler Friedrich Merz eine Debatte aus, die symptomatisch ist für die Verschiebung der Sprache: Merz hatte gesagt, „wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem“ – gemeint waren Menschen mit Migrationshintergrund.

Merz redet wie einer, der gefallen will – und trifft den Ton derer, die längst verloren sind

Was darauf folgte, war weniger eine Diskussion über Rassismus als ein Lehrstück über dessen Verdrängung. Eine Online-Umfrage bei t-online zeigte: 82 Prozent der Teilnehmenden stellten sich hinter die These „Nein, das ist kein Rassismus“, vertreten von Christoph Schwennicke – nur 11 Prozent stimmten Nilofar Breuer zu, die klar benannte, dass es sich sehr wohl um eine diskriminierende Aussage handelt. Der Rest lavierte dazwischen.

Auszugsweise …
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Es ist ein Spiegelbild gesellschaftlicher Konditionierung: Wer jahrelang hört, Migration sei ein „Problem“, wer tagtäglich Bilder von Bedrohung und Überfremdung serviert bekommt, glaubt irgendwann, dass Diskriminierung nur dann Rassismus ist, wenn jemand offen das N-Wort benutzt. Die eigentliche Verschiebung findet längst in den Köpfen statt. Wenn eine Mehrheit eine rassistische Zuschreibung nicht mehr erkennt, sondern sie für „Wahrheit“ hält, dann ist das kein Zufall, sondern das Ergebnis systematischer rhetorischer Normalisierung.

17. Oktober 2025

Und als wäre das alles nicht grotesk genug, meldet sich aus Europa die passende Schwester im Geiste: Beatrix von Storch. Die AfD-Abgeordnete prahlte öffentlich damit, Namen europäischer Politiker an Trumps Umfeld weiterzugeben – als Teil ihres „Kampfs“ gegen den Digital Services Act, jenes Gesetz, das Hass und Desinformation auf Plattformen eindämmen soll. Mit anderen Worten: Sie arbeitet aktiv daran, dass Lügen weiterleben dürfen. Eine deutsche Politikerin als Kurierin amerikanischer Propaganda – das hätte man sich nicht einmal in den Drehbüchern von House of Cards getraut.

Beatrix von Storch spricht, als hätte sie die Aufklärung persönlich verpasst

Das alles fügt sich zu einem Bild, das mehr mit 1933 zu tun hat als mit 2025. Die Sprache der Entmenschlichung ist zurück – diesmal in maßgeschneiderten Anzügen und Pressbriefings. Die Feindbilder heißen nicht mehr Kommunisten oder Juden, sondern Migranten, Demokraten, Journalisten. Die Methode bleibt dieselbe: Angst, Zorn, Spaltung. Aber vielleicht ist das Schlimmste gar nicht der Hass selbst, sondern seine Banalität. Er kommt heute in Talkshow-Licht, in Fox-Studio-Glanz, mit PR-gerechtem Lächeln. Man verkauft Rassismus als „law and order“, Zensur als „Meinungsfreiheit“, und Krieg als „Selbstverteidigung“. Das Publikum applaudiert – nicht, weil es überzeugt ist, sondern weil es längst betäubt wurde.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Faschismus nie verschwindet. Er wechselt nur die Kleidung. Er trägt jetzt TV-Make-up, zitiert Bibelverse, benutzt Hashtags und ruft „Elternrechte!“, während er die Rechte aller anderen demontiert. Und Europa? Es sieht zu – wie immer. Es sieht zu, während amerikanische Extremisten den Diskurs diktieren und ihre europäischen Pendants ihnen brav zuarbeiten. Man redet über „Meinungsvielfalt“, wo man eigentlich über Anstand sprechen müsste.

Vielleicht braucht es deshalb wieder mutige Menschen, echten investigativen Journalismus ohne staatliche Fördermittel, weil es das letzte funktionierende Frühwarnsystem der Demokratie ist. Denn wenn der Populismus schon in Anzug und Etikette daherkommt, dann bleibt nur noch der Spott – als Notwehr. Und manchmal, wenn Karoline Leavitt im Weißen Haus spricht, Beatrix von Storch Namen nach Washington schickt, Robert F. Kennedy Jr. mit stolz geschwellter Brust über seine sieben Kinder doziert – und Friedrich Merz in Potsdam davon spricht, dass das „Stadtbild ein Problem“ habe, während 82 Prozent in einer t-online-Umfrage in Deutschland meinen, Rassismus sei nur eine Frage der Perspektive –, dann fragt man sich, ob sie alle denselben Chor singen. Nur dass der Refrain diesmal lauter ist, globaler – und unheimlich vertraut klingt.

Der eigentliche Wahnsinn unserer Zeit ist: dass Menschen nicht aus Bosheit so denken, sondern aus Müdigkeit. Aus Angst, Überforderung und der ständigen Beschallung durch einfache Antworten. Über Jahre hinweg wurde aus Angst eine Weltanschauung gemacht, aus Überforderung ein politisches Werkzeug, aus Hetze ein Fernsehformat. Der Rassismus, der daraus entsteht, ist selten laut – er ist alltäglich, vernünftig klingend, unterschwellig und deshalb so gefährlich. Die meisten spüren, dass etwas nicht stimmt, aber sie haben verlernt, es zu benennen. Und genau hier beginnt die Verantwortung: Sprache wieder zu schärfen, Wahrheit wieder auszusprechen, auch wenn sie unbequem ist. Denn wenn die Gesellschaft verlernt, Unrecht zu erkennen, dann hat sie längst begonnen, es zu akzeptieren. Man könnte sagen, es ist auch eine Form von Klimawandel – der geistige Treibhauseffekt des 21. Jahrhunderts.

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Esther Spori
Esther Spori
22 Stunden zuvor

Eigentlich möchte ich mich seit längerer Zeit mehr mit positiven Dingen beschäftigen. Jedoch das Geschehen auf unserem Planeten hält mich immer wieder ab von meiner Absicht. Ich/wir sind gezwungen, unsere tägliche Dosis Informationen der ungesunden, kriminellen, schädlichen Aktivitäten und Lügen von einer Leavitt, Storch, Noem, eines kranken amerik. Gesundheitsministers und seines ebenso kranken Chefs abzuholen. Dann müssen wir noch über die neusten Schandtaten eines Putin Bescheid wissen, damit ich/wir uns eine Meinung über das ganze Geschehen und den Krieg gegen die Ukraine bilden können. In den Kommentaren auf z.B. Facebook Trolle neutralisieren helfen, die nur das Image eines Zelenskij beschädigen wollen.
Dann die MAGA, die für mich als eine einzige MAFIA einzustufen ist, die effektiv die amerikanische Bevölkerung bestiehlt und nach ihrem Gutdünken unbescholtene Menschen überfällt und ohne Grund wegsperrt. Ebenfalls als MAFIA zu betrachten ist das russ. Regime…mit Dugin im Hintergrund.
Summa summarum, Zeit für Positives bleibt wenig. Man muss sich davor hüten, in eine depressive Stimmung zu verfallen. Regelmässig sind wir auch gezwungen, all diese dämlichen Gesichter wieder und wieder ansehen zu müssen.
Meine Worte sollen nur widerspiegeln was das Ganze Geschehen mit uns macht.
Für Ihre umfassenden Informationen danke ich Ihnen und Ihrer Gruppe und ich hoffe dass Sie auf sich aufpassen.

Ela Gatto
Ela Gatto
3 Stunden zuvor
Reply to  Esther Spori

Das spricht mir so aus der Seele.

ReinerO
22 Stunden zuvor

Eine Bemerkung erstmal nur zum allerersten Satz: Im Dialektischen Materialismus gibt es ein Gesetz der Negation der Negation – Sprich Geschichte wiederholt sich – nur „auf einem höheren Niveau“. Das ist nicht als Aufruf zum Fatalismus zu verstehen, sondern um die Erkenntnis der tatsächlich real existierenden Gefahr für eine demokratische Gesellschaft – für die ich unsere Gesellschaft in der Bundesrepublik im Moment immer noch halte.

Irene Monreal
Irene Monreal
22 Stunden zuvor

Danke für deine glasklare moralische Zuordnung! Jeder von uns weiß, dass es in Städten tatsächlich Probleme gibt, die angepackt werden müssen. Wo sich Ghettos gebildet haben, wo sich Aussichtslosigkeit breitmacht und Wut entsteht. Aber diese Probleme müssen vernünftig angegangen werden und es gibt gute Beispiele dafür. In meiner Umgebung z. B. Fürth, das eine phänomenale Entwicklung in den letzten 20 Jahren hingelegt hat.
Merz‘ rassistische und super arrogante Aussage könnte genau so 1933 gefallen sein. Ich erinnere mich an einen Satz von einer älteren Dame in meiner Familie: „Dann waren auf einmal die ganzen Bettler, Obdachlosen und Zig…er weg, das war schon schön“.
Diese Frau hat sich später bitterlich für diese Gedanken geschämt.

Ela Gatto
Ela Gatto
3 Stunden zuvor

Wenn die Opposition so bezeichnet wird. Kriminalisiert und entmenschlicht wird, dann sollten die Alarmglocken mehr wie klingeln.

Genau so lief es 1933 und wir wissen, wo das hingeführt hat.
Die Welt schwieg erstmal, wollte es aussitzen.
Spielte beim Soektakel der Olympiade 1936 mit (analog WM 2926, mit einem Rekordticjetverkauf nach UK und Deutschland)
Bis dann der 2. Weltkrieg losbrach.

Nur heute sitzt da Einer, der den Knopf für die Atomwaffen hat.
Einer in den faschistischen USA, einer in dem kriegerischen Russland, Einer in der Möchtegern Weltmacht Nordkorea.

Wo früher Diplomatie das Schlimmste (im Kalten Krieg und nach dem Zerfall der UDSSR) verhindert hat, sitzen jetzt Machtgeile Alphamännchen, die gewinnen wollen.
Um jeden Preis

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