Es ist ein Muster, das man erst sieht, wenn man innehält. Wenn man den endlosen Strom an Bildern, Schlagzeilen, Zitaten und Gesichtern nicht nur scrollt, sondern betrachtet wie eine Choreografie. Was sich dort abzeichnet, ist kein Zufall. Es ist ein Mechanismus – ein mathematisch orchestriertes Drama, das Wut belohnt, Angst belohnt, Vereinfachung belohnt. Und das paradoxerweise gerade jenen nützt, die behaupten, vom System ausgeschlossen zu sein. Facebook-Feeds, wie man sie an einem gewöhnlichen Dienstag sehen kann, erzählt diese Geschichte in seiner reinsten Form. Zwischen Politikerporträts, Schlagworten und Schwarzweiß-Parolen entsteht ein emotionales Dauerrauschen, das Information nur noch als Rohstoff für Affekt kennt. Wer sich darüber empört, wird Teil des Spiels. Wer widerspricht, verstärkt den Algorithmus. Wer schweigt, verschwindet. Die Plattform unterscheidet nicht zwischen Zustimmung und Ablehnung – sie misst nur, was bewegt. Und Bewegung ist der neue Maßstab der Macht.
Rechte und populistische Akteure haben diese Grammatik längst verinnerlicht. Sie wissen, dass kein journalistisches Argument, kein Faktencheck und kein Datenbeleg mit der Wucht eines emotional aufgeladenen Satzes konkurrieren kann. „Ich hab’s angezeigt“, steht da über einem Porträt, juristisch vollkommen haltlos, aber es klingt gut, ist nicht produktiv. Wieder ein Sieg am Ende für die rechte Seite. Dazwischen Politiker in ernstem Blau, die Hände sprechend, das Gesicht zur Pose erstarrt. All das wirkt auf den ersten Blick aufregend, aufklärend– mal oppositionell, mal staatstragend –, doch gemeinsam bilden sie ein System der Dauererregung. Es braucht keinen einheitlichen Sender, keine Propaganda im klassischen Sinn. Es reicht, wenn viele kleine Funken gleichzeitig zünden.
Der Algorithmus ist der wahre Architekt dieser neuen Öffentlichkeit. Er operiert nicht nach Ideologie, sondern nach Chemie: Er misst Adrenalin, Cortisol, Klicks. Je stärker die Reaktion, desto höher die Sichtbarkeit. Damit verwandelt sich jede Plattform in ein Labor der Emotionalisierung, in dem sich rechtsextreme Narrative ausbreiten wie Bakterien in Wärme. Das ist keine bewusste Verschwörung, sondern ein Nebenprodukt des Geschäftsmodells. Die Aufmerksamkeitsökonomie braucht Konflikt – und der rechte Diskurs liefert ihn in Reinform. Doch am Ende geht es gar nicht um politische Überzeugung. Es geht um Likes. Um das kleine digitale Nicken, das die eigene Meinung bestätigt und das Gefühl erzeugt, recht zu haben. Die meisten Nutzer suchen keine Wahrheit, sondern Zustimmung. Sinn und Verstand treten zurück, wenn das Belohnungssystem greift. Ein Klick ersetzt die Auseinandersetzung, eine Reaktion die Reflexion. Das Gespräch verstummt, während das Echo wächst.
Man sieht die Folgen bereits im politischen Klima. Die AfD liegt in Umfragen gleichauf oder manchmal sogar leicht vor der CDU/CSU. Eine Mehrheit der Befragten hält die Stadtbild-Aussagen von Friedrich Merz nicht für rassistisch – 59 Prozent (Stand 21. Oktober 2025), laut einer Umfrage von t-online. Das zeigt, wie wenig diese digitale Dauerbeschallung noch mit Aufklärung zu tun hat. Die Überladung führt nicht zur Einsicht, sondern zur Abstumpfung. Sie verschiebt Grenzen, bis sie niemand mehr spürt. Und sie bringt am Ende nur eines hervor: den gegenteiligen Effekt. Was als Widerstand gegen rechts gedacht war, verwandelt sich in Verstärkung. Ein paar Facebook-Dollar für die Betreiber – und ein paar Prozentpunkte mehr für jene, die von Spaltung leben.

Wer wirklich etwas verändern will, muss dort ansetzen, wo der Algorithmus nicht hinreicht: im eigenen Umfeld. Mit Gesprächen, mit Nachbarn, mit kleinen, ehrlichen Gesten. Auf der Straße, im Verein, im Alltag. Ohne diesen ausufernden Fanatismus, der längst nicht mehr befreit, sondern bindet. Denn wohin hat er euch geführt? Nicht zu dem Ziel, das ihr wolltet – sondern fort davon. Die Energie der Wut hat sich gegen ihre Urheber gewendet. Hinzu kommt der Trick der scheinbaren Ausgewogenheit. Zwischen all den extremen Botschaften erscheinen auch neutrale, sogar kritische Stimmen – doch sie dienen oft nur als dramaturgischer Kontrast. Das System simuliert Debatte, während es Polarisierung produziert. Es erschafft den Eindruck eines freien Austauschs, während es in Wahrheit eine Spirale beschleunigt, in der die lautesten Stimmen den Takt vorgeben. So wird der Anschein der „Minderheitenmeinung“ zur eigentlichen Mehrheit im Sichtfeld.
Für den Journalismus ist das eine stille Katastrophe. Während investigativer Inhalt aufwendig produziert, überprüft und redigiert wird, verbreiten sich Meme und Slogans mit Lichtgeschwindigkeit. Der Markt hat die Wahrheit entkoppelt: Nicht die Qualität entscheidet über Reichweite, sondern der Affekt. Wer differenziert, verliert. Wer vereinfacht, gewinnt. Und wer polarisiert, dominiert.
Doch das Perfideste an dieser Dynamik ist ihre Selbstverstärkung. Viele, die gegen rechte Hetze anschreiben, teilen genau jene Inhalte, die sie eigentlich kritisieren. Sie zitieren, um zu widerlegen – und speisen damit unbeabsichtigt das System, das Reichweite in Macht umwandelt. Jeder Widerspruch, jeder empörte Kommentar signalisiert der Plattform: Relevanz. Der Feind wird durch Aufmerksamkeit ernährt. Die Folge ist eine Öffentlichkeit, die sich immer stärker an emotionalen Spitzen orientiert. Rechte Strategen haben daraus längst eine Wissenschaft gemacht. Sie sprechen von „outrage cycles“, von „virality waves“. Jede Provokation wird zur Testballon-Kampagne, jedes Meme zum sozialpsychologischen Versuch. Es geht nicht mehr um politische Überzeugung, sondern um die Besetzung des Bewusstseins. Und während Redaktionen sich abmühen, komplexe Zusammenhänge zu erklären, genügt ein einziges Bild mit sieben Wörtern, um die Wahrnehmung zu verschieben.
Was früher in Parteizentralen geplant wurde, geschieht heute in Kommentarspalten und Facebook-Gruppen. Die Strategie ist nicht mehr zentral gesteuert, sondern algorithmisch verteilt. Das macht sie so gefährlich – und so schwer greifbar. Sie braucht keine Institution, keine Organisation, keine Ideologen. Sie braucht nur Aufmerksamkeit.
Die demokratische Antwort darauf liegt nicht in der Nachahmung, sondern in der Entziehung. Wer versucht, in derselben Tonlage zu sprechen, verliert. Wer den gleichen Lärm erzeugt, bestätigt das System. Die einzige wirksame Gegenstrategie ist journalistische Beharrlichkeit – das geduldige, unbeirrbare Erzählen der komplexen Wahrheit. Nicht als Reaktion auf Empörung, sondern als stille Alternative dazu. Nervt euren Redakteur der Regionalzeitungen, schreibt Politiker an, dreht kleine Postcast, aber sachlich, nicht mit Häme, sondern smart und Fakten, den guten Dingen im Leben. Geht auf die Menschen zu, das haben die meisten verlernt. Ladet doch einfach mal eure Nachbarn auf einen Kaffee und Kuchen ein, ohne gleich alles zu hinterfragen. Kommunikation, Auge zu Auge, nehmt euch Zeit für andere Menschen und macht euch mindestens einen Tag pro Woche frei von Social Media.
Denn letztlich entscheidet nicht der Algorithmus, was wir denken. Er entscheidet nur, was wir sehen. Die Frage ist, ob wir hinschauen, um zu verstehen – oder nur, um zu reagieren, und wenn, sollte uns gegenüber ein Mensch sitzen.
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Sehr gut beleuchtet. Ich habe mich schon oft gefragt, ob wir den Rechten zuviel Aufmerksamkeit und Angriffsfläche bieten und sie dadurch hochschaukeln. Ich z.B. teile nur in meiner recht kleinen Freundesliste. Da ist leider die Resonanz so gering, dass es mich traurig stimmt. In öffentlichen Gruppen lege ich mich mit den Deppenlächlern und -Wüterichen nicht an, weil ich weiß, dass es nichts bringt, vergebliche „Liebesmüh“. Und Pausen brauche ich, ich spüre deutlich wann. Die Situation zusammengenommen macht mich wirklich dauerbetroffen, und ich spüre auch Angst.😔
ich danke dir, so etwas besiegt man mensch zu mensch, aber was da teilweise betrieben wird, mit jeder feed muss gesammelt und gepostet werden, hilft nicht und ist schon pathologisch