Der stille Bruch – Warum die Niederlande den USA nicht mehr alles erzählen

VonRainer Hofmann

Oktober 20, 2025

Ein europäisches Warnsignal kam in Form eines Satzes, so kühl wie kontrolliert: „Manchmal erzählen wir bestimmte Dinge einfach nicht mehr.“ Kein Affront, kein Eklat – nur ein nüchternes Eingeständnis aus Den Haag, das in Washington wie ein Donnerschlag hallte. Peter Reesink, Direktor des niederländischen Militärgeheimdienstes MIVD, beschrieb damit etwas, das lange unausgesprochen blieb: den beginnenden Rückzug Europas aus der bedingungslosen Datenallianz mit den Vereinigten Staaten. Gemeinsam mit Erik Akerboom, dem Chef des zivilen Nachrichtendienstes AIVD, bestätigte Reesink in einem Interview mit de Volkskrant, dass die Niederlande ihre Informationsweitergabe an amerikanische Behörden eingeschränkt haben. Was einst selbstverständlich war – ein ständiger, fast automatischer Austausch sensibler Erkenntnisse zwischen CIA, NSA und den europäischen Partnern – steht nun unter Vorbehalt. „Wir prüfen genauer“, sagte Reesink. „Und manchmal halten wir etwas zurück.“

Dass dieses Innehalten ausgerechnet aus einem Land kommt, das zu den engsten und technisch versiertesten NATO-Mitgliedern zählt, ist bemerkenswert. Die Niederlande sind traditionell eng mit den US-Diensten verbunden, ihre Analysten gelten als präzise, ihre Cyber-Kapazitäten als führend. Wenn selbst sie beginnen, den Informationsfluss zu drosseln, ist das weniger eine technische als eine politische Nachricht. Die Gründe sind vielfältig, doch sie kreisen um einen Kern: Vertrauen. Seit Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus, so hört man in europäischen Sicherheitskreisen, sei das Verhältnis komplizierter geworden. Zu oft habe Washington Geheimdienstdaten politisch instrumentalisiert, zu oft seien sie in internen Machtspielen gelandet. „Man kann nicht mehr sicher sein, dass Informationen dort bleiben, wo sie hingehören“, sagt ein ehemaliger AIVD-Mitarbeiter.

Hinzu kommt die Sorge um Menschenrechte – ein Thema, das in den europäischen Diensten inzwischen fest verankert ist. Während die USA weiterhin weitreichende Überwachungsbefugnisse und militärische Drohnenoperationen mit nachrichtendienstlicher Unterstützung rechtfertigen, haben die Niederlande ihre internen Ethikrichtlinien verschärft. Informationen, die für gezielte Tötungen oder unrechtmäßige Inhaftierungen verwendet werden könnten, werden seitdem zurückgehalten. „Es ist eine moralische Linie, die wir nicht überschreiten wollen“, erklärte ein MIVD-Insider. Doch hinter der Moral steht auch Strategie. Europa versucht, sich von der digitalen Vormacht der USA zu emanzipieren. In Den Haag, Berlin und Kopenhagen entstehen Netzwerke, die sensible Daten über Cyberbedrohungen, russische Aktivitäten oder chinesische Wirtschaftsspionage austauschen – unabhängig von amerikanischen Kanälen. Es ist das, was ein EU-Diplomat als „Schatten-NATO“ bezeichnete: eine Struktur, die dort arbeitet, wo Washington nicht mehr als selbstverständlich gilt.

Seit den Snowden-Enthüllungen, der NSA-Spionageaffäre um Angela Merkels Handy und mehreren Leaks zu US-Operationen in der Ukraine ist das Vertrauen in die transatlantische Datensicherheit ohnehin erschüttert. In diesem Klima klingt Reesinks Satz nicht wie ein Affront, sondern wie eine logische Konsequenz. Vertrauen, einmal beschädigt, ersetzt man nicht durch Absichtserklärungen, sondern durch Zurückhaltung. Offiziell betont Den Haag, das Verhältnis zu den USA bleibe „eng und verlässlich“. Inoffiziell spricht man von „vertrauensbasierter Differenzierung“ – einer diplomatischen Formel für selektives Misstrauen. Während also die Rhetorik von Freundschaft zeugt, werden operative Daten längst in kleinere, europäische Kanäle verschoben.

Gleichzeitig zeigt die niederländische Politik, wie selektiv Prinzipien inzwischen angewendet werden. Es war nicht die Regierung selbst, sondern das Parlament, das im September eine Motion verabschiedete, Antifa nach US-Vorbild als Terrororganisation einzustufen – ein Schritt, der bislang rechtlich keine Wirkung entfaltet, aber politisch laut nachhallt. Denn ein tatsächliches Verbot existiert nicht; es bleibt bei einer symbolischen Forderung. Damit beißt sich die Maßnahme mit dem Anspruch, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu wahren – man pickt sich aus der US-Politik genau jene Elemente heraus, die der eigenen Regierung mehr Macht verleihen, während man andere, gefährlichere Übernahmen lieber den Amerikanern überlässt.

Für Washington ist das mehr als ein symbolischer Verlust. Wenn selbst loyale Partner beginnen, zu filtern, zeigt das, wie tief die Verunsicherung reicht. Die USA, lange als Garant westlicher Ordnung betrachtet, erscheinen zunehmend als unberechenbarer Akteur – ein Land, das seine Geheimnisse nutzt, um Politik zu machen, statt Politik zu schützen. Der niederländische Kurs ist deshalb mehr als eine administrative Anpassung. Er ist eine stille Warnung: dass Loyalität in einer Welt der Daten nicht bedingungslos sein darf. Wer Informationen teilt, teilt Verantwortung – und wer sie zurückhält, zieht Grenzen, wo Vertrauen endet. Oder, wie Reesink es ausdrückte: „Manchmal erzählen wir Dinge nicht mehr – nicht, weil wir uns abwenden. Sondern weil wir gelernt haben, zuzuhören, wer zuhört.“

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