Der Sold, der nicht kommt – Was geschieht, wenn ein Land seine Soldaten nicht mehr bezahlt

VonRainer Hofmann

Oktober 10, 2025

Über Montgomery, Alabama liegt in diesen Tagen eine seltsame Schwere. Es ist nicht das Wetter – es ist das Warten. In einem kleinen Haus unweit der Maxwell Air Force Base sitzt Heather Campbell an ihrem Küchentisch, der Laptop geöffnet, der Cursor blinkt wie ein metronomisches Zeichen der Sorge. Sie hat die Zahlen durchgerechnet. Ganz gleich, wie sie sie ordnet – das Ergebnis bleibt dasselbe: Am Mittwoch ging ihr Mann zur Arbeit, die Uniform anlegt, die Flagge gegrüßt – und nichts verdient. Heather Campbell ist neununddreißig, Mutter von drei Kindern, und – bis zum Sommer – Angestellte einer örtlichen Tafel gewesen. Als die Bundesmittel versiegten, verschwand auch ihre Stelle. Jetzt, da die US-Regierung zum dritten Mal in zwölf Jahren stillsteht, droht der nächste Einschnitt: das Gehalt ihres Mannes. „Man verlangt von uns, unser Leben aufs Spiel zu setzen“, sagt sie, „und dann schicken sie uns nicht einmal den Gehaltsscheck. Wie soll da noch Vertrauen bleiben?“

Heather und Dan Campell

Der Regierungsstillstand trifft die Armee zuerst – und am härtesten. Die Soldatinnen und Soldaten werden irgendwann bezahlt, heißt es. Doch irgendwann füllt keinen Kühlschrank. Viele Militärfamilien leben von einem Gehaltsscheck zum nächsten, gefangen in einem System, das Opferbereitschaft feiert, aber keine Vorsorge kennt. Campbells Plan ist Überleben auf Kredit. Lebensmittel, Benzin, Hypothek – alles läuft über Karten, die sich bald unter Zinsen biegen werden, lange bevor der Kongress sich erinnert, dass es sie gibt. „Wir schaffen das“, sagt sie. „Aber das ist kein Leben. Das ist bloß Durchhalten.“

Immer wieder faszinieren diese alten Holzmasten von Alabama – vom Süden gezeichnet, vom Strom durchzogen, wie Zeugen einer Zeit, die nie aufgehört hat.

Am anderen Ende des Landes, in Colorado Springs, sitzt Amanda Scott vor derselben Rechnung. Ihr Mann, ebenfalls Offizier der Luftwaffe, hat aufgehört zu fragen, wann das Geld kommt. „Wie einsatzbereit kann man sein, wenn man nicht weiß, ob man seine Kinder ernähren kann?“, fragt sie. Scott arbeitet für einen Rüstungsauftragnehmer und engagiert sich ehrenamtlich für Militärfamilien. Sie kennt die Folgen: die stille Panik vor der nächsten Rate, die Entscheidung zwischen Stromrechnung und Geburtstag. „Viele von ihnen könnten im zivilen Leben doppelt so viel verdienen“, sagt sie. „Aber sie bleiben – aus Überzeugung. Nur wie lange noch?“

In Washington handeln Politiker mit Glauben, nicht mit Gewissen. Das Repräsentantenhaus ist dunkel, die Sitzungen ausgesetzt, die Dringlichkeit vertagt. Die republikanische Abgeordnete Jen Kiggans aus Virginia, selbst ehemalige Marinepilotin, hat ein Gesetz eingebracht, das die Bezahlung der Streitkräfte sichern soll – mit Unterstützung beider Parteien. Es liegt bereit. Doch niemand stimmt ab. Präsident Trump, gefragt, ob er das Gesetz unterstütze, antwortete mit jener Sicherheit, die nichts bedeutet. „Das wird wahrscheinlich passieren“, sagte er. „Unser Militär wird immer versorgt sein.“ Worte wie diese gibt es in Washington im Überfluss – Flaggen, Paraden, Gelöbnisse –, doch keine von ihnen bezahlt die Miete.

Kate Horrell

Finanzberaterinnen wie Kate Horrell, die Familien in Uniform betreuen, haben das alles schon erlebt. „Es gibt so viele Dinge, über die sich der Kongress nicht einigen kann“, sagt sie. „Ich wäre überrascht, wenn gerade das jetzt funktioniert.“

Für die Campbells in Alabama ist Einigkeit ohnehin ein ferner Luxus. Sie können keinen Vorschusskredit beantragen, weil sie gerade ihr Haus refinanzieren. Eine Notfallrücklage? Fehlanzeige. Nach Jahren ständiger Umzüge, Studentenschulden und unbezahlter Kinderbetreuung blieb kein Raum, etwas aufzubauen. „Die meisten Familien, die ich kenne, haben nicht einmal ein Monatseinkommen auf der Seite“, sagt Heather. „Von zwei oder drei Monaten ganz zu schweigen.“ Nach Schätzungen des Pentagon leben rund ein Viertel aller aktiven Soldatinnen und Soldaten in Haushalten, die als „finanziell gefährdet“ gelten – mit Rücklagen von weniger als 500 Dollar. Hilfsorganisationen wie Blue Star Families berichten von einem sprunghaften Anstieg der Nachfrage nach Lebensmittelausgaben auf Militärbasen seit Beginn des Shutdowns. Das Bild, das daraus entsteht, ist grotesk: Die Armee als Symbol nationaler Stärke – und zugleich abhängig von Spenden.

In Virginia, wo die größte Marinebasis des Landes ganze Städte nährt, spürt man den Stillstand bereits in den Supermärkten und Tankstellen. „Die Menschen geben weniger aus. Es zieht sich durch alles“, sagt Rick Dwyer von der Hampton Roads Military and Federal Facilities Alliance. „Und denken Sie an die Soldaten, die gerade irgendwo auf der Welt im Einsatz sind – sie fragen sich, ob ihre Familien zu Hause die Miete, die Kinderbetreuung, das Auto bezahlen können.“

Eine Nachbildung des Iwo-Jima-Gedenkdenkmals ist am Eingang der Marinebasis Quantico zu sehen. – Mehr Schein als Sein

Im Pentagon sucht man währenddessen nach juristischen Schlupflöchern. Ein Notfallplan verweist auf Restmittel aus Trumps Steuer- und Ausgabengesetz, die theoretisch zur Bezahlung der Soldaten verwendet werden könnten. Ob das tatsächlich geschieht, man schweigt. Das Verteidigungsministerium – oder Kriegsministerium, je nachdem, wie ehrlich man sein will, erklärte, man könne „derzeit keine Informationen bereitstellen“. Der Plan listet nüchtern Prioritäten auf: die Sicherung der Grenze zu Mexiko, Operationen im Nahen Osten, das Raketenabwehrprogramm „Golden Dome“ – und „Kinderbetreuung, soweit sie für die Einsatzbereitschaft erforderlich ist“.

Lebt in seinem eigenen Kosmos – Kriegsminister Pete Hegseth spricht von Ehre und Opfermut, während die Soldaten zu Hause ihre Miete nur noch mit überzogenen Kreditkarten bezahlen.

Raleigh Smith Duttweiler von der National Military Family Association bringt es pragmatisch auf den Punkt. „Die meisten Kinderbetreuungszentren auf den Basen bleiben offen“, sagt sie. „Aber die Babysitterin meiner Kinder nimmt keine Schuldscheine vom Staat an.“

Raleigh Smith Duttweiler

Der Widerspruch könnte kaum größer sein: Ein Land, das seine Soldaten feiert, lässt sie nun im Stich. Zwischen der pathetischen Rhetorik der Regierung und der gelebten Realität der Familien liegt ein Abgrund, der breiter wird mit jedem Tag ohne Gehalt.

Heather Campbell redet nicht über Politik. Sie redet über Rechnungen. Über die Frage ihrer Kinder, warum der Job ihres Vaters plötzlich nichts mehr einbringt. Über das Dröhnen der Flugzeuge über ihrem Viertel – zuverlässig, gleichmäßig, gleichgültig. „Wir schaffen das schon“, sagt sie leise. Es klingt wie ein Schwur an sich selbst. Draußen flattert die Flagge vor ihrem Haus. Sie bewegt sich im Wind, stolz und ungerührt, als lebte das Land, das sie symbolisiert, in einer anderen Wirklichkeit – einer, in der Soldaten noch bezahlt werden.

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