Nashville, Tennessee – In einem Land, das sich selbst gern als Hort der Freiheit und der Rechtsstaatlichkeit preist, sitzt ein Mann in Handschellen – nicht wegen seiner Schuld, sondern wegen eines Dilemmas, das die Regierung selbst geschaffen hat. Kilmar Abrego Garcia, Ehemann, Vater, Bauarbeiter, einst zu Unrecht abgeschoben und nun wieder auf amerikanischem Boden, bleibt in Haft. Nicht, weil ein Gericht ihn dort sehen will, sondern weil sich zwei Bundesbehörden unter Präsident Donald Trump gegenseitig lähmen. Es ist ein Lehrstück über Willkür, Kontrollverlust – und darüber, wie fragil das Versprechen von Gerechtigkeit sein kann.
Abrego Garcia, ein Staatsbürger El Salvadors, wurde am 7. Juni 2025 aus einem der gefährlichsten Gefängnisse Mittelamerikas in die USA zurückgeholt – nach massiven Protesten und öffentlichen Appellen, die seine fälschliche Abschiebung im März ans Licht gebracht hatten. Die Vorwürfe gegen ihn lauten auf Menschenschmuggel, ein zweifelhafter Vorwand, sagen seine Anwälte, um den politischen Schaden zu begrenzen. Die Grundlage der Anklage: ein Verkehrsstopp aus dem Jahr 2022 in Tennessee, bei dem Abrego Garcia mit neun Passagieren unterwegs war. Eine Anklage, die erst nach seiner Rückkehr aus der Abschiebung erhoben wurde – fast drei Jahre später. Homeland-Security-Agent Peter Joseph musste auf Nachfrage einräumen, dass er seine Ermittlungen erst im April dieses Jahres aufnahm.
Und doch steht er wieder vor Gericht. Die Richterin, Barbara Holmes, hat längst entschieden: Abrego Garcia darf raus. Sie legte sogar genau fest, unter welchen Bedingungen – er soll bei seinem Bruder wohnen, nicht fliehen, keine Gefahr darstellen. Doch der Gerichtssaal wurde zum Schauplatz eines Machtkampfs zwischen dem Justizministerium und der Einwanderungsbehörde ICE. Holmes sprach offen aus, was sonst unausgesprochen bleibt: „Ich kann dem Justizministerium Weisungen geben. Aber über ICE habe ich keine Macht.“ Denn ICE, Teil des Heimatschutzministeriums, könnte Abrego Garcia im selben Moment, in dem er die Tür der Untersuchungshaft verlässt, erneut festnehmen – und diesmal für immer. Wohin, ist unklar. Nach El Salvador darf er laut richterlicher Entscheidung nicht zurück – dort drohen ihm Übergriffe durch Banden. Doch eine Abschiebung in ein Drittland ist nach wie vor möglich, sofern dieses zusichert, ihn nicht nach El Salvador weiterzuschieben. Ein gefährliches diplomatisches Spiel.

Die Absurdität dieser Lage wurde am Mittwoch offengelegt. Während Abrego Garcia – im roten Häftlingsanzug, gefesselt – auf seine Freilassung hoffte, rang Acting U.S. Attorney Rob McGuire um das Gesicht der Regierung. Man werde „sein Bestes geben“, um ICE zur Kooperation zu bewegen, sagte er. Doch mehr könne er nicht tun. „Das ist eine eigene Behörde mit eigener Führung.“ Sein Gegenspieler, Verteidiger Sean Hecker, konterte: „Sowohl das Justizministerium als auch das Department of Homeland Security unterstehen demselben Präsidenten. Sie schaffen es sonst doch auch, zusammenzuarbeiten.“ Tatsächlich hatte ICE bereits bei anderen Angeklagten auf Abschiebungen verzichtet, wenn diese bereit waren, gegen Abrego Garcia auszusagen. Nun geht es um ihn – und plötzlich ist jede Rücksicht passé? Ein weiteres juristisches Manöver der Staatsanwaltschaft, das den Freilassungsbeschluss aufschieben sollte, wurde vom Bundesrichter Waverly D. Crenshaw Jr. abgewiesen – mit ungewöhnlich scharfen Worten. Die Regierung versuche, das Gericht dazu zu bringen, sie „vor sich selbst zu retten“, schrieb Crenshaw. Es sei ihre eigene Lage, ihr eigenes Chaos. Wenn die Anklage Abrego Garcia wirklich für so gefährlich halte, müsse sie eben dafür sorgen, dass ICE ihn nicht deportiere. „Wenn Justizministerium und DHS das nicht gemeinsam hinbekommen, spricht das für sich.“ Crenshaw erlaubt den Anklägern zwar, einen Antrag zur Aufhebung des Freilassungsbeschlusses einzureichen. Eine Beweisanhörung ist für den 16. Juli angesetzt. Bis dahin bleibt Abrego Garcia in Haft.
Dort saß er auch am 13. Juni – dem Tag, an dem er sich vor Gericht für „nicht schuldig“ erklärte. Und dem Tag seines Hochzeitstags. Seine Frau, Jennifer Vasquez Sura, trat vor das Gerichtsgebäude und sagte, was Worte kaum fassen können: „Heute sind es 106 Tage, seit er von der Trump-Regierung entführt und von unserer Familie getrennt wurde.“ Er habe Geburtstage verpasst, Abschlussfeiern, den Vatertag. Und heute – den Tag ihrer Ehe. Doch sie sprach auch von Liebe. Von Gott. Und von der Kraft der Gemeinschaft, die sie trägt. „Kilmar hätte uns nie weggenommen werden dürfen“, sagte sie unter Tränen. „Dieser Kampf ist das Härteste, was ich je erlebt habe.“ Der Fall Kilmar Abrego Garcia ist mehr als eine juristische Episode. Er ist das Abbild eines Systems, das zwischen politischen Imperativen, institutioneller Eigenlogik und persönlichem Schicksal zerreißt. Und er ist ein stiller Aufschrei für all jene, deren Leben an Grenzen zerschellt – seien sie sichtbar oder durch Behörden errichtet. Während zwei Ministerien um Kompetenz ringen, warten drei Kinder in Maryland auf ihren Vater. Und eine Frau hofft, dass Gerechtigkeit kein leeres Versprechen bleibt.