Der Himmel brennt: Wie Russlands Drohnenschwärme den Krieg neu definieren

VonRainer Hofmann

September 14, 2025

Die Nacht vom 6. auf den 7. September über Kiew begann mit einem fernen Summen, kaum lauter als ein Mückenschwarm an einem Sommerabend. Doch die Menschen in der ukrainischen Hauptstadt kannten dieses Geräusch bereits besser als ihre eigenen Herzschläge. Es war der Sound des modernen Krieges – das monotone Brummen iranisch inspirierter Shahed-Drohnen, die wie mechanische Vorboten des Todes durch die Dunkelheit glitten. Was vor drei Jahren mit 43 Drohnen in einer einzigen Angriffswelle für weltweite Schlagzeilen gesorgt hatte, war zur alptraumhaften Routine geworden: 810 Drohnen und Attrappen in jener Rekordnacht, ein apokalyptischer Schwarm, der den Himmel verdunkelte und die ukrainische Luftabwehr an ihre Grenzen trieb.

In den gewaltigen Produktionshallen im russischen Hinterland laufen die Fließbänder weiterhin rund um die Uhr. Präsident Putin hatte die Drohnenproduktion zur höchsten nationalen Priorität erklärt, und das Ergebnis dieser Entscheidung manifestiert sich in Zahlen, die selbst erfahrene Militäranalysten sprachlos machen: 34.000 Angriffsdrohnen und Attrappen allein in diesem Jahr – eine neunfache Steigerung gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Es ist eine industrielle Revolution des Todes, orchestriert mit der Präzision einer Staatsmaschine, die alle verfügbaren Ressourcen mobilisiert hat. Schüler montieren in ihren Werkstätten Drohnenteile, regionale Gouverneure präsentierten auf dem Wirtschaftsforum in Wladiwostok stolz ihre Produktionszahlen, und ausländische Arbeitskräfte werden in Schichten eingeteilt, um die Maschinen am Laufen zu halten.

Aufnahmen aus der Fabrik, in der die „Geran“-Drohnen gebaut werden im Industriepark der Sonderwirtschaftszone Alabuga (Republik Tatarstan). Die Geran-1/-2 sind 2025 fester Bestandteil russischer Angriffe—taktisch in großen Schwärmen

Die technologische Evolution dieser fliegenden Bomben hat sich mit atemberaubender Geschwindigkeit vollzogen. Was einst primitive, GPS-gesteuerte Kamikazedrohnen waren, entwickelte sich zu einem ausgeklügelten Arsenal. Neue Steuerungssysteme trotzen elektronischen Störversuchen, verbesserte Sprengköpfe maximieren die Zerstörungskraft, und – in einer besonders perfiden Innovation – Glasfaserkabel von mehreren Kilometern Länge verbinden die Drohnen physisch mit ihren Steuereinheiten, immun gegen jede Form elektronischer Kriegsführung. Die Drohnen fliegen nicht mehr in geraden Linien zu ihren Zielen, sondern tanzen in verworrenen Mustern durch den Nachthimmel, folgen Flussläufen und Waldrändern, meiden offenes Gelände, wo ukrainische Luftabwehrteams lauern könnten.

Montageprozess der „Geran“-Drohne

In jener Septembernacht waren es nicht nur die echten Drohnen, die Terror verbreiteten. Zwischen den mit Sprengstoff beladenen Maschinen schwebten Attrappen aus bemaltem Schaumstoff und Sperrholz, manche mit kleinen Sprengladungen versehen, andere völlig harmlos – doch aus der Ferne, im Stress des Gefechts, waren sie von den echten Bedrohungen nicht zu unterscheiden. Jede musste als potenzielle Gefahr behandelt werden, jede band wertvolle Ressourcen. Es war psychologische Kriegsführung in ihrer reinsten Form: Die Verteidiger mussten auf alles reagieren, konnten sich nichts leisten zu ignorieren, erschöpften sich in einem endlosen Katz-und-Maus-Spiel am nächtlichen Himmel.

Die ukrainischen Verteidiger haben sich angepasst, so gut es geht. Mobile Teams rasen in Pickups durch die Dunkelheit, schwere Maschinengewehre auf den Ladeflächen montiert, jagen den tief fliegenden Drohnen hinterher wie moderne Kavalleristen. Über den Dächern der Städte spannt sich ein unsichtbares Netz aus Störsendern, die versuchen, die Navigationssysteme der Angreifer zu verwirren. Westliche Hightech-Luftabwehrsysteme, eigentlich für die Abwehr ballistischer Raketen konzipiert, wurden hastig umfunktioniert, um gegen die primitive, aber effektive Bedrohung aus der Luft anzukämpfen. Und doch: Von den 810 Drohnen jener Rekordnacht trafen 63 ihre Ziele, schlugen in 33 verschiedenen Orten ein, hinterließen brennende Ruinen und zerbrochene Leben. Die Auswirkungen reichen weit über die unmittelbare Zerstörung hinaus. In den Städten der Ukraine ist der Schlaf zu einem kostbaren, oft unerreichbaren Gut geworden. Das konstante Heulen der Luftschutzsirenen, das Rattern der Flugabwehrgeschütze, die Explosionen in der Ferne – und manchmal viel zu nah – haben sich in das kollektive Bewusstsein einer Nation eingebrannt. Kinder zeichnen in ihren Schulheften keine Blumen mehr, sondern Drohnen. Erwachsene entwickelten eine Art sechsten Sinn für das charakteristische Motorengeräusch, können binnen Sekunden unterscheiden zwischen einer anfliegenden Shahed und dem harmlosen Brummen eines Generators. Es ist die schleichende Normalisierung des Abnormalen, die vielleicht gefährlichste Waffe in Moskaus Arsenal.

Was diese Entwicklung besonders beunruhigend macht, ist ihre Skalierbarkeit. Analysten schätzen, dass Russland derzeit etwa 30.000 Angriffsdrohnen pro Jahr produzieren kann – eine Zahl, die sich bis 2026 möglicherweise verdoppeln wird. Die Infrastruktur dafür steht bereits: Zwei große Produktionsanlagen arbeiten rund um die Uhr, unterstützt von einem Netzwerk kleinerer Fabriken und Werkstätten im ganzen Land. Die Technologie, ursprünglich aus dem Iran importiert, wurde russifiziert, verbessert, massentauglich gemacht. China liefert diskret Bauteile, von Mikrochips bis zu Kohlefaserkomponenten, während offizielle Stellen in Peking jede Beteiligung abstreiten.

Russland setzt die Geran-Drohnen (russische Bezeichnung für iranische Shahed-Modelle bzw. deren in Russland gefertigte Derivate) auch aktuell regelmäßig in der Ukraine ein—als One-Way-Attack

Die NATO-Staaten, lange Zeit Zuschauer dieses Dramas, fanden sich in dieser Woche plötzlich selbst im Fadenkreuz wieder. Als in der Nacht zu Mittwoch 19 russische Drohnen in den polnischen Luftraum eindrangen, wurde aus einem regionalen Konflikt eine direkte Bedrohung für das westliche Verteidigungsbündnis. Die Reaktion war bezeichnend: Nur ein Bruchteil der Eindringlinge konnte abgeschossen werden, die restlichen verschwanden spurlos in der Nacht. Am Samstag meldete dann das rumänische Verteidigungsministerium, zwei seiner Kampfjets hätten eine Drohne im rumänischen Luftraum abgefangen. Es waren Warnschüsse, bewusst oder unbewusst abgefeuert, die eine unbequeme Wahrheit offenbarten: Die hochgerüsteten Armeen des Westens sind auf diese Art der asymmetrischen Bedrohung kaum vorbereitet.

In Washington versuchte Präsident Trump nach diesen Vorfällen, mit wirtschaftlichem Druck gegenzusteuern. Seine Forderung, alle NATO-Staaten sollten den Kauf russischen Öls einstellen, klang auf dem Papier logisch, stieß in der Realität jedoch auf erhebliche Widerstände. Die Türkei, seit 2023 drittgrößter Abnehmer russischen Öls nach China und Indien, balanciert zwischen ihrer NATO-Mitgliedschaft und eigenen wirtschaftlichen Interessen. Ungarn und die Slowakei, abhängig von russischen Energielieferungen, zögern, sich dem Diktat aus Washington zu beugen. Die angedrohten Zölle von 50 bis 100 Prozent auf chinesische Waren mögen als Drohkulisse funktionieren, doch ihre tatsächliche Umsetzung würde einen Handelskrieg entfesseln, dessen Kollateralschäden unabsehbar wären.

Währenddessen perfektioniert Russland seine Drohnendoktrin weiter. Die neu gegründete Eliteeinheit „Rubikon“ experimentiert mit Schwarmtaktiken, bei denen Dutzende Drohnen koordiniert agieren, sich gegenseitig Ziele zuweisen, eigenständig Ausweichmanöver fliegen. Pläne für einen eigenen militärischen Zweig namens „Drohnenkräfte“ liegen bereits in Moskauer Schubladen. Es ist die Vision eines Krieges, in dem Menschen zu Zuschauern ihrer eigenen Vernichtung werden, orchestriert von Algorithmen und ausgeführt von seelenlosen Maschinen.

Ein russischer Soldat des Rubicon-Zentrums bereitet eine Molniya-Angriffsdrohne für den Start vor.

Das Rubicon-Zentrum für fortgeschrittene unbemannte Technologien, das im August 2024 auf Befehl des russischen Verteidigungsministers Andrei Beloussow gegründet wurde, gilt als Schaltzentrale der russischen Drohnenkriegsführung. Es vereint Ausbildung, Analyse, Forschung und Kampfeinsatz: Hier werden UAV-Instruktoren ausgebildet, Daten aus der Front ausgewertet, neue Systeme entwickelt und unmittelbar in den Einsatz gebracht. Rubicon bricht mit der starren Kommandostruktur der russischen Armee und agiert eher wie ein Technologieunternehmen – schnell, flexibel, experimentierfreudig. Seine Einheiten setzen modernste Aufklärungs- und Angriffs-UAVs ein, von Lancet bis Molniya, und sind in fast allen Frontabschnitten präsent. Für die ukrainische Seite bedeutet ihre Ankunft spürbaren Druck auf die Logistik – doch trotz ihrer Professionalität sind Rubicons Kämpfer nicht unbesiegbar, wie der Azov-Kommandeur „Bud“ betont: Sie müssen methodisch bekämpft werden wie jede andere Einheit.

Russische Gefechtsstand-Anzeige eines Lageerfassungssystems mit einem von Radar erfassten ukrainischen Drohnensignal.

Die Ukraine wehrt sich mit bemerkenswertem Einfallsreichtum. Neue Abfangdrohnen, ausgestattet mit Radar und künstlicher Intelligenz, jagen ihre russischen Gegenstücke wie Raubvögel ihre Beute. Erst am Sonntag gelang ein spektakulärer Gegenschlag: Ukrainische Drohnen trafen eine große Ölraffinerie in der Nähe von St. Petersburg. Elektronische Kriegsführung wird zur Kunstform erhoben, ukrainische Hacker dringen in russische Drohnennetzwerke ein, übernehmen die Kontrolle, lenken die Angreifer zurück über die Grenze. Doch für jeden technologischen Fortschritt gibt es eine Gegenantwort, für jede neue Verteidigungstaktik eine verbesserte Angriffsmethode. Es ist ein endloser Kreislauf der Innovation, angetrieben von der grausamen Logik des Krieges. In den Trümmern eines kürzlich von Drohnen getroffenen Wohnblocks in Charkiw stand eine alte Frau und starrte auf das, was einmal ihr Zuhause war. Sie erzählte von der Nacht, als der Himmel zu summen begann, wie ein gigantischer Bienenstock, der über der Stadt schwebte. Sie beschrieb das Gefühl der Hilflosigkeit, als die ersten Explosionen die Fenster zerspringen ließen, als die Wände zu beben begannen, als die Welt, die sie kannte, in Staub und Asche versank. Ihre Geschichte ist eine von Tausenden, jede einzelne ein Zeugnis dafür, wie der Drohnenkrieg die Grenze zwischen Front und Heimat, zwischen Kombattanten und Zivilisten vollständig aufgelöst hat.

Die strategischen Implikationen dieser Entwicklung reichen weit über den aktuellen Konflikt hinaus. Militärexperten weltweit studieren die Lektionen aus der Ukraine, überarbeiten ihre Doktrinen, investieren Milliarden in Drohnenabwehr und eigene Schwarmtechnologien. Was wir erleben, ist nicht weniger als eine Revolution in der Kriegsführung, vergleichbar mit der Einführung des Schießpulvers oder der Entwicklung der Luftwaffe. Der Unterschied: Diese Revolution vollzieht sich nicht über Jahrzehnte, sondern in Monaten, getrieben von der unerbittlichen Dynamik eines Krieges, der keine Pause kennt.

In der Nacht vom 9. auf den 10. September 2025 drangen rund 19 bis 23 russische Drohnen in den polnischen Luftraum ein, was den bisher größten dokumentierten Vorfall dieser Art darstellt. Polnische und NATO-Einheiten schossen nach offiziellen Angaben bis zu vier der Drohnen ab, während die übrigen weiterflogen oder später als Wrackteile in Feldern und Wäldern gefunden wurden. Die Staatsanwaltschaft in Lublin erklärte, dass in keinem der geborgenen Flugkörper Sprengstoff entdeckt wurde – was darauf hindeutet, dass es sich teilweise um Täuschkörper handelte. Der Vorfall führte zu einer scharfen Reaktion Warschaus und erneuten Konsultationen mit den NATO-Partnern.

Die internationale Gemeinschaft ringt um Antworten. Bei der Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats nach den Drohnenvorfällen über Polen hieß es, man werde „jeden Zentimeter NATO-Territorium verteidigen“. Die G7-Finanzminister hatten bereits am 12. September gefordert, Länder, die russisches Öl kaufen, mit Zöllen zu belegen. Sie diskutieren über eingefrorene russische Vermögenswerte und deren mögliche Verwendung für den Wiederaufbau der Ukraine, doch die Summen, um die es geht, verblassen angesichts der schieren Zerstörungskraft, die jeden Tag aufs Neue entfesselt wird. Großbritannien ergriff diese Woche konkrete Maßnahmen: Das Verbot dutzender Schiffe, die für russische Öltransporte genutzt worden sein sollen, sowie neue Sanktionen gegen Personen und Unternehmen, die Rüstungs- und Dual-Use-Güter lieferten.

Das Haus von Tomasz Wesolowski in Polen wurde am Morgen des 10. September 2025, 6:30 Uhr in dem Dorf Wyryki-Wola getroffen, als eine Drohne einschlug.

Obwohl polnische Behörden und internationale Beobachter davon ausgehen, dass es sich um russische Drohnen handelte, gibt es bislang keine endgültige offizielle Bestätigung, dass genau das Objekt, das das Haus in Wyryki-Wola traf, aus Russland kam. Ebenso ist unklar, ob der Einschlag ein gezielter Angriff war oder ob die Drohne durch technische Probleme oder Navigationsfehler vom Kurs abkam.

Besonders perfide ist die psychologische Dimension dieses Krieges. Die Drohnen kommen nachts, wenn die Menschen am verwundbarsten sind, wenn Kinder in ihren Betten liegen sollten, wenn Familien Schutz in ihren Häusern suchen. Sie verwandeln den Himmel, einst Symbol für Freiheit und Weite, in eine Quelle konstanter Bedrohung. Das monotone Surren ihrer Motoren wurde zum Soundtrack einer kollektiven Traumatisierung, die Generationen prägen wird. Psychiater in der Ukraine berichten von einer Epidemie der Angststörungen, von Kindern, die bei jedem Motorengeräusch in Panik geraten, von Erwachsenen, die nicht mehr schlafen können, selbst wenn die Nächte ruhig sind.

Die wirtschaftlichen Kosten dieser neuen Form der Kriegsführung sind paradox: Für den Angreifer sind sie minimal – eine Shahed-Drohne kostet in der Massenproduktion vielleicht 20.000 Dollar. Für den Verteidiger sind sie astronomisch – jede Patriot-Rakete, die zur Abwehr eingesetzt wird, kostet ein Vielfaches, ganz zu schweigen von den Kosten für Radar, Personal, Infrastruktur. Es ist eine Asymmetrie, die die traditionellen Kalkulationen militärischer Macht auf den Kopf stellt. David gegen Goliath, nur dass David tausende von Steinen hat und Goliath für jeden Schild ein Vermögen ausgeben muss.

Shahed – 136

Die Shahed-136, in Russland als „Geran-2“ bekannt, ist zur Chiffre eines neuen Krieges der Nerven geworden. Die vom iranischen Hersteller HESA entwickelte Kamikaze-Drohne ist nur 3,5 Meter lang, wiegt rund 200 Kilogramm und trägt einen Sprengkopf von bis zu 50 Kilogramm. Ihr einfacher Propellermotor erlaubt Reichweiten von bis zu 2.500 Kilometern – genug, um tief ins Hinterland vorzudringen. Russland setzt sie in dichten Schwärmen ein, oft dutzendfach gleichzeitig, um gegnerische Luftabwehr zu überlasten. Sie folgt programmierten GPS-Koordinaten, kann im Flug umgelenkt werden und stürzt sich am Ende wie eine Präzisionsbombe auf das Ziel: Energieanlagen, Radarstationen, Munitionsdepots oder Wohnhäuser. Ihre Wirkung ist doppelt: militärisch begrenzt, psychologisch enorm. Das dröhnende Sirren in der Nacht, der Moment des Einschlags, die billige Reproduzierbarkeit dieser Waffen – all das macht die Shahed-136 zu einem Instrument des Schreckens, das weniger auf Präzision als auf permanente Bedrohung setzt.

In Moskau feiert man diese Entwicklung als Triumph russischer Ingenieurskunst und strategischer Weitsicht. Propagandavideos zeigen stolze Arbeiter in Drohnenfabriken, Schüler, die patriotisch Bauteile zusammenfügen, Generäle, die vor Karten stehen, auf denen Drohnenschwärme wie Pfeile auf ukrainische Städte zurasen. Es ist die Inszenierung eines technologischen Erwachens, die Suggestion, dass Russland nicht trotz, sondern wegen der westlichen Sanktionen innovativ geworden ist. Die Realität – die Abhängigkeit von iranischem Know-how und chinesischen Komponenten – wird dabei geflissentlich verschwiegen.

Putin und seine Entourage bei der Inspektion in den Produktionsstätten für Drohnen

Was bedeutet all dies für die Zukunft, wie krank das auch in angeblich zivilisierten Zeiten klingen mag, des Krieges – nicht nur dieses Krieges, sondern des Krieges an sich? Wir stehen am Beginn einer Ära, in der Konflikte nicht mehr von der Anzahl der Soldaten oder Panzer entschieden werden, sondern von der Produktionskapazität für autonome Waffensysteme. Eine Ära, in der die Grenze zwischen Krieg und Frieden verschwimmt, in der Drohnenschwärme jederzeit und überall zuschlagen können. Eine Ära, in der die traditionellen Regeln der Kriegsführung, mühsam über Jahrhunderte entwickelt, obsolet werden.

Russlands Entwicklung satellitenunabhängiger Navigationssysteme für Drohnen ist weniger technologische Pionierarbeit als eine direkte Reaktion auf die empfindlichen Verluste der letzten Jahre. Seit 2022 suchen russische Entwickler nach Wegen, die massiven GPS- und GLONASS-Störungen der Ukraine zu umgehen, die viele Drohnen einsatzunfähig machten. 2023 folgten erste Prototypen von BINS-Modulen – kompakten Inertialnavigationssystemen, die zwar technisch beeindruckend sind, aber auch den Krieg autonomer machen. Mit dem Navigationsmodul Bur-P und Experimenten zur Sensorfusion sollte das System präziser werden, ohne auf Satellitensignale angewiesen zu sein.

2024 präsentierte Moskau die Ergebnisse stolz auf der Militärmesse „Армия-2024“: Drohnen, die selbst ohne GLONASS- oder GPS-Signal mehrere Kilometer weit navigieren konnten. Kritiker warnten bereits damals, dass solche Systeme Angriffe auf kritische Infrastruktur noch schwerer abzuwehren machen würden. Parallel begann der militärisch-industrielle Komplex, die Technik in Partnerprogrammen mit privaten UAV-Herstellern zu erproben – eine enge Verzahnung von Staat und Rüstungsindustrie, die auf eine schnelle Serienproduktion abzielt.

2025 schließlich verkündete Russland erfolgreiche Tests mit dem UAV HEXA-KRAN und VTOL-Modellen und kündigte an, die Technik zu einem Plug-and-Play-Modul weiterzuentwickeln, das sich ohne Eingriffe in die Firmware nachrüsten lässt. Damit rückt eine Drohnenflotte in greifbare Nähe, die selbst in elektronisch „blinden“ Lufträumen operieren kann. Für die Verteidiger bedeutet das: Noch mehr Ziele, die schwer zu stören sind – und ein weiterer Schritt hin zu automatisierten Angriffen, deren politische und ethische Kontrolle kaum noch gewährleistet ist. Damit wird die Entwicklung auch zu einem sicherheitspolitischen Problem: NATO-Analysten warnen, dass solche Systeme die Schwelle für grenzüberschreitende Drohnenangriffe weiter senken könnten, weil sie selbst bei massivem GPS-Jamming zuverlässig ihr Ziel finden. Die OSZE sieht darin ein eskalierendes Wettrüsten im Bereich autonomer Waffensysteme, das neue Kontrollmechanismen und völkerrechtliche Regeln erfordert, um unkontrollierte Angriffe auf zivile Infrastruktur zu verhindern.

Die Lehren aus der Ukraine werden bereits gezogen, in Militärakademien von Peking bis Pentagon. Länder, die sich bisher auf konventionelle Streitkräfte verlassen haben, investieren hastig in Drohnentechnologie. Der Rüstungswettlauf des 21. Jahrhunderts wird nicht um Atomwaffen geführt, sondern um künstliche Intelligenz und Schwarmtechnologie. Es ist eine Büchse der Pandora, die, einmal geöffnet, nicht mehr geschlossen werden kann. Während die Diplomaten noch über Waffenstillstände verhandeln, während Trump mit Zöllen droht und Putin seine Produktionszahlen steigert, geht der Krieg der Drohnen weiter. Jede Nacht steigen sie auf, diese gesichtslosen Sendboten des Todes, summen durch die Dunkelheit, suchen ihre Ziele. Jede Nacht wachen Menschen in der Ukraine auf vom Heulen der Sirenen, rennen in Keller und U-Bahn-Schächte, beten, dass es diesmal nicht ihr Haus, ihre Straße, ihre Familie trifft.

Der ukrainische Präsident Selenskyj, der noch im vergangenen Jahr gegenüber Trump um Langstreckenwaffen bat für den Fall, dass Russland einen Waffenstillstand ablehnt, steht heute vor einer noch fundamentaleren Herausforderung: Wie verteidigt man eine Nation gegen einen Feind, der nicht müde wird, der keine Moral kennt, der in beliebiger Zahl reproduziert werden kann? Die Antwort auf diese Frage wird nicht nur über das Schicksal der Ukraine entscheiden, sondern über die Art, wie Kriege in diesem Jahrhundert geführt werden.

In diesen Septembernächten, während irgendwo über den Ebenen der Ostukraine wieder die Drohnen summen, während in Moskauer Fabriken die nächste Generation von Killermaschinen vom Band läuft, während in Washington über Sanktionen debattiert wird, kristallisiert sich eine bittere Erkenntnis: Wir sind Zeugen nicht nur eines Krieges zwischen zwei Nationen, sondern eines Wendepunkts in der Geschichte der menschlichen Konfliktführung. Die Zukunft ist angekommen, und sie trägt den Klang von tausend summenden Motoren in der Nacht.

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Ela Gatto
Ela Gatto
1 Monat zuvor

Trump verliert die Geduld, Trump ist enttäuscht von Putin ….. das geht seit Wochen so.
Aber gegen Russland wurde bisher keine Sanktionen erhoben. Auch keine Zollsyeuern.
Stattdessen sollen die anderen NATO Länder kein russische Gas und Öl mehr kaufen.

Ich habe die größte Hochachtung vor den tapfere Ukrainern.
Die irgendwie von Allen im Stich gelassen werden, weil die Hilfen zu spät und nicht im erforderlichen Umfang erfolgen.

Und Europa ist in Keinster Weiße auf Russlands Kriegsmaschinerie vorbereitet.
Man kann sagen „sehenden Auges in den Abgrund“.

Alleine die Tasache, dass nur ein Bruchteil der russische Drohnen abgefangen wird und es dann noch klein geredet wird, dass es nicht sicher sei, dass es russische Drohnen sind und es könnte ja ein Fehler in der Steuerung gewesen sein.
Hören die, wie dumm das klingt und ist?

Und in Deutschland fliegen russische Drohnen vollkommen unbehelligt, weil sich keiner zuständig fühlt.
Das nächste Mal sind sie vielleicht bewaffnet.

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