Der Abgrund unter uns

VonRainer Hofmann

April 24, 2025

Tiefseebergbau als Grenzfall zwischen Fortschritt und Zerstörung

Am 24. April 2025 unterzeichnete Präsident Donald Trump eine Executive Order, die nichts weniger verspricht als die industrielle Erschließung des letzten unberührten Raumes unseres Planeten: der Tiefsee. In nüchternen Worten heißt es darin, man wolle die „Erkundung, Sammlung und Verarbeitung kritischer Mineralien beschleunigen“ (“to expedite the exploration, collection, and processing of critical minerals”). Das klingt nach Modernisierung. Nach nationaler Sicherheit. Nach wirtschaftlicher Autonomie. Tatsächlich jedoch könnte es der Auftakt zu einer ökologischen und rechtlichen Katastrophe sein, deren Ausmaß wir noch nicht begreifen.

Die Vereinigten Staaten berufen sich bei ihrer Genehmigungspraxis auf den „Deep Seabed Hard Mineral Resources Act“ (DSHMRA), verabschiedet 1980, kodifiziert unter 30 U.S.C. § 1401 ff.. Dort heißt es:

„The United States recognizes the need for a stable legal framework for the exploration and commercial recovery of hard mineral resources from the deep seabed.“ („Die Vereinigten Staaten erkennen die Notwendigkeit eines stabilen rechtlichen Rahmens für die Erkundung und kommerzielle Gewinnung harter mineralischer Rohstoffe aus der Tiefsee an.“)

Das Gesetz gibt US-Unternehmen das Recht, unter Aufsicht der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA), Explorations- und Abbaulizenzen für Ressourcen in internationalen Gewässern zu beantragen. Die konkreten Durchführungsbestimmungen finden sich in Title 15 of the Code of Federal Regulations, Part 970 (Titel 15 des US-amerikanischen Gesetzesregisters, Abschnitt 970).

Doch während die USA unilateral ihre Interessen formulieren, verweigern sie sich einem zentralen internationalen Regelwerk: dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über das Seerecht (UNCLOS). Dieses wurde von 167 Staaten und der EU ratifiziert, nicht aber von den Vereinigten Staaten. Damit erkennen sie auch die Zuständigkeit der International Seabed Authority (ISA) nicht an, die den Tiefseebergbau außerhalb nationaler Gerichtsbarkeit regeln soll.

Diese Isolation hat Konsequenzen. Wenn ein kanadisches Unternehmen – wie kürzlich geschehen – bei der US-Regierung um Genehmigung bittet, in internationalen Gewässern abzubauen, während die ISA warnt, dies könne gegen internationales Recht verstoßen, dann offenbart sich der juristische Riss, der sich zwischen nationaler Interessenpolitik und globaler Verantwortung auftut.

Die ökologische Front: Was wir zu zerstören drohen

Die wissenschaftliche Kritik am Tiefseebergbau ist klar – und existenziell. Die Internationale Naturschutzunion (IUCN) warnte mehrfach vor „irreversiblen Schäden“ (“irreversible damage”), sollten diese Aktivitäten vorangetrieben werden. Das Aufwühlen des Meeresbodens beim Abbau polymetallischer Knollen – meist in Tiefen von 4000 bis 6000 Metern – zerstört fragile Ökosysteme, die sich über Jahrmillionen entwickelten. Die IUCN schreibt:

„The loss of biodiversity in these largely unexplored habitats may be permanent.“ („Der Verlust der biologischen Vielfalt in diesen weitgehend unerforschten Lebensräumen könnte dauerhaft sein.“)

Hinzu kommt die Verwirbelung von Sedimenten, die sich über weite Strecken ausbreiten und das Nahrungsnetz stören. Auch der mögliche Austritt von CO₂ und Methan aus aufgewühlten Sedimenten wird zunehmend als klimapolitisch relevant eingestuft – mit potenziell messbaren Auswirkungen auf die globale Erwärmung.

Gesetzgebung gegen die Zukunft?

Zwar verpflichtet das US-Recht Unternehmen zur Vorlage eines „environmental impact statement“ (Umweltverträglichkeitsprüfung, 15 CFR § 970.204), doch fehlen klar definierte ökologische Mindeststandards für den Schutz der Tiefsee. Das entspricht einem regulatorischen Vakuum. Die Umweltprüfung liegt – de facto – in der Hand jener Behörden, die gleichzeitig zur Beschleunigung des Abbaus angehalten werden.

Trump selbst formulierte es in seiner Anordnung mit den Worten:

„Federal agencies shall expedite the permitting process for commercial deep-sea mining on the Outer Continental Shelf.“ („Bundesbehörden sollen das Genehmigungsverfahren für den kommerziellen Tiefseebergbau am äußeren Kontinentalschelf beschleunigen.“)

Hier wird deutlich: Geschwindigkeit ersetzt Sorgfalt. Nationale Souveränität ersetzt multilaterale Koordination. Und wirtschaftliches Interesse ersetzt den ökologischen Diskurs.

Der Planet als Restposten

Der Meeresboden war einst Tabu. Heute ist er Rohstoffquelle, geostrategische Ressource, Projektionsfläche wirtschaftlicher Hegemonie. Doch seine Erschließung ist nicht Fortschritt, sondern Rückschritt – ein ökonomisches Wettrennen ohne ökologisches Ziel. Wer dort gräbt, gräbt nicht nur in dunkler Materie, sondern auch in moralischer Tiefe.

Was bleibt, ist die Forderung nach einem globalen Moratorium. Keine Lizenz, keine Baggerschaufel, kein Exportvertrag – solange nicht geklärt ist, wie wir die Tiefsee schützen können, bevor wir sie zerstören. Der Abgrund unter uns ist nicht geologisch. Er ist politisch.

Denn wer die Tiefsee erobert, ohne sie zu verstehen, beweist nur eines: dass seine Zukunft nicht unter Wasser liegt, sondern unter der Erde – mit dem Fossil eines Weltbilds, das die Natur nicht als Mitwelt, sondern als Rohstofflager sieht.

Gesetzliche Verweise:

Deep Seabed Hard Mineral Resources Act (30 U.S.C. § 1401 ff.)

Code of Federal Regulations, Title 15, Part 970

Executive Order 14098 (April 2025)

UNCLOS (1982), Art. 137–145

IUCN Reports on Deep-Sea Mining (2022–2024)

NOAA Seabed Mining Regulatory Guide

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