Der Abgrund nach dem Sturz – Warum Trumps Venezuela-Kurs ein Land ins Ungewisse treiben könnte

VonRainer Hofmann

November 21, 2025

Washington hat längst entschieden, wohin die Reise gehen soll. Donald Trump beschreibt Nicolás Maduro als Gesetzlosen, als Feind der Vereinigten Staaten, und er hat Kriegsschiffe, Flugzeuge und Spezialverbände so dicht an die venezolanische Küste herangeführt, dass niemand mehr bezweifeln kann, was diese Botschaft bedeutet. Doch hinter diesem martialischen Auftreten steht ein Befund, der im Weißen Haus erstaunlich wenig Beachtung findet: Die eigenen Behörden haben schon in Trumps erster Amtszeit glasklar durchgespielt, wie ein Sturz Maduros verlaufen würde. Und ihre Prognose ist alles andere als das, was die Falken um den Präsidenten hören wollen.

USS Gerald R. Ford – USS Mahan – USS Bainbridge – USS Winston S. Churchill – USS Lake Erie – USS Gettysburg – USS Stockdale – USS Gravely – USS Iwo Jima – USS Fort Lauderdale – USS San Antonio – USS Wichita sowie, nach unserem Stand: 2 U-Boote

Die amerikanischen Planspiele waren keine hastig zusammengeschusterten Szenarien, sondern mehrtägige Übungen mit Experten aus Pentagon, Außenministerium und Nachrichtendiensten. Douglas Farah, einer der Teilnehmer, legte bereits 2019 offen, was die Runden ergaben: Jeder denkbare Weg – ob ein Aufstand, ein Militärputsch oder ein direktes Eingreifen der USA – würde das ohnehin fragile System Venezuelas zerreißen. Die staatlichen Strukturen, ohnehin ausgehöhlt durch Korruption und Gewalt, würden in wenigen Tagen zusammenbrechen. Es gäbe keinen verlässlichen Befehlskern in der Armee, keine funktionierende Polizei, keine Institution, die auch nur ansatzweise Ordnung sichern könnte. Das Land, so Farah, würde in eine Phase stürzen, in der Plünderungen, Machtkämpfe und bewaffnete Gruppen den Takt vorgeben.

US-Militärflugzeuge fliegen äußerst dicht an der venezolanischen Küste entlang

Dass diese Warnung alles andere als übertrieben ist, zeigt der Blick über die Grenzen. Auf kolumbianischer Seite operieren Tausende Kämpfer der ELN – gut bewaffnet, kampferfahren und bereit, Maduro militärisch zu unterstützen. Sie haben Sprengsätze, Drohnen und ein Netzwerk, das sich tief in die Grenzregionen verzweigt. Dazu kommen regimetreue Milizen im Landesinneren, die seit Jahren ausgehoben, bewaffnet und politisch indoktriniert wurden. Niemand weiß, wen sie im Falle eines Machtvakuums bekämpfen würden – aber sicher ist, dass sie sich nicht widerstandslos einer neuen Regierung beugen.

Trumps Lager verweist gern auf historische Beispiele, doch die eignen sich kaum zur Beruhigung. Die Invasion Panamas 1989, bei der amerikanische Streitkräfte Manuel Noriega festsetzten, wird gelegentlich als Modell herangezogen. Doch Panama ist winzig im Vergleich zu Venezuela, und selbst dort brach nach der Operation Protest auf Protest los. Der eingesetzte Präsident Endara konnte sich kaum halten, sein Ansehen sank rapide, und Washington wandte sich ab, als es unbequem wurde. In Haiti spielte sich 1994 eine ähnliche Szene ab – nur mit dem Unterschied, dass die Stabilisierung dort 25.000 Soldaten brauchte. Übertragen auf Venezuela wäre die Truppenstärke gigantisch.

Trump: „Ich mag die Leute nicht, die in Venezuela regieren.“

Trotz all dieser Mahnungen treibt der Präsident seinen Kurs voran. Seit September haben die USA 21 Luft- und Seeangriffe gegen Boote vor der venezolanischen Küste geflogen und mindestens 83 Menschen getötet, die laut Darstellung des Weißen Hauses im Drogenschmuggel aktiv waren. Trump warnt Maduro öffentlich, er werde alles tun, um den „Drogenkrieg“ zu stoppen und schließt eine Bodeninvasion nicht aus. Er deutet Gesprächsbereitschaft an, hält sich aber zugleich jede Eskalationsstufe offen. Die Unschärfe seiner Aussagen ist keine Nebensache – sie ist das eigentliche Programm.

Maduro stärkte seine Machtbefugnisse mit einem neuen Dekret, das ihm umfassende Sicherheitsrechte im Fall einer US-Intervention gibt

Dabei steht mit der nicht unumstrittene María Corina Machado eine Oppositionsführerin bereit, die international angesehen ist und eine klare Mehrheit hinter sich weiß. Ihr Sieg bei der Wahl 2024 wurde durch Maduros Machtapparat ausgehebelt, ihr Mandat sitzt dennoch fest im Land. Machado verspricht eine geordnete Übergangsphase, einen Neuaufbau der Institutionen und eine Abrechnung mit den Verbrechen des Regimes. Doch schon der erste Schritt wäre ein Kraftakt. Ein erheblicher Teil des Staatsapparats wurde in zwei Jahrzehnten bewusst auf persönliche Loyalität zu Maduro aufgebaut. Viele Militärs fürchten Vergeltung, sollten sie eine Übergangsregierung unterstützen. Ein Teil der Sicherheitskräfte könnte sofort in den Untergrund gehen – oder offen gegen eine neue Führung kämpfen.

Venezolanische Militärangehörige trainieren Zivilisten

Die Gefahr eines Bürgerkriegs ist nicht theoretisch, sondern real. Die Crisis Group, eine der seriösesten Konfliktforschungsorganisationen weltweit, geht von einem langwierigen, schwelenden Konflikt aus, in dem Stadtviertel, Provinzen und Grenzregionen von unterschiedlichen bewaffneten Akteuren kontrolliert werden könnten. Ein Land, doppelt so groß wie Kalifornien, wäre unmöglich ohne massive internationale Präsenz zu stabilisieren. Und selbst wenn Maduro zur Aufgabe gedrängt würde, wäre nicht geklärt, wohin er gehen könnte. Gegen ihn läuft ein Verfahren am Internationalen Strafgerichtshof; Flucht in ein befreundetes Land schützt nicht. Somoza in Nicaragua glaubte 1979, in Paraguay sicher zu sein – ein Jahr später lag er mitten in Asunción erschossen im Auto, getroffen von Kugeln und einer Panzerfaust. Dieses Beispiel ist im Dunstkreis Maduros präsent. Trump und seine Berater gehen dennoch davon aus, dass steigender Druck den Diktator vertreiben wird. Doch die Planspiele zeigen das Gegenteil: Ein paar Bombardements, ein paar Spezialkräfte – das reicht nicht, um ein Staatssystem zu ersetzen. Wenn die Macht kollabiert, entsteht ein Raum, in dem Gewalt, Rache und bewaffnete Gruppen den Ton bestimmen. Hunderttausende Menschen könnten erneut fliehen, Südamerika wäre mit einer weiteren Migrationswelle konfrontiert, die größer sein könnte als alles, was die Region bisher erlebt hat.

Was bleibt, ist ein bitterer Widerspruch. Die USA sehen sich als Ordnungsmacht – doch ihre eigene Analyse zeigt, dass ein überstürzter Sturz Maduros ein ganzes Land in einen jahrelangen Strudel reißen könnte. Die Vereinigten Staaten verletzen in der Venezuela-Frage das Völkerrecht in einer Klarheit, die keinen Zweifel mehr zulässt. Die UN-Charta verbietet jede Drohung mit Gewalt, jede militärische Einmischung und erst recht das Planen eines Sturzes einer Regierung. Doch Washington setzt genau darauf: Kriegsschiffe vor der Küste, gezielte Schläge, ausgearbeitete Szenarien für einen Machtsturz. Venezuelas Souveränität wird behandelt, als könne man sie nach Belieben umgestalten. Damit bricht die US-Regierung bewusst die zentralen Grundregeln der internationalen Ordnung – und sie macht nicht einmal den Versuch, es zu verbergen. Doch eines steht fest: Wer in ein solches Land eingreift, ohne den Morgen danach zu kennen, zündet die Lunte an einem Pulverfass und hofft, dass es nicht explodiert. Genau diese Hoffnung aber hat schon an vielen Orten der Welt nicht getragen. Und Venezuela könnte das nächste Kapitel werden.

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