Das Schweigen der Geschworenen – Wie eine Richterin Trumps Offenlegungswunsch im Fall Epstein zurückweist

VonRainer Hofmann

Juli 23, 2025

Es war ein Moment, auf den viele gewartet hatten – manche mit Hoffnung, andere mit Angst. Doch als der Beschluss fiel, war er ebenso deutlich wie endgültig: Eine Bundesrichterin hat am Mittwoch einen Antrag der Trump-Regierung abgelehnt, die geheimen Protokolle der Grand Jury im Fall Jeffrey Epstein aus den frühen 2000er-Jahren in Florida freizugeben. Die Begründung ist ebenso knapp wie unmissverständlich: Die gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen, die eine Veröffentlichung solcher Unterlagen ermöglichen würden, seien nicht gegeben. Die Geschworenenakten bleiben damit versiegelt. Vorerst. Der Entscheid fällt mitten in eine politische Konstellation, die selbst kaum dramatischer sein könnte: Während Präsident Trump öffentlichkeitswirksam die totale Aufklärung im Epstein-Komplex fordert – und dabei gezielt Verschwörungstheorien über vertuschte Beweise, angeblich verschwundene Überwachungsvideos und einen „Täterstaat Obama“ befeuert –, pocht die Justiz auf das, was sie als Grundpfeiler ihrer Arbeit begreift: das Gesetz. Die Aufzeichnungen der Grand Jury unterliegen in den Vereinigten Staaten einem besonders strengen Schutz. Nur in eng umrissenen Ausnahmefällen – etwa zur Verhinderung eines Justizirrtums – können sie überhaupt zur Veröffentlichung freigegeben werden. Die nun beantragte Veröffentlichung hingegen, so die Richterin, diene nicht der Wahrheitssuche, sondern vielmehr der öffentlichen Stimmungslage. Na, da sind wir ja jetzt richtig überrascht – damit hätten wir nun wirklich nie gerechnet (zynisch).

Letztere war in den vergangenen Wochen aufgeladen wie selten. Trump-nahe Kreise sprechen von einer groß angelegten Vertuschung, von „Kassetten“ mit belastendem Material gegen Prominente, von versteckten Listen, die „die ganze Elite“ entlarven würden. Und es sind nicht nur anonyme Telegram-Kanäle, die diese Narrative befeuern. Auch aus dem Zentrum der Macht kommen entsprechende Signale: Die Leiterin der nationalen Nachrichtendienste, Tulsi Gabbard, trat fast zeitgleich mit der Bekanntgabe des Gerichtsentscheids vor die Presse – nicht etwa, um diesen zu kommentieren, sondern um einen Report des Repräsentantenhauses zu preisen, der nach ihrer Lesart „die Realität russischer Wahleinmischung 2016 widerlege“. Dass der Bericht in Fachkreisen hochumstritten ist und auf fragwürdigen Quellen basiert, spielt dabei kaum noch eine Rolle. Für Gabbard und Trump geht es um eine andere Geschichte – ihre Geschichte. Denn wer über Epstein spricht, spricht in diesen Tagen fast zwangsläufig auch über Macht, Ablenkung und die Konstruktion öffentlicher Wirklichkeit. Während Trumps Justizministerium medienwirksam die Freigabe längst vergangener Dokumente fordert, bleibt es auffällig still zu den hunderten Seiten neuer Ermittlungsunterlagen, die sich in anderen Bundesstaaten auftürmen – etwa in New York, wo ein paralleler Antrag auf Offenlegung noch aussteht. Auch dort liegen Grand Jury-Protokolle unter Verschluss, auch dort tobt ein juristisches Ringen zwischen Transparenz und Schutz der Verfahren. Doch wo Florida nun klare Grenzen zieht, bleibt New York vorerst im Ungewissen. Ein Aktenzeichen wurde in den bisher zugänglichen Berichten nicht genannt, aber es handelt sich um das Gesuch zur Freigabe von Protokollen aus den Jahren 2005 und 2007 am U.S. District Court for the Southern District of Florida, Standort West Palm Beach.

(„Die Regierung räumt dies in ihrer Petition ein. Sie erkennt an, dass das ‚Justizministerium anerkennt, dass dieses Gericht an die Entscheidung in Pitch gebunden ist‘ und dass es ‚dieses Argument aufgrund der Bedeutung der Angelegenheit und zur Wahrung der Möglichkeit einer Berufung vorbringt‘.“ (Petition, Absatz 6). In ihrer ergänzenden Stellungnahme erkennt die Regierung zudem an, dass ‚die Rechtsprechung des Eleventh Circuit feststellt, dass keine Ausnahme außerhalb der ausdrücklich in Regel 6 genannten Tatbestände ein Gericht dazu ermächtigt, Materialien der Grand Jury öffentlich zu machen.‘ (Ergänzende Stellungnahme, S. 3). Schließlich erkennt die Regierung an, dass dieses Gericht keine bindende Rechtsprechung des Eleventh Circuit außer Kraft setzen kann. (Id.: „[Die Regierung erkennt zudem an, dass in diesem Gerichtsbezirk nur eine Entscheidung des gesamten Berufungsgerichts (en banc), oder des Obersten Gerichtshofs diese Rechtsprechung aufheben kann.“) In Übereinstimmung mit Pitch = Name eines früheren Gerichtsverfahrens, und den Zugeständnissen der Regierung wird der Antrag auf Offenlegung daher abgelehnt.)

Für die Opfer von Jeffrey Epstein – viele von ihnen längst nicht mehr jung, einige vom Leben gezeichnet – bleibt die Entscheidung ein ambivalentes Zeichen. Die Versiegelung bewahrt ihre Aussagen, schützt ihre Anonymität, verhindert eine mediale Ausschlachtung. Doch zugleich bleibt damit ein weiterer Teil des Systems im Schatten, das jahrzehntelang wegsah, verharmloste, deckte. Die Justiz verteidigt ihre Integrität, während die Politik mit Nebelkerzen wirft. Vielleicht ist genau das die bittere Pointe dieses Tages: Dass das amerikanische Rechtssystem inmitten der schrillsten Rufe nach Aufklärung gerade durch seine Zurückhaltung Stärke zeigt. Und dass hinter all dem Lärm, den Trump, Gabbard und ihre Getreuen entfalten, eine unbequeme Wahrheit sichtbar wird: Die Gerechtigkeit folgt keinem Algorithmus. Sie folgt dem Gesetz. Und manchmal bedeutet das: warten. Richterin Robin L. Rosenberg, berufen im Jahr 2014 durch Präsident Barack Obama, lehnte den Antrag auf Herausgabe der Grand-Jury-Protokolle im Epstein-Fall in Florida ab.

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