Das Geflecht der Macht – Jeffrey Epstein, Leon Black und die Anatomie einer Abhängigkeit

VonRainer Hofmann

Oktober 18, 2025

Es begann mit einem Lunch in Manhattan und endete in einem System aus Geld, Demütigung und moralischer Erpressung. Jeffrey Epstein, der sich vom Lehrer zum Berater der Superreichen hoch manipulierte, fand in Leon Black seinen treuesten und zugleich verwundbarsten Verbündeten. Über Jahre hinweg zahlte der milliardenschwere Gründer von Apollo Global Management dem Mann, den viele längst für geächtet hielten, Summen in schwindelerregender Höhe – offiziell für „Steuer- und Nachlassberatung“, inoffiziell, um ihn loszuwerden.

Zwischen 2012 und 2017 flossen mehr als 170 Millionen Dollar – und die Dokumente, die aus dieser Zeit überliefert sind, zeigen eine Beziehung, die mit Nähe begann und in Kontrolle mündete. Black, brillant und berechnend, glaubte, er könne sich den Schatten vom Leib kaufen. Epstein hingegen verstand, dass sein größter Reichtum das Wissen über die Sünden anderer war.

Schon Jahre zuvor war die Verbindung persönlicher geworden, als es einem Finanzmann gut ansteht. 2003 schrieb Leon Black zu Epsteins 50. Geburtstag ein Gedicht – handschriftlich, vertraulich, fast liebevoll. Es ist eine Mischung aus Spott, Bewunderung und Codesprache aus der Welt der Reichen:

Anlässlich von Jeffrey Epsteins 50. Geburtstag

Ein V.F.P.C. – das ist, was man sein sollte,
ein V.F.P.C. – das ist, was man sehen sollte.
Ein Lebemann, ein Liebhaber, ein Jeff, ein Jeffrey,
lasst uns alle anstoßen – denn heute wird er fünfzig!

Fünf Jahrzehnte, L, ein halbes Jahrhundert,
mit Vögeln und mit Bucks, C’s und M’s als Schlüssel,
Blond, Rot oder Brünett, geografisch verteilt,
mit diesem Netz aus Fischen ist Jeff nun „Der alte Mann und das Meer“.

Er lehrte Mathematik, handelte Optionen und Währungen,
mit grüner Augenblende, Plänen und einer einzigartigen Steuerstrategie,
ein feuchter Traum auf einem Designersofa, ein wilder Ausflug des Architekten –
Moskau, Paris, Santa Fe, Alhambra East, eine endlose Jamboree.

Das Gedicht ist mehr als eine Laune – es ist ein Fenster in eine Welt, in der Reichtum und Zynismus ununterscheidbar wurden. Black sah in Epstein ein Genie der Systeme, einen Mann, der Türen öffnete, an denen selbst Milliardäre nicht klopfen wollten. Und Epstein verstand, dass er in Black jemanden gefunden hatte, der seinen Einfluss mit Geld verwechselte.

Wer war Leon Black? Ein Sohn russisch-jüdischer Einwanderer, aufgewachsen in New York, geprägt vom Mythos der Wall Street. Er machte Karriere bei der Investmentbank Drexel Burnham Lambert, wo er in den 1980er Jahren mit riskanten Unternehmensübernahmen Millionen verdiente, bevor die Bank im Insiderhandel-Skandal unterging. Aus ihrer Asche gründete Black 1990 Apollo Global Management, eine der mächtigsten Private-Equity-Firmen der Welt. Apollo kaufte notleidende Konzerne auf, sanierte sie und verkaufte sie mit enormen Gewinnen weiter. Black galt als Finanzgenie – kühl, strategisch, kompromisslos. Er war der Mann, der mit Zahlen ganze Imperien lenken konnte, und zugleich einer, der glaubte, nichts könne ihm geschehen.

Nach Epsteins erster Verurteilung 2008 wandten sich fast alle ab – Banker, Politiker, Unternehmer. Nur Leon Black blieb. Er erklärte später, der Fall habe ihn nicht sonderlich schockiert: „Er war mit einer 17-jährigen Prostituierten, wurde verurteilt, bekam ein Jahr Haft – das war’s.“ Es war der Beginn eines zweiten Kapitels, in dem Epstein sein altes Netzwerk in ein privates Geschäftsmodell verwandelte.

Ab 2012 organisierte er Blacks Nachlass, seine Kunstkäufe, seine Stiftungen. Er entwarf Trusts, mit denen hunderte Millionen Dollar steuerfrei an die nächste Generation flossen, konstruierte Scheingeschäfte mit Kunstwerken, plante Transaktionen über Offshore-Gesellschaften. In internen Memos rühmte er sich, Black „bis zu zwei Milliarden Dollar“ an Steuern erspart zu haben. Doch je mehr Geld floss, desto offensiver wurden seine Forderungen.

Am 2. November 2015 schrieb Epstein an Black:

„Ich will keine weiteren unangenehmen Geldmomente mit dir – ich finde das sehr geschmacklos. Also um es klar zu sagen: Ich arbeite nur für die üblichen 40 Millionen Dollar pro Jahr. Diese müssen gezahlt werden – 25 Millionen bei Unterzeichnung einer Vereinbarung, danach alle zwei Monate 5 Millionen für sechs Monate, also März, Mai, Juni. Ich kann im Januar beginnen. Ich werde die Arbeit sofort einstellen, wenn die Zahlung nicht eingeht.“

Eine E-Mail, die weniger nach Dienstleistung als nach Erpressung klingt. Epstein wusste, dass Black ihn nicht einfach abschneiden konnte, ohne die ganze Fassade seiner steuerlichen Konstrukte ins Wanken zu bringen.

Nur wenige Monate später, am 20. März 2016, legte er nach:

„Um dir entgegenzukommen – mir ist deine aktuelle Liquiditätslage sehr bewusst. Deshalb werde ich auch eine Sachleistung in Betracht ziehen – Immobilien (Miami), Kunstwerke oder die Finanzierung meines neuen Flugzeugs (so kannst du es über Jahre strecken) – oder natürlich, wie bevorzugt, Barzahlung.“

Es war der Tonfall eines Mannes, der nicht mehr verhandelte, sondern einforderte. Epstein bot Ratenzahlung an, als wäre Black ein säumiger Schuldner.

Dann, im Herbst 2016, kam die E-Mail, die alles auf den Punkt bringt. Am 15. November 2016 schrieb Epstein:

„Zumindest für ein paar Wochen kann ich keine Zeit zusagen und keine künftigen Pläne machen, um dich bei der Überarbeitung deines durch Aufschiebung entstandenen Durcheinanders zu führen.

Das gesagt, die anstehenden Aufgaben sind folgende: Du hast eine Bombe aus buntem Garn, die deine behinderten Kinder gewickelt haben. Sie muss sehr vorsichtig entwirrt werden.“

Ein Satz wie ein Schlag. Grob, beleidigend, voller Verachtung – aber gesprochen von jemandem, der wusste, dass er es sich leisten konnte.

Epstein war nicht mehr der Dienstleister, sondern der Vollstrecker. Er beleidigte Blacks Familie, beschimpfte dessen Berater, verspottete seine Kanzleien, und trotzdem flossen weiter Millionen. Anfang 2017 gewährte Black ihm noch ein Darlehen über 30 Millionen Dollar – Epstein zahlte nur 10 Millionen zurück. Kurz darauf brach der Kontakt ab.

Doch auch danach, 2018, baten Blacks Mitarbeiter Epstein noch um eine „Überprüfung“ seiner Steuererklärungen – ein letzter Reflex der Abhängigkeit. Wochen später war Epstein tot.

Leon Black überlebte politisch, aber nicht moralisch. Die Beziehung, die als nüchterne Finanzberatung begann, hatte sich in ein Machtspiel verwandelt, das beide ruinierte: den einen äußerlich, den anderen innerlich. Black zahlte, um die Ruhe zu bewahren. Epstein schrieb, um sie zu zerstören.

Was bleibt, sind die Briefe und Mails eines Mannes, der den Reichen die Angst verkaufte – und sie in ihrer eigenen Schuld gefangen hielt. Und das Gedicht, das als Witz begann, liest sich heute wie eine Prophezeiung: Ein „alter Mann und das Meer“ aus Geld, Lügen und Macht – der irgendwann vergaß, wer von beiden wirklich der Gefangene war.

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