Es ist ein leiser Rückzug mit gewaltigen Folgen: Ab dem 30. Juni stellt das US-Verteidigungsministerium die Weitergabe seiner Satellitendaten an Wissenschaftler und Wetterdienste ein – mitten in einer Hurrikansaison, die laut Experten so unberechenbar sein dürfte wie nie zuvor. Was nach einer technischen Randnotiz klingt, ist in Wahrheit ein fundamentaler Einschnitt in die globale Frühwarnarchitektur. Denn die Daten des US-Militärs galten seit Jahrzehnten als unersetzlich – nicht nur für die Sturmanalyse, sondern auch für die Beobachtung von Meereis, Klimaentwicklung und Gletscherdynamik. Jetzt verstummt diese Datenquelle. Und niemand weiß genau, warum. „Ich war überrascht – angesichts der Bedeutung dieser Daten für die Hurrikanvorhersage und das Monitoring von Phänomenen wie dem arktischen Meereis“, sagt Brian Tang, Meteorologe an der University at Albany. Jahrzehntelang hatte das Fleet Numerical Meteorology and Oceanography Center der US Navy die Rohdaten aus den Militärsatelliten aufbereitet und an zivile Stellen wie das Nationale Hurrikanzentrum weitergeleitet. Doch damit ist nun Schluss. Die Satelliten bleiben zwar in Betrieb – aber ausschließlich für den internen Gebrauch des Verteidigungsministeriums. Die zivile Welt schaut künftig in die Röhre.
Offiziell heißt es, es gehe um „Cybersecurity-Bedenken“. Was genau dahintersteckt, sagt niemand. Die Navy schweigt. Die Space Force, zuständig für den Betrieb der Satelliten, verweist darauf, dass keine Budgetkürzungen der Grund seien. Für die Forscher bedeutet das: Unsicherheit. Die meisten stützen sich künftig auf alternative Quellen – etwa ein japanisches Satelliteninstrument, das über eine Kooperation mit der NASA zugänglich ist. Doch die Umstellung braucht Zeit, Kalibrierung, Personal. „Wir dachten, wir hätten bis September. Jetzt bleibt uns nur noch das Wochenende“, klagt Mark Serreze, Leiter des National Snow and Ice Data Center. Besonders bitter: Gerade 2025 erleben die Arktis und Antarktis historische Tiefstände beim Meereis. Datenlücken in diesem Moment sind keine Unannehmlichkeit – sie sind ein Schlag ins Herz der Klimaforschung. Noch gravierender sind die Auswirkungen auf die Hurrikanbeobachtung. Denn anders als bei langfristigen Klimatrends geht es hier um Leben und Tod – in Echtzeit. „Diese Daten sind wie ein MRT für Stürme“, erklärt Tang. Sie zeigen, wie sich ein Auge neu formt, ob ein Sturm gerade an Kraft gewinnt, ob Evakuierungen notwendig werden. Beim Hurrikan Erick, der im Juni auf Mexiko traf, erkannten die Experten dank Pentagon-Daten frühzeitig die massive Intensivierung – die Computermodelle hatten das nicht vorhergesagt. Solche Frühwarnungen könnten in Zukunft fehlen. Und das in einer Zeit, in der tropische Stürme immer schneller eskalieren – oft kurz vor Landfall.
Die NOAA, zuständig für das Nationale Hurrikanzentrum, gibt sich betont gelassen. Man habe „vollwertige eigene Datenquellen“ und könne weiterhin „erstklassige Prognosen“ liefern, so die Kommunikationsdirektorin. Doch intern ist die Nervosität groß. Denn die Wahrheit ist: Kein Sensor schaut rund um die Uhr auf ein bestimmtes Sturmgebiet. Nur durch die Vielzahl von Satelliten – darunter die militärischen – war bisher ein lückenloses Echtzeitbild möglich. Fällt eine Quelle weg, entstehen Leerstellen. Und diese Leerstellen können tödlich sein. Was bleibt, ist das Gefühl eines politischen Kurswechsels unter dem Radar. Während die USA nach außen mit Wetterdaten Macht und Kooperation demonstrierten, setzt das Pentagon nun auf Abschottung. In einer Welt, die mehr Klimainformation braucht denn je, wird plötzlich ein Vorhang zugezogen. Ohne Not. Ohne Erklärung. Und mit unabsehbaren Folgen für Wissenschaft, Sicherheit – und für all jene, die sich dem nächsten Sturm entgegenstellen müssen.