Befehl aus dem Inneren – Pete Hegseths Machtprobe mit Amerikas Generälen

VonRainer Hofmann

September 26, 2025

Pete Hegseth, Trumps Verteidigungsminister, hat die amerikanischen Streitkräfte in einen Schockzustand versetzt. Auf Befehl des Ministers sollen kommende Woche Dutzende Generäle und Admiräle aus aller Welt auf einem Stützpunkt in Virginia zusammenkommen – kurzfristig, ohne erkennbare Begründung. Was sich anhört wie eine Routinebesprechung, trägt in Wahrheit den Charakter einer Machtdemonstration. Vier hochrangige Regierungsbeamte bestätigten das Treffen, das am 30. September in Quantico stattfinden soll. Niemand konnte bislang erklären, weshalb es nötig ist, die Befehlshaber aus aktiven Einsatzgebieten im Nahen Osten, in Afrika oder in Europa nach Hause zu beordern.

Pete Hegseth, überfordert in seiner Rolle als Verteidigungsminister und belastet durch seine Alkoholprobleme, trägt kaum dazu bei, das ohnehin verunsicherte Amerika sicherer zu machen.

Der Befehl kommt in einer Phase, in der Hegseth die obersten Ränge der Armee wie ein Schachbrett neu besetzt. Mehr als ein Dutzend Spitzenoffiziere hat er bereits gefeuert – darunter auffallend viele Frauen und Angehörige von Minderheiten. General Charles Q. Brown Jr., der erste schwarze Vorsitzende der Vereinigten Generalstabschefs, wurde ebenso entlassen wie Admiral Lisa Franchetti, die erste Frau an der Spitze der US Navy. Auch General David Allvin, Chef der Luftwaffe, und Vizeadmiral Shoshana Chatfield, Vertreterin der USA im NATO-Militärausschuss, mussten gehen. Offiziell begründet Hegseth die Entlassungen mit Effizienz: Er will die Zahl der Vier-Sterne-Generäle um 20 Prozent reduzieren, die Generalsebene insgesamt um zehn Prozent schrumpfen lassen. Doch hinter der Formel „Straffung“ verbirgt sich ein rücksichtsloser Umbau, der ethnische Vielfalt und institutionelles Gleichgewicht in den Streitkräften gezielt zurückdrängt.

Gleichzeitig wird in Washington ein neues Verteidigungsdoktrinpapier vorbereitet, dessen Sprengkraft kaum zu überschätzen ist. Der Entwurf der „National Defense Strategy“ liegt bereits auf Hegseths Schreibtisch. Er markiert eine radikale Abkehr von den jahrzehntelangen Prioritäten amerikanischer Sicherheitspolitik. Während frühere Regierungen – Demokraten wie Republikaner – China als größte strategische Herausforderung behandelten, verschiebt Hegseth den Fokus nach innen: Heimatverteidigung und die Sicherung der westlichen Hemisphäre sollen künftig an oberster Stelle stehen. Tatsächlich verdichten sich die Hinweise, dass Hegseths Kurswechsel nicht nur auf internen Anweisungen, sondern auch auf gezielter Einflussnahme konservativer Thinktanks beruht. Ein internes, neunseitiges Übergangsmemo, das ihm unterzeichnet wurde, trägt den Stempel „secret / no foreign national“ und weist nahezu wörtliche Parallelen zu Papieren der Heritage Foundation auf – ein Beleg dafür, wie eng Politik und Ideologie hier verschränkt sind. Parallel dazu existiert ein Memorandum des Verteidigungsministeriums vom 2. Mai 2025, das die Entwicklung der National Defense Strategy in Gang setzte und dabei klar „America First“ und „Peace Through Strength“ als Leitlinien vorgibt und dass der Entwurf den Heimatschutz und die westliche Hemisphäre über die bisherige Fokussierung auf China und Russland stellt, während Defense News betont, dass China zwar im Blick bleibt, jedoch in einem verschobenen strategischen Rahmen. Ergänzt wird dieses Bild durch Kommentare in der sehr rechtskonservativen Washington Times, die die neue Linie als Rückkehr zu einer „America First“-Struktur interpretieren, und durch Analysen des EU-Instituts für Sicherheitsstudien, das anhand durchgesickerter Übergangsdokumente bereits einen „Risikoverzicht“ in Europa und im Mittleren Osten konstatiert – ein deutlicher Hinweis darauf, dass Hegseths Pentagon eine tektonische Verschiebung der amerikanischen Sicherheitsarchitektur vorbereitet.

Diese Verschiebung ist nicht nur eine semantische Akzentsetzung. Sie hat längst konkrete Formen angenommen. Tausende Nationalgardisten wurden in Los Angeles und Washington stationiert, offiziell zur Unterstützung der Polizei. Mehrere Kriegsschiffe und F-35-Kampfjets patrouillieren in der Karibik, angeblich um Drogentransporte zu unterbinden. In internationalen Gewässern griff die US-Marine jüngst ein Boot an und tötete elf mutmaßliche Mitglieder einer venezolanischen Bande – ein Einsatz, der eher nach extralegaler Hinrichtung als nach regulärem Militäreinsatz klingt. Zudem wurde an der Grenze zu Mexiko eine „militarisierte Zone“ eingerichtet, in der Soldaten Zivilisten festsetzen dürfen – eine Aufgabe, die traditionell der Polizei vorbehalten war.

Die Geschichte wird diesen September 2025 als Wendepunkt markieren. Als den Moment, in dem die nach dem Zweiten Weltkrieg mühsam errichtete internationale Rechtsordnung zu sterben begann. Nicht mit einem großen Knall, sondern mit dem Schweigen der Anständigen, während die Skrupellosen morden. In der Karibik treiben keine Drogenpakete. Dort treiben die Leichen des Völkerrechts. Und mit ihnen die Hoffnung, dass die Menschheit aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts gelernt hat. Trump hat nicht nur vierzehn Menschen getötet. Er hat die Idee getötet, dass Recht stärker ist als Macht.

Was als „Neuausrichtung“ verkauft wird, bedeutet in Wahrheit eine Militarisierung der Innenpolitik. Das Pentagon nennt sich inzwischen wieder „Department of War“ – ein symbolischer Schritt, der die Geisteshaltung der neuen Führung offenbart. Die USA ziehen sich nicht nur aus internationalen Verpflichtungen zurück, sie kehren das Verhältnis von außen- und innenpolitischer Sicherheitspolitik um. An die Stelle globaler Bündnistreue tritt eine Fixierung auf nationale Souveränität, an die Stelle internationaler Abschreckung die Militarisierung von Straßenzügen in Los Angeles oder der Gewässer vor Puerto Rico.

Die Einladung nach Quantico ist vor diesem Hintergrund mehr als ein organisatorisches Detail. Sie zwingt die Kommandierenden, die noch in den Einsatzgebieten Verantwortung tragen, auf Heimreise – ein Vorgang, den hochrangige Offiziere als beispiellos bezeichnen. Sicherheitsbedenken, die mit einer derartigen Konzentration von Entscheidungsträgern an einem Ort verbunden sind, werden ignoriert. Stattdessen entsteht der Eindruck einer Säuberung, einer Vorladung unter Verdacht. Es wirkt, als wolle Hegseth die Generäle nicht nur informieren, sondern sie auf Linie bringen, einschüchtern, kontrollieren.

Die Folgen reichen weit über die Grenzen der USA hinaus. Verbündete in Europa und Asien sehen sich mit einem Amerika konfrontiert, das die „alte Ordnung“ der gemeinsamen Abschreckung infrage stellt. Schon in vertraulichen Runden ist von einer „Abkehr der USA von ihrer Rolle als Garant der Stabilität“ die Rede. „Die alten, verlässlichen Versprechen Amerikas stehen plötzlich im Zweifel“, heißt es in einem internen Vermerk eines NATO-Diplomaten. Pete Hegseth, der Fernsehkommentator, Buchautor und rechte Kulturkämpfer, agiert im Pentagon wie ein Mann auf Mission. Er bricht mit Konventionen, er entmachtet seine Kritiker, er ersetzt lang erprobte Doktrinen durch nationale Kampfparolen. Doch in dieser Radikalität steckt ein gefährlicher Widerspruch: Während er vorgibt, die „Verteidigung der Nation“ zur obersten Aufgabe zu machen, schwächt er das internationale Geflecht, das Amerikas Sicherheit seit Jahrzehnten stabilisiert hat. Er isoliert die USA, indem er sie auf sich selbst zurückwirft.

Was also wird in Quantico geschehen? Offiziell heißt es nur, der Minister wolle „seine Spitzenmilitärs ansprechen“. Doch der Kontext lässt ahnen, dass es mehr sein wird: eine Art Loyalitätsprüfung, eine Zäsur, vielleicht sogar der Auftakt zu einer neuen Hierarchie im amerikanischen Militär. Für die Offiziere, die dort erscheinen müssen, wird es ein Moment der Entscheidung sein: Unterwerfen sie sich einem politischen Kurs, der die Institutionen ihrer eigenen Streitkräfte aushöhlt? Oder leisten sie stillen Widerstand, wohl wissend, dass schon die leiseste Abweichung ihre Karriere beendet? Amerikas Armee steht an einem Wendepunkt. Die Entlassungen, die Säuberungen, die strategische Neuausrichtung – all das ergibt das Bild eines Verteidigungsministers, der die Streitkräfte nicht mehr als internationale Schutzmacht sieht, sondern als innenpolitisches Werkzeug. Ein Werkzeug, das nicht nur an den Grenzen, sondern auch im Inneren zuschlagen soll. Für die Welt ist es ein Signal des Misstrauens, für die USA selbst ein Abstieg in unsichere Gefilde. Quantico wird nicht bloß ein Treffen – es wird ein Fanal dafür, dass die amerikanische Demokratie ihre Armee in den Dienst einer Politik stellt, die nicht länger Sicherheit schafft, sondern Angst.

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