Amerikas Schatten vor der Küste – Der Flugzeugträger, der die Ruhe Lateinamerikas endgültig bedroht

VonRainer Hofmann

Oktober 24, 2025

Die Nachricht kam unscheinbar, fast bürokratisch – eine Pentagon-Meldung in nüchternem Ton: Die Vereinigten Staaten entsenden die USS Gerald R. Ford, das größte Kriegsschiff der Welt, in die Gewässer vor Südamerika. Ein Satz, der klingt wie Routine, aber in Wahrheit den Beginn einer neuen militärischen Phase markiert. Lateinamerika wird wieder zum Schauplatz amerikanischer Machtprojektion. Offiziell soll die Verlegung „der Aufklärung und Bekämpfung illegaler Akteure“ dienen – so formuliert es Kriegsminister Pete Hegseth. Doch hinter dieser Rhetorik verbirgt sich etwas anderes: die Wiederkehr eines geopolitischen Reflexes, der seit Jahrzehnten das Verhältnis der USA zum Süden prägt. Ein Kontinent, der seine Wunden aus der Geschichte noch nicht geschlossen hat, wird erneut zum Empfänger amerikanischer „Sicherheitsinteressen“.

Es ist kein Zufall, dass gerade jetzt ein Flugzeugträger mit Tausenden Soldaten, Kampfjets und Raketen in Bewegung gesetzt wird. Während in Washington der Ton gegenüber Venezuela, Kuba und Kolumbien härter wird, wächst im Hintergrund das militärische Netz: Marineeinheiten in der Karibik, Drohnen über dem Pazifik, Spezialoperationen gegen mutmaßliche Drogenrouten. Doch wer die Karte betrachtet, erkennt schnell – es geht um weit mehr als Schmuggel. Die offizielle Begründung klingt sauber: „Schutz der Sicherheit und des Wohlstands der Vereinigten Staaten.“ Aber wer schützt die anderen? Wer schützt die Fischer, deren Boote im Nebel der „Operationen gegen illegale Akteure“ versinken? Seit September haben amerikanische Streitkräfte nach eigenen Angaben mindestens 43 Menschen getötet – viele von ihnen namenlos, in anonymen Meldungen, begraben zwischen den Zeilen militärischer Protokolle. Sechs Tote allein beim jüngsten Angriff auf ein Boot, das der Bande „Tren de Aragua“ zugeschrieben wurde – ohne Verfahren, ohne Beweise, ohne Öffentlichkeit.

Das Tempo dieser Schläge nimmt zu. Drei in einer Woche. Zehn seit Beginn der Operation. Was einst als „präventive Maßnahme gegen Drogenhandel“ begann, wirkt längst wie eine stille Militarisierung ganzer Meeresregionen. Und mit der Ankunft der USS Gerald R. Ford – ein schwimmendes Symbol amerikanischer Allmacht – wird aus Prävention Einschüchterung. Lateinamerika kennt solche Szenen. Die Geschichte der US-Einsätze reicht von Guatemala über Panama bis Nicaragua – immer begleitet von dem Versprechen, Stabilität zu bringen, und immer endend mit einem Erbe aus Misstrauen, Gewalt und gebrochenen Souveränitäten. Jetzt, ein halbes Jahrhundert nach den Putschen und Interventionen, kehrt das Muster zurück, modernisiert und mediengerecht verpackt.

Was in den Statements aus Washington wie ein Kampf gegen Kartelle klingt, liest sich in den Häfen von Cartagena, im Dschungel von Darién oder in den Straßen von Caracas ganz anders. Dort fürchtet man, dass der Himmel über der Karibik bald wieder von fremden Flugzeugen durchzogen wird – und dass die Grenzen zwischen militärischer Präsenz und politischem Druck verschwimmen. Man muss sich fragen, was diese gigantische Machtprojektion wirklich bezweckt. Niemand bezweifelt, dass der Drogenhandel grausam ist, dass Kartelle ganze Regionen terrorisieren. Doch ein Flugzeugträger bekämpft keine Armut, keine Korruption, keine sozialen Ursachen. Er bekämpft Symbole, nicht Strukturen. Und in diesem Fall vielleicht auch: Einflussräume.

Die USS Gerald R. Ford ist mehr als ein Schiff. Sie ist ein Statement – 100.000 Tonnen Stahl, 90 Flugzeuge, 4,5 Milliarden Dollar pro Jahr im Betrieb. Sie ist das schwimmende Monument einer Supermacht, die wieder zeigen will, dass sie nicht verhandelt, sondern diktiert. Wenn dieser Koloss demnächst vor der venezolanischen Küste ankert, wird er nicht nur auf die Kartelle zielen, sondern auf die politische Karte eines ganzen Kontinents. Währenddessen schweigen viele Regierungen in der Region – zu abhängig von Handelsverträgen, Krediten und amerikanischen Häfen. Nur wenige warnen offen davor, dass eine „Sicherheitsmission“ rasch zur Bühne eines neuen Kalten Kriegs werden könnte, in dem die Grenzen zwischen Drogenbekämpfung und Machtdemonstration längst aufgehoben sind.

Ein Flugzeugträger vor Lateinamerika – das klingt wie eine Schlagzeile aus den 1980ern, und doch ist es Gegenwart. Damals wie heute wird sie mit denselben Worten gerechtfertigt: Schutz, Stabilität, Freiheit. Aber unter der glänzenden Oberfläche des Patriotismus liegt dieselbe alte Frage: Wie viel Freiheit bleibt einem Kontinent, wenn er ständig unter Beobachtung steht? Vielleicht wird man in einigen Jahren zurückblicken und diesen Tag, den 24. Oktober 2025, als Wendepunkt sehen – als Moment, in dem Washington beschloss, seine Schatten wieder über den Süden zu werfen. Nicht mit Worten, sondern mit einem Flugdeck aus Stahl.

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Helga M.
Helga M.
9 Stunden zuvor

Er will Krieg.😢😡

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