Amerikas leere Arbeitsplätze – Trumps Krieg gegen Einwanderung und die Warnung an Deutschland

VonRainer Hofmann

Oktober 19, 2025

Maria arbeitete für 13 Dollar die Stunde. Sie reinigte Schulen in Florida, bekam alle zwei Wochen einen Scheck über 900 Dollar – genug, um mit ihrem elfjährigen Sohn in einem überfüllten Haus voller Familien zu überleben, die sich Strom, Miete und Hoffnung teilten. Im August kam das Ende. Als sie eines Morgens zur Arbeit kam, sagte ihr Vorgesetzter, dass sie nicht mehr kommen dürfe. Die Regierung Trump hatte das Humanitarian Parole Program beendet – jenes Programm, das unter Joe Biden Kubanern, Haitianern, Venezolanern und auch Nicaraguanern wie Maria legale Arbeitserlaubnisse verschafft hatte. „Ich fühle mich verzweifelt“, sagt sie leise. „Ich habe fünf Dollar auf meinem Konto. Ich kann nichts kaufen. Ich habe nichts mehr.“

Was Maria beschreibt, ist kein Einzelfall, sondern ein Abbild einer Nation im Stillstand. Amerikas Wirtschaft, die sich nach der Pandemie mühsam stabilisiert hatte, wird durch die neue Abschottungspolitik in die Knie gezwungen. Präsident Donald Trump spricht von „Ordnung“ und „Schutz amerikanischer Jobs“ – doch in Wirklichkeit vernichtet er sie. Denn die Menschen, die jetzt gehen oder abgeschoben werden, sind genau jene, die Amerikas Wirtschaft getragen haben: Pflegerinnen, Bauarbeiter, Erntehelfer, Techniker, Ingenieure. Sie halten jene Sektoren am Laufen, die kaum ein Einheimischer mehr bedienen will oder kann. Ihre Abwesenheit reißt Lücken, die mit keiner Propaganda zu füllen sind.

Die Zahlen sprechen eine nüchterne Sprache. Von Juni bis August sank die Zahl der neu geschaffenen Arbeitsplätze auf durchschnittlich 29.000 pro Monat – der niedrigste Wert seit der Pandemie. Während des Aufschwungs 2021 bis 2023 waren es noch 400.000 monatlich. Das Congressional Budget Office hat seine Wachstumsprognose von 1,9 auf 1,4 Prozent gesenkt. Die Inflation zieht wieder an, während Unternehmen auf Personalnot und steigende Löhne reagieren müssen. Lee Branstetter, Ökonom an der Carnegie Mellon University, sagt es klar: „Einwanderer sind gut für die Wirtschaft. Weil wir in den letzten Jahren viele Einwanderer hatten, fiel der Inflationsschub geringer aus, als viele erwartet hatten.“ Nun kehrt das Gegenteil ein – eine gefährliche Mischung aus Fachkräftemangel, Preisdruck und sinkender Produktivität.

Trumps Abschottung trifft die Wirtschaft doppelt: Sie entreißt ihr billige Arbeitskräfte und schreckt zugleich hochqualifizierte Fachleute ab. Anfang September erhöhte die Regierung die Gebühr für ein H-1B-Visum, das Hochqualifizierten den Zugang zum US-Arbeitsmarkt ermöglicht, auf 100.000 Dollar. Eine groteske Zahl, die weniger der Bürokratie als der Abschreckung dient. „Das ist kein bürokratischer Aufwand – es ist ein Signal“, sagt Dany Bahar vom Center for Global Development. „Es sagt den klügsten Köpfen der Welt: Ihr seid hier nicht willkommen.“ Diese Botschaft trifft die Innovationskraft der USA ins Herz. Ingenieure, Forscherinnen und Unternehmer, die einst im Silicon Valley ihre Ideen verwirklichten, suchen nun in London, Berlin oder Singapur nach neuen Chancen. Ein Harvard-Absolvent aus Indien, der in Washington für eine Hilfsorganisation arbeitet, sagt: „Ich bereite bereits meine Ausreise nach Großbritannien vor. Der Schaden ist angerichtet. Trump hat den Arbeitgebern gezeigt, dass sie sich zweimal überlegen sollten, jemanden wie mich einzustellen.“

Der wirtschaftliche Preis dieser Politik ist bereits sichtbar. Pflegeeinrichtungen wie Goodwin Living in Virginia mussten langjährige Mitarbeiter aus Haiti entlassen, weil ihre Arbeitsvisa nicht verlängert wurden. „Das war ein sehr, sehr schwerer Tag“, sagt Geschäftsführer Rob Liebreich. „Wir brauchen diese Menschen, jede Hand.“ In der Industrie sieht es nicht besser aus. In Georgia stürmten ICE-Beamte im September eine Hyundai-Batteriefabrik, nahmen 300 südkoreanische Techniker fest und führten sie in Ketten ab – Fachkräfte, die entscheidend waren, um die Produktion überhaupt aufzubauen. Der Einsatz löste Empörung in Seoul aus. Präsident Lee Jae Myung warnte, dass südkoreanische Unternehmen ihre Investitionen in den USA überdenken würden, wenn ihre Mitarbeiter nicht mehr sicher seien.

Was als Schutz der heimischen Arbeitsplätze verkauft wird, droht, Amerikas industrielles Comeback zu zerstören. Denn Investoren brauchen Planbarkeit, nicht Panik. Statt Arbeitsplätze zu schaffen, zerstört Trumps Politik Vertrauen – das Kapital, auf dem jede Volkswirtschaft ruht. Und während der Arbeitsmarkt austrocknet, steigen die Mieten. In Städten wie Phoenix, Miami oder Austin schießen die Preise erneut in die Höhe – aus denselben Gründen wie in Berlin oder München: zu wenig Fachkräfte, zu wenig Wohnungsbau, zu viel Ideologie. Wenn Bauarbeiter deportiert und Einwanderer abgeschreckt werden, fehlt am Ende nicht nur das Personal für neue Wohnungen – es fehlt die Zukunftsfähigkeit ganzer Städte.

In der Landwirtschaft, der sichtbarsten Bühne dieser Krise, zeigt sich das Scheitern besonders brutal. John Boyd Jr., ein afroamerikanischer Farmer aus Virginia, bewirtschaftet 1.300 Hektar Soja, Mais und Weizen. Er sagt: „ICE treibt die Leute zusammen wie Vieh. Trump nennt sie Mörder und Dealer, aber das hier sind Menschen, die hart arbeiten – für Jobs, die kein anderer mehr machen will.“ Boyd lacht bitter, wenn er hört, dass Trumps Agrarministerin Brooke Rollins vorgeschlagen hat, arbeitslose Medicaid-Empfänger könnten doch aufs Feld, um die Ernte zu sichern. „Keiner aus der Stadt kommt raus aufs Land, um in 40 Grad Hitze gebückt zu arbeiten“, sagt er. „Das ist eine Illusion.“

Selbst das Arbeitsministerium musste Anfang Oktober einräumen, dass der „nahezu vollständige Stopp der Migration“ zu „signifikanten Störungen der Nahrungsmittelproduktion“ führe. In nüchterner Bürokratensprache heißt das: Das Essen wird teurer, weil niemand mehr da ist, um es zu produzieren. Und während die Ökonomie ins Stocken gerät, verschiebt sich der Ton im Land. Trumps Regierung feiert Abschiebungen wie Siege. Doch die Bilder – Menschen in Handschellen, Familien auseinandergerissen, Arbeiter abgeführt – erinnern an etwas anderes: an eine Politik, die Angst statt Ordnung schafft.

Hier liegt die tiefere Parallele zu Europa, besonders zu Deutschland. Denn auch dort nährt sich der Rechtspopulismus von der Behauptung, Migration sei das Problem. Die AfD verkauft dieselbe Illusion, nur mit anderen Fahnen: dass Wohlstand und nationale Identität nur zu retten seien, wenn man Zäune errichtet. Doch wer Zäune baut, baut keine Zukunft. Und auch Teile der politischen Mitte scheinen die Tragweite dieser Entwicklung zu unterschätzen. Friedrich Merz spricht zwar von „Realismus in der Migrationspolitik“, doch seine Worte klingen zunehmend wie eine Annäherung an jene Rhetorik, die Amerika bereits in die Sackgasse geführt hat. Wer glaubt, sich durch Abgrenzung oder Stadtbilder vor Populisten schützen zu können, übernimmt am Ende deren Sprache – und deren Fehler.

Trumps Amerika ist der Beweis. Die Vereinigten Staaten, einst das Land der Möglichkeiten erlahmen an ihrer eigenen Engstirnigkeit. Die leeren Felder sind mehr als nur landwirtschaftliche Flächen – sie sind Sinnbilder für verlassene Baustellen, stillstehende Maschinen, überforderte Kliniken, unbezahlbare Mieten und eine Gesellschaft, die sich von der Welt abkoppelt. Deutschland sollte hinschauen. Denn die Warnsignale sind dieselben: alternde Bevölkerung, Fachkräftemangel, explodierende Mieten, wachsende Pflegekrise. Auch hier kursieren Fantasien von „Überfremdung“, während gleichzeitig Handwerksbetriebe, Kliniken und Bauunternehmen verzweifelt Personal suchen. Wenn die AfD ruft, man müsse „die Grenzen schließen“, dann bedeutet das in Wahrheit: „Wir schließen die Zukunft.“

Was sich in Amerika abspielt, ist das Lehrstück einer gescheiterten Politik, die mit denselben Parolen auch in Deutschland punkten will. Es ist der ökonomische Selbstmord aus Angst vor Veränderung. Maria sitzt in Florida in einem kleinen Zimmer, das sie sich mit ihrem Sohn teilt. Sie sagt, sie wisse nicht, wie lange sie die Miete noch zahlen könne. Dann sieht sie auf ihre Hände – die Hände, die gearbeitet, gereinigt, gepflegt haben – und sagt: „Ich wollte nur leben.“

In diesem Satz liegt eine Wahrheit, die über Amerika hinausweist. Eine Nation, die Menschen wie Maria verliert, verliert mehr als Arbeitskraft – sie verliert ihre Seele. Und wer in Deutschland jetzt glaubt, man könne aus dieser Logik politisches Kapital schlagen, sollte sich fragen, wie teuer die Rechnung wird, wenn die Hände fehlen, die ein Land zusammenhalten.

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Helga M.
Helga M.
2 Stunden zuvor

Danke Rainer, für diesen eindringlichen Text. Er trifft es auf den Punkt.
Man verliert fast jede Hoffnung. Und die AfD schwätzt weiter ihre dummen Sprüche.🫣🥺 Und die Dummen glauben sie.

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