Abschied vom sozialen Gewissen – Wie Trumps Wohnungspolitik mehr als eine Million Kinder im Stich lässt

VonRainer Hofmann

Juli 18, 2025

Es beginnt mit einem Satz, so lapidar wie vernichtend: „HUD assistance is not supposed to be permanent.“ Es ist Juni 2025, als Scott Turner, Wohnungsbauminister unter Donald Trump, diesen Satz im US-Kongress ausspricht. Ein Satz, der die jahrzehntelange soziale Mission des amerikanischen Staates infrage stellt. Ein Satz, der mehr als eine Million Kinder zu Kollateralschäden eines ideologischen Feldzugs erklärt. Und ein Satz, der in seinem schlichten Duktus eine politische Zeitenwende markiert: weg vom Schutz, hin zur Strafe. Was Turner im Rahmen der Haushaltsanhörung präsentierte, war keine ökonomische Notwendigkeit, sondern eine Absichtserklärung. Die staatliche Wohnbeihilfe solle, so seine Forderung, auf zwei Jahre begrenzt werden. Danach: Schluss. Keine Verlängerung, keine Einzelfallprüfung, kein Rückhalt für jene, die es in dieser Zeit nicht geschafft haben, sich auf dem freien Wohnungsmarkt zu etablieren. Eine Frist wie ein Urteil. Dabei sprechen die Zahlen eine andere Sprache. Die USA befinden sich inmitten einer eskalierenden Wohnungskrise. Mieten steigen, Sozialwohnungen verschwinden, ganze Landstriche kennen kaum noch bezahlbaren Wohnraum. Für Millionen Familien ist staatliche Unterstützung die letzte Rettung vor Obdachlosigkeit. Und nun droht ausgerechnet diese Lebensader gekappt zu werden. Betroffen wären nicht nur städtische Brennpunkte, sondern auch ländliche Regionen, Vorstädte, ehemalige Industriezentren. Betroffen wären nicht nur Erwachsene, sondern vor allem Kinder. Wer verstehen will, was auf dem Spiel steht, muss sich das Leben von Havalah Hopkins anschauen. Sie lebt im US-Bundesstaat Washington, arbeitet in wechselnden Jobs bei Firmenfeiern, kirchlichen Caterings, wann immer es etwas zu tun gibt. Ihre Wohnung kann sie sich nur dank HUD-Unterstützung leisten. 450 Dollar zahlt sie pro Monat, das sind etwa 30 Prozent ihres Einkommens. Der Marktpreis in der Region liegt bei über 2.400 Dollar. Für Hopkins ist ihre Wohnung kein Luxus, sondern ein Bollwerk: gegen die Gewalt der Vergangenheit, gegen die Willkür der Gegenwart. Und nun droht auch dieser letzte Schutzraum zu fallen.

Havalah Hopkins, eine alleinerziehende Mutter, die mit ihrem jugendlichen Sohn in staatlich gefördertem Wohnraum lebt. (Photo by Lindsey Wasson)

Scott Turner versucht, die geplante Reform als notwendige Korrektur darzustellen. Das System sei entgleist, es werde missbraucht. Aber wer genauer hinsieht, erkennt: Nicht das System ist entgleist, sondern die politische Logik. Hilfe wird nicht mehr als solidarischer Akt verstanden, sondern als Problem. Wer sie braucht, gilt als suspekt. Wer länger darauf angewiesen ist, als defizitär. Eine umfassende Studie der New York University zeigt: Etwa 1,4 Millionen Haushalte wären direkt von der geplanten Zeitbegrenzung betroffen. Drei Viertel dieser Haushalte leben jetzt schon länger als zwei Jahre mit Unterstützung. Und der überwiegende Teil sind Menschen, die arbeiten, aber dennoch zu wenig verdienen, um ohne Hilfe zurechtzukommen. Die arbeitende Unterschicht. Menschen, die das System am Laufen halten und trotzdem durch jedes Raster fallen. Das Narrativ, das Turner bedient, ist nicht neu. Schon in den 1990er-Jahren wurde in den USA versucht, Sozialhilfeempfänger:innen in Zeitlimits zu drängen. Der Effekt: mehr Unsicherheit, mehr Armut, mehr Kinder in prekären Verhältnissen. In Keene, New Hampshire, wurde ein solches Modell bereits eingestellt, weil es zu viele Menschen schlicht in die Obdachlosigkeit getrieben hatte. In Kalifornien hält eine lokale Wohnungsbehörde zwar am Zeitlimit fest – jedoch nur mit flankierenden Bildungs- und Betreuungsprogrammen. Und selbst dort ist die Quote derer, die den Absprung schaffen, ernüchternd.

Turners Vorhaben fügt sich ein in eine größere Strategie: die Aushöhlung sozialstaatlicher Strukturen. Wer etwa die Medicaid-Versorgung oder das SNAP-Programm für Lebensmittelhilfen betrachtet, erkennt ein Muster. Hilfe wird als Belastung dargestellt. Ihre Empfänger:innen werden moralisch abgewertet. Die politische Ökonomie des Mitleids wird ersetzt durch eine Ökonomie der Disziplin. Für private Vermieter:innen, die mit HUD arbeiten, könnte die Reform zudem das Aus bedeuten. Viele von ihnen schätzen die Stabilität, die das Programm bietet. Künftig müssten sie alle zwei Jahre mit neuen Mieter:innen rechnen, mehr Verwaltungsaufwand schultern, unsichere Einnahmen verkraften. Schon zwischen 2010 und 2020 haben rund 50.000 Anbieter das Programm verlassen. Mit der Reform könnte sich diese Entwicklung dramatisch beschleunigen. Besonders perfide ist die Art, wie Turner das Problem rhetorisch umdeutet. Er spricht von „Tricksern“, von „Abhängigkeit“, von „Eigenverantwortung“. Doch dahinter stehen Menschen wie Aaliyah Barnes aus Louisville. Sie lebt mit ihrem Sohn in einem Programm für Alleinerziehende, studiert Pflege. Ihre Ausbildung dauert drei Jahre. Das Zeitlimit der Regierung: zwei. „Ich wäre so nah dran – und doch so weit weg“, sagt sie.

Barnes ist kein Einzelfall. Sie ist das Gesicht einer Generation, die versucht, sich aus Armut herauszuarbeiten – und dabei von genau jener Politik sabotiert wird, die vorgibt, ihr zu helfen. Die geplante Reform ist in Wahrheit ein Selektionsinstrument. Sie unterscheidet nicht zwischen Willigen und Unwilligen, sondern zwischen Gewinnern und Verlierern eines Systems, das zunehmend auf Verdrängung statt Integration setzt. Im US-Repräsentantenhaus ist von dieser Zeitgrenze bislang nichts zu lesen. Doch die Gefahr bleibt real. Der Druck aus dem Weißen Haus wächst. Der Haushaltsausschuss verhandelt bereits mit dem Senat. Ein federleichter Passus im finalen Gesetzestext – und das Experiment beginnt. Ein Experiment mit Menschenleben. Für viele in der Zivilgesellschaft ist klar: Es geht hier nicht um Geld. Es geht um Moral. Um das Selbstverständnis einer Nation, die sich gerne als Heimat der Chancengleichheit versteht. Aber was ist das für eine Chancengleichheit, wenn Kinder keine sichere Wohnung mehr haben? Wenn Bildungsträume an Fristen scheitern? Wenn Armut politisch sanktioniert statt gelindert wird?

Scott Turner ist nicht einfach ein Minister. Er ist ein Symptom. Ein Ausdruck jener ideologischen Radikalisierung, die den Sozialstaat nicht reformieren, sondern abschaffen will. Die „Good Trouble“ verachtet, weil er Unruhe stiftet. Die John Lewis nur noch als historische Figur duldet, nicht aber als moralisches Vorbild. Die Folgen dieser Politik sind absehbar. Eine neue Generation obdachloser Kinder. Eine Eskalation sozialer Spannungen. Und eine Demokratie, die das Vertrauen derer verspielt, die am dringendsten Schutz brauchen. „Es ist entwürdigend“, sagt Havalah Hopkins. „Es sagt uns: Ihr seid nur zwei Jahre lang Menschen.“ Es ist kein Zufall, dass die Trump-Regierung gerade jetzt auf Zeitlimits drängt. In einer Öffentlichkeit, die von Kriegen, Debatten über Zölle und Skandale überrollt wird, lassen sich soziale Grausamkeiten leichter verstecken. Doch genau deshalb ist Aufmerksamkeit so wichtig. Denn was heute als Reform daherkommt, könnte morgen Millionen das Zuhause kosten. Und eine Gesellschaft, die ihre Kinder im Stich lässt, verliert mehr als nur Wählerstimmen. Sie verliert ihr Gewissen. Vielleicht ist es Zeit, daran zu erinnern, was John Lewis sagte: „Wenn du etwas siehst, das nicht stimmt, dann sag etwas. Tu etwas.“ Jetzt wäre der Moment.

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Frank
Frank
3 Monate zuvor

übel übel, jeden Tag eine miese Nachricht, kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte!!!

Helga M.
Helga M.
3 Monate zuvor
Antwort auf  Frank

Geht mir auch so. 🙄

Zuletzt bearbeitet am 3 Monate zuvor von Helga M.
Ela Gatto
Ela Gatto
3 Monate zuvor

Für MAGA sind all die, die nicht komplett auf eigenen Beinen stehen looser …. aber die Reichen vergessen, dass nicht wenig MAGA, gerade auch in ländlicheren Gebieten, darauf angewiesen sind.
Genau wie auf Medicaid oder SNAP.

Aber egal.
Falls es nochmal Wahlen geben sollte, haben diese Leute ohnehin kaum die Möglichkeit wählen zu gehen und womöglich aus Frust Demokraten wählen würden.
Auch dieses Kalkül steckt dahinter.

Die Republikaner, die Pro-Life Partei, aber nur so lange das Kind ungeboren ist.
Bei der Geburt? Im Kleinkindalter, im Schulalter, als Teenager.
Da Weißen sie jede Verantwortung von sich. Hauptsache man hat der Frau vorgeschrieben, dass sie das Kind bekommen muss.
Danach ist die Frau auf sich allein gestellt.

Furchtbar, welche Welle der Obdachlosigkeit kommen wird.
Und im gleichen Atemzug gehen gerade republikanische Staaten immer rigoroser gegen Obdachlose vor.

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