Der Femizid an Valeria Márquez und die dunkle Macht des „Doble RR“.
Es ist ein Bild, das sich eingebrannt hat in die digitale Gegenwart Mexikos: Eine junge Frau, 23 Jahre alt, schön, lebendig, mit einem Plüschtier im Arm, sitzt vor ihrem Smartphone. Sie streamt live, lächelt, blickt kurz aus dem Fenster. Dann fallen Schüsse. Drei Einschläge – zweimal in den Kopf, einmal in die Brust. Sekunden später ist sie tot.
Ihr Name war Valeria Márquez – Influencerin, Kosmetikerin, Schönheitskönigin. Ihr mutmaßlicher Mörder: Ricardo Ruiz Velazco, bekannt unter den Namen „El Doble RR“, „RR“ oder „El Tripa“, ein Mann, der weit mehr ist als ein eifersüchtiger Exfreund. Er ist einer der meistgefürchteten Namen im mexikanischen Drogenkrieg – ein hochrangiger Anführer des Jalisco Nueva Generación Kartells (CJNG), einer der brutalsten Verbrecherorganisationen der westlichen Hemisphäre.
Ein Mord vor laufender Kamera
Der Anschlag ereignete sich in einem Schönheitssalon im Stadtteil Zapopan von Guadalajara, im mexikanischen Bundesstaat Jalisco. Valeria hatte dort ihr eigenes Boutique-Studio. Als sie ihren TikTok-Livestream startete, ahnte sie nicht, dass sie ihren letzten Moment mit der Welt teilen würde. Ein Mann auf einem Motorrad, als Kurier verkleidet, betrat den Salon – und eröffnete das Feuer.
Valeria war sofort tot. Rettungskräfte waren binnen Minuten vor Ort – doch jede Hilfe kam zu spät. Die sozialen Netzwerke füllten sich mit Entsetzen, Trauer und wütenden Fragen. Wer war dieser Mann, der ihr das Leben nahm? Und warum?
Der Schattenmann – Wer ist El Doble RR?
Ricardo Ruiz Velazco ist kein Unbekannter. In der Unterwelt Mexikos ist er einer der gefürchtetsten Namen. Seine Bande soll in Entführungen, Morde, Drogenhandel und politische Exekutionen verwickelt sein. Immer wieder taucht sein Name im Zusammenhang mit berüchtigten Gewalttaten auf – etwa bei der Ermordung des YouTubers Juan Luis Lagunas Rosales („El Pirata de Culiacán“) im Jahr 2017, oder im Fall der Tourismussekretärin José de Jesús Gallegos Álvarez, die 2013 ermordet wurde, weil sie angeblich den CJNG-Chef „El Mencho“ beleidigt hatte.
Ruiz Velazco ist nicht nur Kartellführer – er ist der Inbegriff jener toxischen Macht, die in Mexiko Männer dazu bringt, Frauen nicht als Menschen zu sehen, sondern als Besitz. Laut Berichten aus Sicherheitskreisen war er eifersüchtig, weil Valeria teure Geschenke von Fans erhalten hatte. Sie selbst hatte noch kurz vor ihrem Tod erklärt, dass „wenn ihr oder ihrer Familie etwas zustoßen sollte, Ricardo dafür verantwortlich sei.“
Femizid in Zahlen – und Gesichtern
Valerias Tod ist kein Einzelfall. In Mexiko wird im Durchschnitt jede drei Stunden eine Frau ermordet – viele dieser Morde gelten als Femizide, also Tötungen aus frauenfeindlichen Motiven. Laut der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika (CEPAL) zählt Mexiko mit 1,3 Tötungen pro 100.000 Frauen zu den gefährlichsten Ländern der Region – zusammen mit Paraguay, Uruguay und Bolivien.
Der Bundesstaat Jalisco, in dem Valeria lebte und starb, ist laut TResearch unter Präsidentin Claudia Sheinbaum zu einem der gewalttätigsten Staaten des Landes geworden – mit über 900 registrierten Tötungsdelikten seit Oktober 2024.
Schönheit, Sichtbarkeit – und ein Systemversagen
Valeria Márquez war mehr als ein hübsches Gesicht auf Instagram. Sie war Miss Rostro 2021, selbstständige Unternehmerin und in sozialen Netzwerken mit über 200.000 Followern präsent. Ihre Schönheit war öffentlich – und wurde ihr zum Verhängnis. Sie lebte in einem Land, das Schönheit feiert, aber Frauen hasst, wenn sie zu sichtbar, zu selbstbestimmt, zu frei sind.
Was ihr widerfuhr, ist die Essenz des systemischen Machismo, der sich in Mexiko nicht mehr versteckt, sondern bewaffnet auf Motorrädern vor Schönheitssalons vorfährt.
Die Ermittlungen – und das Schweigen der Institutionen
Die Behörden in Jalisco haben bisher keine offizielle Bestätigung abgegeben, ob Ricardo Ruiz Velazco verhaftet wurde. Man spricht von einem „unbekannten Täter“, obwohl in sozialen Netzwerken, Medien und in Valerias eigener Vorahnung längst ein Name stand. Die Polizei ermittelt – offiziell. Doch das Vertrauen der Öffentlichkeit ist gering. Zu oft wurden Täter wie RR gedeckt, zu oft war der Staat mehr Komplize als Schutzmacht.
Mexiko im Spiegel eines Mordes
Der Mord an Valeria Márquez ist keine Boulevardmeldung. Er ist ein Spiegel. Er zeigt, wie Gewalt, Macht und Männlichkeit in Mexiko immer noch miteinander verschmelzen. Er zeigt, wie ein Land seine Frauen verliert – vor laufender Kamera, im grellen Licht der sozialen Medien.
Und er zeigt, wie dringend Mexiko eine Justiz braucht, die nicht zögert, sondern handelt. Eine Gesellschaft, die nicht schweigt, sondern aufschreit.
Denn Valeria ist kein Einzelfall. Sie war nur sichtbar.
