Friedrich Merz und die Leere der Führung.
Es waren keine 100 Tage vergangen, da begann die Fassade bereits zu bröckeln. Friedrich Merz, einst der große Hoffnungsträger einer Union, die sich nach Klarheit und Autorität sehnte, steht nun an der Spitze der Regierung – und wirkt, als würde er nicht führen, sondern verwalten. Nicht mitreißen, sondern verordnen. Nicht gestalten, sondern reagieren.
Was man bekommt, wenn man einen Wirtschaftsmanager zum Kanzler macht, ist kein visionärer Staatslenker, sondern ein Mann, der vor allem weiß, was er nicht will: keine Schulden, keine „woken“ Debatten, keine Kompromisse mit Grünen, keine weichen Worte für komplexe Realitäten. Doch was bleibt, wenn die Absage an das Andere zur einzigen Haltung wird? Eine Führung, die auf Symbolik statt Substanz setzt.
Merz spricht gern über Ordnung, Kontrolle, Disziplin – Begriffe, die in Talkshows Eindruck machen, aber in Regierungsverantwortung nicht genügen. Seine bisherigen Auftritte als Kanzler wirken oft technokratisch, blass, gelegentlich herrisch. Er spricht, aber er sagt wenig. Er agiert, aber selten strategisch. Wichtige Fragen – zur Zukunft der Rente, zur Transformation der Industrie, zur Rolle Deutschlands in der Welt – lässt er unbeantwortet oder weicht in Floskeln aus. Was bleibt, ist das Bild eines Mannes, der sich mehr über seine Gegner definiert als über eigene Ideen.
Zwar setzt er Akzente, unglückliche, fragwürdige – etwa in der Migrationspolitik oder bei Sparvorgaben im Haushalt. Doch es sind eher Signale für die rechte Galerie, keine durchdachten Konzepte. In den Ministerien wächst der Frust über vage Vorgaben und autoritären Stil. Und selbst in Teilen der Wirtschaft, seiner eigentlichen Stammklientel, fragt man sich zunehmend, wohin das eigentlich führen soll. Sein Regierungsstil wirkt wie aus der Zeit gefallen: präsidialer Ton, aber ohne inhaltliche Tiefe. Hart in der Form, leer in der Sache.
Was ihn stark macht, ist sein strategisches Gespür für Machtverschiebungen – das hat ihn in der CDU an die Spitze gebracht. Er versteht es, politische Räume zu besetzen, Gegner zu marginalisieren und Schlagzeilen zu setzen. Doch das reicht nicht für ein Land, das Antworten auf epochale Krisen braucht. Die Klimakrise, die soziale Polarisierung, die geopolitischen Umbrüche: Merz hat zu vielem eine Meinung, aber selten eine Vision.
Sein Verhältnis zu den Medien schwankt zwischen demonstrativer Arroganz und gereizter Abwehr. Interviews geraten regelmäßig zur Konfrontation, nicht zur Klärung. Und wenn die Presse kritisch berichtet, wird schnell von „Kampagnen“ gesprochen – ein Reflex, den man eher von den Rändern kennt als aus der Mitte.
Natürlich hat Merz auch Stärken. Seine Rationalität, seine klare Sprache, seine betriebswirtschaftliche Kompetenz wirken in einer Zeit der Reizüberflutung teilweise stabilisierend. Für viele ist er ein leichtes Gegengewicht zum moralisch aufgeladenen Politikstil der letzten Jahre. Doch seine große Schwäche bleibt: Er versteht Politik als Bilanz, nicht als Beziehung. Als Durchgriff, nicht als Dialog. Als System, nicht als Gesellschaft.
Und so beginnt seine Kanzlerschaft mit viel Form, aber wenig Geist. Mit viel Kontrolle, aber ohne Richtung. Mit einem Mann, der gerne Kanzler sein will – aber offenbar nicht genau weiß, was er als solcher eigentlich bewirken möchte. Ein Kanzler, der den Eindruck erweckt, dass er das Amt vor allem als Bühne begreift – aber nicht als Ort, an dem Geschichte geschrieben wird.
Vielleicht wird Friedrich Merz mit der Zeit wachsen. Vielleicht wird er das Regieren noch lernen. Doch derzeit wirkt es, als regiere ein Mann, der das Land führen möchte – aber nur selten wirklich bei ihm ankommt.
(Photo Ebrahim Noroozi)
