Ein Land, das auflegt – Notruf im Nichts

VonRainer Hofmann

Juli 12, 2025

Es war der Tag nach dem Regen, und der Regen war kein Regen mehr, sondern Erinnerung. Erinnerung an das Tosen des Wassers, das Häuser verschluckte, Straßen aufriss, Leben wegriss. Und an jenem Tag, da der Himmel endlich schwieg, da rief Amerika um Hilfe. Doch niemand antwortete. Kein Signal, kein Rückruf, nur das Kreisen einer Warteschleife im Ohr. Die Katastrophe hatte sich nicht zurückgezogen – sie hatte lediglich den Kanal gewechselt: von der Flut draußen zur Stille in der Leitung. Am 6. Juli 2025 wählten 2.363 Menschen in Texas die Nummer der FEMA – der Bundesbehörde für Katastrophenschutz. 846 von ihnen wurden durchgestellt. Das sind 35,8 Prozent. Die anderen wurden nicht gehört. Und das in einer Woche, in der das Wasser über 120 Menschenleben forderte, darunter viele Kinder, in der Ortschaften unter Trümmern lagen, und die Luft von der Hoffnung auf einen einfachen Satz vibrierte: „Wir kommen.“ Doch es kam niemand. Denn die Regierung hatte beschlossen, nicht zu beschließen. In der Nacht zum 6. Juli, genau einen Tag nach dem Höhepunkt der Flut, liefen die Verträge jener Callcenter-Mitarbeiter:innen aus, die eigentlich rund um die Uhr Notrufe entgegennehmen sollten. Hunderte von ihnen wurden entlassen. Nicht, weil das Wasser zurückging – sondern weil das Budget anhielt. Denn Heimatschutzministerin Kristi Noem hatte kurz zuvor eine Regel eingeführt, nach der alle Ausgaben über 100.000 Dollar ihre persönliche Zustimmung erforderten. Auch für Notfallverträge. Doch Noem unterschrieb nicht. Fünf Tage lang nicht. Am 7. Juli gingen 16.234 Anrufe bei FEMA ein. Über 84 Prozent blieben unbeantwortet. Zu diesem Zeitpunkt war es nicht nur politisches Versagen – es war politischer Wille. Im Hintergrund kursierten bereits interne E-Mails: „Wir haben immer noch keine Entscheidung, keinen Erlass, keine Unterschrift.“ Der Satz datiert vom 8. Juli. Und er steht in einem Land, das sich selbst zur Effizienz verpflichtet hat, wie ein Mahnmal jener neuen kalten Ordnung: Wer leidet, muss warten. Und wer wartet, wartet allein.

Erst am 10. Juli, als CNN berichtete, dass selbst der Einsatz von Such- und Rettungsteams um volle 72 Stunden verzögert worden sei, weil Noems Signatur fehlte, lenkte das Ministerium ein. Zu spät. Denn inzwischen lag nicht nur Texas in Trümmern, sondern auch das Vertrauen. Am 11. Juli forderten demokratische Kongressabgeordnete per Brief, der uns vollständig vorliegt, an FEMA-Interimsdirektor David Richardson die Offenlegung aller internen Entscheidungen. Der Vorwurf: politisierte Kontrolle habe die Reaktionsfähigkeit der Behörde „massiv untergraben“. Auch die National Association of Emergency Managers sprach in einem internen Bulletin von einem „vermeidbaren Kontrollverlust“, der die Einsatzkräfte „wie Zuschauer wirken ließ“. Dabei hatte Trump schon zu Beginn seiner zweiten Amtszeit deutlich gemacht, wohin die Reise geht: FEMA solle „nach und nach abgeschafft“ werden. Der Markt werde es schon richten. Den Bundesstaaten werde man die Verantwortung übertragen – aber kein Geld. „Es ist nicht Aufgabe Washingtons, jedes Jahr wieder denselben Fluss trocken zu legen“, hatte der Präsident gesagt. Es war ein Satz, der zynisch wirkte. Und zynisch war. Denn was wie technisches Versagen erscheint, war in Wahrheit ein ideologisches Experiment: der Rückzug des Staates im Moment maximaler Not. Ein Versuchslabor für jene, die glauben, dass Fürsorge ineffizient ist und Mitgefühl zu teuer.

Dabei sind es die Stimmen der Menschen, die das Ungeheuerliche überhaupt erst fassbar machen. Mike Toomey, ein Maler aus North Carolina, rief an. „Sie sagten, ich sei Nummer 675 in der Warteschlange.“ Er legte auf. „Es war hoffnungslos.“ Seine Geschichte steht nicht allein. Auch in den Monaten zuvor, nach den Hurrikans Helene und Milton, hatte FEMA laut interner Aufzeichnungen fast die Hälfte aller Notrufe nicht beantworten können. Doch diesmal war es kein Zufall. Kein Stromausfall. Kein überflutetes Büro. Sondern schlicht: ein fehlender Wille. Jeffrey Schlegelmilch von der Columbia University brachte es auf den Punkt: „Stell dir vor, du hast alles verloren – und niemand geht ans Telefon.“ In Wahrheit hatte FEMA mehr als nur ein System verloren. Es verlor das, was einst seine Daseinsberechtigung ausmachte: Vertrauen. Präsenz. Verantwortung. Stattdessen wird nun in Washington diskutiert, ob man weitere regionale FEMA-Büros schließen könne – im Sinne der Effizienz. Eine Effizienz, die keine Antwort kennt auf das Gefühl, vergessen worden zu sein. Eine interne FEMA-E-Mail vom 8. Juli bringt es auf den Punkt: „Wir haben kein Go. Kein Vertrag. Kein Statement des DHS. Keine Antwort von Noem. Wir sind nicht autorisiert, irgendetwas zu tun.“ Es ist der Satz, der bleibt – weil er nichts tut, weil er alles sagt. Doch Amerika war nicht nur taub. Es war entschieden taub. Und das ist schlimmer. Denn in dieser Woche, in der Kinder ertranken, Mütter ihre Söhne suchten und Menschen Trümmer durchwühlten, hätte das Land zeigen können, was es heißt, füreinander da zu sein. Stattdessen wurde entschieden, die Leitung tot zu lassen. Vielleicht war es ökonomisch. Vielleicht ideologisch. Sicher aber war es unmenschlich. Und vielleicht ist das das Erschütterndste: dass Amerika hörte – und sich trotzdem abwandte.

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Ela Gatto
Ela Gatto
3 Monate zuvor

Hauptsache es ist Geld für ICE, Detention Center etc da.

Gouverneur Abott betonte noch, welche großartige Arbei Noem leisten.
Tru** stellte sich hinter sue und sagte, sie macht einen großartige Job und Hilfen sind schnell und unbürokratisch auf den Weg gebracht worden.

Hören die sich selber mal zu?

Was muss noch passieren, damit die Bevölkerung aufsteht und sich richtig wehrt?

Anstatt es als „Gott gegeben“ hinzunehmen und „zu beten“.

Leute, bekommt endlich Eure hintern hoch.
Es sind Eure Familien die betroffen sind.

Und die nächste Naturkatastrophe kommt bestimmt.
Besser wird es nicht mit den Hilfen.
Im Gegenteil, es wird eingestampft.
Und durch die Medicaid Kürzungen bekommen die Geretteten nicht mal eine adequate Versorgung.
Oder diese treibt die Familien, due alles verloren haben, komplett in den Ruin.

Nicht nur das Blut ihres Hundes, sondern das vielen unschuldiger Menschen lebt an Noems Händen.
Wie kann sie noch in den Spiegel schauen?

Esther
Esther
3 Monate zuvor
Antwort an  Ela Gatto

Die schaut nur in den Spiegel um ihre „wunderschönen“ Lippen zu bestaunen und ihre „Prachtsmähne“ zurecht zu ziehen…!

Esther
Esther
3 Monate zuvor

Eine einzige Katastrophe….inklusive diese sadistische Noem…!

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