Das Menschenbild der Bestien – Wie rechte Rhetorik den Tod inszeniert

VonRainer Hofmann

Juli 3, 2025

Laura Loomer schrieb keinen Witz. Ihr Satz war kein Sarkasmus, keine Übertreibung, sondern eine kalkulierte Entmenschlichung. „Alligator lives matter“, schrieb die rechtsextreme Kommentatorin am 30. Juni – und ergänzte: „Die gute Nachricht ist, Alligatoren sind garantiert mit mindestens 65 Millionen Mahlzeiten versorgt – wenn wir jetzt anfangen.“ 65 Millionen. So viele Latinos leben in den Vereinigten Staaten. Es ist kein Zufall, dass Loomer diese Zahl wählte. Es ist auch kein Zufall, dass ihre Formulierung vom „Jetzt anfangen“ klingt wie ein logistisches Szenario. Und es ist schon gar kein Zufall, dass Alligatoren – jene reptilienhaften Raubtiere, die in der rassistischen Populärkultur des amerikanischen Südens seit Jahrzehnten als Symbol für Gewalt, Gefängnis und Grenzschutz herhalten müssen – nun zu kulinarischen Vollstreckern einer ethnischen Säuberungsfantasie umfunktioniert werden. Loomers Satz ist ein Mordaufruf im X-Format.

Wer das für Übertreibung hält, muss nur auf die Realität schauen, die diesen Worten vorangeht. In Florida, wo unter Trumps zweiter Amtszeit eines der berüchtigtsten Abschiebelager errichtet wurde, trägt die Einrichtung den Spitznamen „Alligator Alcatraz“. Eingebettet in die Sümpfe der Everglades, abgeschottet, überwacht, von Nationalgarde und Privatsicherheitsfirmen kontrolliert – ein Symbol für die neue Normalität der Abschreckung. Die Namensgebung ist kein Zufall. Sie ist politisches Branding. Und sie passt perfekt in den Zynismus, mit dem Loomer die massenhafte Deportation nicht nur verteidigt, sondern genussvoll imaginiert. In Deutschland wäre ein solcher Satz undenkbar? Kaum. Man braucht nicht lange zu suchen, um auf ähnliche Muster zu stoßen. Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag, beklagte am 1. Juli erneut eine angeblich unkontrollierte Einreise per Flugzeug. „Ausweis? Egal!“ schreibt sie. Und spricht von „Hunderten“, die „Monat für Monat illegal“ ins Land kämen. Es sind die immer gleichen Codes, die immer gleiche Inszenierung: Migranten als Bedrohung, Ordnung als bedrohtes Gut, das eigene Land als besetzt. Doch auch hier ist es kein Zufall, dass Weidel das Thema Flughäfen aufgreift. Im Zentrum der rechten Erzählung steht nicht nur die Angst vor Kontrollverlust – es geht um die Konstruktion eines Feindes, der bereits da ist, unerkannt, unsichtbar. Und dessen bloße Existenz zur Provokation wird.

Wenn politische Sprache beginnt, Menschen in Mahlzeiten umzuwandeln, dann geht es nicht mehr um Grenzschutz. Dann wird Sprache zur Vorbereitung. Dann ist Rhetorik nicht länger Debatte, sondern Strategie. Dann sind es nicht nur Worte. Es sind Vorbereitungen. Laura Loomers Satz steht nicht allein. Er steht exemplarisch für eine weltweite Verschiebung des Sagbaren – und des Denkbaren. Zwischen Florida und Frankfurt, zwischen Alligator Alcatraz und der AfD-Forderung nach „Migrationswende“ verläuft kein Ozean. Es ist eine Linie. Sie beginnt bei der Entmenschlichung – und endet, wenn niemand widerspricht.

Abonnieren
Benachrichtigen bei
guest
2 Comments
Älteste
Neueste Meistbewertet
Inline-Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Ela Gatto
Ela Gatto
4 Monate zuvor

Wie abscheulich.
So fing es 1933 an.
Jetzt ist ein Satz über Alligatoren, wann kommt der nächste Schritt?

Katharina Hofmann
Administrator
4 Monate zuvor
Antwort auf  Ela Gatto

👍

2
0
Deine Meinung würde uns sehr interessieren. Bitte kommentiere.x