„Totgerüstet – Wie Putins Armee an westlichen Ersatzteilen zerbricht“ – Recherchen in den Tiefen von Russland

VonRainer Hofmann

Juli 2, 2025

Es beginnt nicht mit Explosionen, sondern mit Klagen. Nicht an den Frontlinien, sondern in Sitzungssälen russischer Schiedsgerichte, deren nüchterne Protokolle tiefer blicken lassen als jede militärische Pressekonferenz. Wer in diesen Tagen erfahren will, wie sehr westliche Sanktionen das Rückgrat der russischen Kriegsmaschinerie erschüttern, muss die Sprache der Paragraphen verstehen – und die Schlupflöcher, in denen ein ganzes System sich zu verlieren beginnt. Die russische Rüstungsindustrie, stolz auf ihre vermeintliche Souveränität, ist abhängig. Abhängig von Chips, Oszilloskopen, FPGAs – von jenen unsichtbaren Bausteinen, die moderne Kriegsführung erst ermöglichen. Diese kommen selten aus Russland selbst, sondern aus der Schweiz, Großbritannien, China, Taiwan oder den Vereinigten Staaten. Und sie kommen, wenn überhaupt, über Umwege: über Scheinfirmen in der Türkei, über Banken in Kirgistan, über Vermittler, die sich tarnen müssen wie Spione. Die Folge ist ein Markt im Schatten – und ein Gerichtsapparat, der in seinem Bemühen um Ordnung unfreiwillig das Chaos dokumentiert. Ein Fall betrifft die Firma „Northern Star“ in St. Petersburg, die über eine Briefkastenfirma auf den Britischen Jungferninseln Hochleistungschips aus China und Estland für das russische Verteidigungsministerium bezog. Als die Bezahlung ausblieb, klagte der Lieferant – 65 Millionen Rubel, ungefähr 830.000 Dollar. Andere Konzerne wie das Turchak-nahe Unternehmen Zaslon erhielten gebrauchte Mikroprozessoren mit Kratzern. Wieder andere wurden Opfer ihres eigenen Betrugs: Sie bestellten bei Zwischenhändlern angeblich originale FPGA-Chips der Marke Xilinx – geliefert wurden wertlose chinesische Nachahmungen, die sich mit der russischen Militärsoftware nicht kombinieren ließen. Dass die Schmuggelroute über einen britischen Überseehort führte, mutet dabei fast schon tragikomisch an. Denn die britische Regierung kann in diesem Fall mühelos nachvollziehen, wer hinter den Firmenfassaden steckt – und damit das gesamte Netz offenlegen.

Doch nicht nur dubiose Offshore-Konstrukte fallen in sich zusammen. Auch etablierte Staatskonzerne wie Zaslon, geführt von der Familie des einflussreichen Politikers Andrei Turchak, müssen sich vor Gericht verantworten. Sie bestreiten nicht nur die Qualität gelieferter Chips, sondern weisen nach, dass diese offenbar gebraucht, mit Kratzern übersät, ja womöglich recycelt wurden. Selbst die Mikrostruktur, einst das stille Symbol für militärtechnischen Fortschritt, wird zum Beweisstück in einem Prozess der schleichenden Implosion. Am schwersten wiegt jedoch, dass die dringend benötigten High-End-Bauteile – etwa programmierbare Chips für Drohnenerkennung und Luftabwehr – durch chinesische Billigkopien ersetzt werden, die letztlich unbrauchbar sind. Die russischen Verteidigungsfirmen geben es offen zu: Sie können die chinesischen Ersatzprodukte nicht in ihre Systeme integrieren. Der Versuch, westliche Software durch Notlösungen zu ersetzen, scheitert an der Realität der Kompatibilität – und das Gericht bestätigt: Die Sanktionen zeigen Wirkung. Es ist ein Sieg des Exportkontrollrechts über die vermeintliche Autarkie eines autokratischen Staates. Die Sanktionen greifen tiefer als jede Bombe. In St. Petersburg flog der Versuch auf, ein Navigationsmodul der britischen Firma CML Microcircuits über die Türkei einzuführen. Die Briten reagierten misstrauisch, als innerhalb eines Monats gleich zehn verschiedene Bestellungen für das seltene Modul eingingen – und stoppten die Lieferung. In anderen Fällen verweigerten Schweizer Hersteller wie AnaPico jede Zusammenarbeit. Selbst Banken in Kirgistan, der Türkei oder Usbekistan blockieren inzwischen Konten von russischen Tarnfirmen, wenn der Verdacht besteht, dass dual-use-Güter für militärische Zwecke eingeführt werden sollen. Und dann ist da noch die Geschichte eines britischen Unternehmens, das plötzlich misstrauisch wurde. Es hatte innerhalb weniger Wochen über zehn widersprüchliche Anfragen für ein und dasselbe Spezialmodul erhalten – alle mit unterschiedlichem Empfänger, aber mit dem gleichen wahren Ziel: das russische Militär. Die Lieferung wurde gestoppt, die Tarnung fiel – und ein weiteres Glied in der Lieferkette brach. So enthüllen sich in den Akten nicht nur juristische Auseinandersetzungen, sondern auch die wachsende Paranoia auf Seiten der Hersteller, die ihrerseits nicht riskieren wollen, gegen internationale Regeln zu verstoßen.

Selbst die einst hochgerühmte russische Schiffsbauindustrie taumelt. Projekte wie die Korvetten „Grozny“ und „Bravy“ kommen nicht voran, weil Antennensysteme fehlen, die auf Mikrochips basieren, deren Ursprung wiederum in europäischen Fabriken liegt – oder genauer: lag. Denn Ersatzteile aus russischer Produktion stellen sich im Nachhinein als Blendwerk heraus, ihre „inländischen“ Etiketten überdecken Importware, die längst nicht mehr verfügbar ist. Ein schleichender Bankrott des Anspruchs, man könne Sanktionen mit Nationalstolz kompensieren. Wie groß die Unsicherheit ist, zeigt sich selbst dort, wo Fahrzeuge ersetzt werden müssen: Die Nationalgarde verweigerte kurzerhand die Annahme eines Anti-Drohnen-Systems, weil es auf einem GAZelle-Fahrgestell montiert war – nicht auf dem ursprünglich vorgesehenen Ford Transit. Der Grund? Die westlichen Hersteller haben Russland verlassen. Das System selbst mag intakt gewesen sein – das Vertrauen war es nicht. Noch tiefer liegt das Problem in den Banken. Immer mehr Institute in Kirgistan, der Türkei und Usbekistan schließen russischen Firmen die Konten, sobald der Verdacht aufkommt, es könne um Rüstungsexporte gehen. Die Zahlungswege zerbrechen, bevor Verträge überhaupt unterzeichnet werden können. Die Unsicherheit reicht so weit, dass westliche Hersteller wie Rohde & Schwarz Lieferungen komplett abbrechen – aus Furcht, auf einer Sanktionsliste zu landen. Was sich in diesen Gerichtsdokumenten abzeichnet, ist ein ökonomisches Erdbeben, das kein Kremlsprecher mehr wegmoderieren kann. Jahrzehnte des Imports, der Vernachlässigung eigener Innovationskraft, der Abhängigkeit vom Ausland – all das rächt sich nun. Und kein Geld der Welt kann daran etwas ändern. Denn die Sanktionen zielen nicht auf Individuen, nicht auf Namen auf Listen – sie treffen das System in seiner Struktur, in seiner stillen Komplizenschaft mit der globalisierten Welt. Der Mythos der russischen Autarkie, genährt durch Propaganda und Pathos, bricht an den Realitäten internationaler Lieferketten. Es braucht keine Bomben, um ein Regime zu entwaffnen. Es genügt, wenn die Welt ihm das Material verweigert, mit dem es Krieg führen will. Russlands Schiedsgerichte haben das längst erkannt – auch wenn sie es nicht aussprechen dürfen.

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Esther
Esther
2 Monate zuvor

Interessant….Ich liebe solche Berichte!😉

Katharina Hofmann
Admin
2 Monate zuvor
Reply to  Esther

…wir auch 🙂 liebe grüße

Irene Monreal
Irene Monreal
2 Monate zuvor

Naja, aber hier an dieser Stelle habe ich gelesen, dass die USA den Weg für russische Banken öffnet. Andererseits verweigern die USA der Ukraine das Patriot Abwehrsystem, lässt sich das aber wahrscheinlich von den Europäern für die Ukraine teuer bezahlen.

Katharina Hofmann
Admin
2 Monate zuvor
Reply to  Irene Monreal

was trump abzieht geht gar nicht mehr und übertrifft alles, was man erwartet hatte incl das man fast täglich über 18 stunden in der recherche ist

Franziska K.
Franziska K.
2 Monate zuvor

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