Es ist ein stilles Beben, das sich in die Bilanzen amerikanischer Haushalte frisst – langsam, schleichend, aber unaufhaltsam. Die Vereinigten Staaten erleben einen explosionsartigen Anstieg jener Beträge, die Bürgerinnen und Bürger an Zöllen und Verbrauchsabgaben zahlen müssen, und kaum jemand scheint es wirklich zu bemerken. Dabei zeigt die neu veröffentlichte Grafik des Ökonomen Joseph Politano, gestützt auf Daten des US-Finanzministeriums, ein dramatisches Bild: Innerhalb weniger Monate sind die Einnahmen aus Zöllen und sogenannten DHS-Verbrauchssteuern auf über 300 Milliarden Dollar im Jahr geschnellt – ein historischer Höchststand, der selbst die wirtschaftlichen Verwerfungen der Handelskriege unter Trump I wie Fußnoten erscheinen lässt.

Über viele Jahre hinweg blieb die Kurve stabil. Zwischen 2005 und 2017 bewegten sich die tariflichen Einnahmen in einem Korridor zwischen 40 und 50 Milliarden Dollar. Selbst während der ersten Amtszeit Donald Trumps, in der die Konfrontation mit China zur Einführung erster Strafzölle führte, stiegen die Zahlen zwar an – aber in beherrschbarem Rahmen. Man gewöhnte sich daran, wie man sich an eine kleine Schwellung gewöhnt: spürbar, aber nicht lähmend. Erst mit dem Amtsantritt Trumps im Januar 2025 beginnt sich die Linie zu verformen – erst zaghaft, dann eruptiv. Was folgt, ist ein nahezu senkrechter Anstieg, der auf dem Papier wie ein Zahlensprung wirkt, in Wahrheit aber den schmerzhaften Beleg einer tektonischen Verschiebung in der Wirtschaftspolitik der Vereinigten Staaten darstellt.
Denn dieser Sprung ist kein Unfall. Er ist politisch gewollt, zentraler Bestandteil jener aggressiven Protektionspolitik, mit der Präsident Trump seine zweite Amtszeit begonnen hat. Es sind Zölle auf alles – auf Stahl, auf Batterien, auf Mikrochips, Medikamente, Solarpaneele, Kleidung, Autos. Es sind Aufschläge von 60, 80, 100 Prozent, die sich über die Importpreise legen wie eine bleierne Decke. Und es sind nicht die Chinesen, die Europäer oder Mexikaner, die diese Zölle zahlen – sondern die Amerikaner selbst. Konsumenten, Familien, Unternehmen, Farmer, Händler, Tankstellenbetreiber. Alle zahlen mit, oft ohne zu wissen, wofür.
Der Präsident nennt es „America First“, doch es ist ein fiskalisches Placebo: eine Maßnahme, die Stärke simuliert, aber Substanz raubt. Denn die ökonomische Logik ist ebenso alt wie unerbittlich: Zölle verteuern Importe. Teurere Importe treiben Preise. Steigende Preise belasten die Kaufkraft. Und all das in einer Volkswirtschaft, die längst global verflochten ist und deren industrielle Basis auf Zulieferketten, nicht auf Zölle, angewiesen ist. Trumps neue Zollagenda wirkt wie eine Steuer – nur dass sie nicht im Kongress debattiert wurde, sondern über Nacht verordnet wurde. Sie trifft besonders jene, die keine Stimme haben: Pendler, deren Autoteile teurer werden. Familien, deren Kinderkleidung plötzlich doppelt so viel kostet. Kleine Unternehmen, die ihre Produkte nicht mehr konkurrenzfähig anbieten können.
Es ist eine unsichtbare Umverteilung: von unten nach oben, von Konsumenten zu Regierung, von Realität zu Ideologie. Wer sich die Grafik ansieht, blickt nicht auf eine Steuerkurve – er blickt auf ein politisches Glaubensbekenntnis. Und wie bei allen Glaubensbekenntnissen ist der Preis oft höher als der Nutzen. Trump setzt auf die Illusion, dass Mauern, Barrieren und Abgaben ein Land schützen können – während sie es im Inneren aushöhlen. Die Zölle, die nun jährlich Hunderte Milliarden Dollar generieren, sind keine Einnahmen, auf die man stolz sein sollte. Sie sind die Symptome einer Abschottungspolitik, die vorgibt, Wohlstand zu schaffen, in Wahrheit aber Wohlstand umverteilt – nach oben, ins Zentrum der Macht.
Es ist bezeichnend, dass dieser gewaltige Anstieg kaum öffentlich diskutiert wird. Kein Aufschrei in den Abendnachrichten, kein Widerhall im Parlament. Die republikanische Mehrheit trägt den Kurs, viele Demokraten ducken sich weg. Doch je länger diese Entwicklung anhält, desto deutlicher wird: Das Land bezahlt einen hohen Preis für eine Politik, die sich selbst als Schutzschild ausgibt – und längst zur Waffe gegen das eigene Volk geworden ist.
