London / New York / Teheran – Als Zahra ihre Mutter in Teheran anrufen wollte, antwortete keine Stimme, die sie kannte. Stattdessen hörte sie eine unnatürlich klingende Frauenstimme auf Englisch: „Who is calling? I’m Alyssia. Do you remember me?“ Dann brach die Verbindung ab. Ihre Mutter, Diabetikerin, sitzt allein in einem Vorort Teherans, ohne Insulin, ohne Ausweg. Zahra, 32, ist eine von vielen im Exil lebenden Iraner:innen, deren Versuche, ihre Familien während des israelischen Bombardements zu erreichen, im Nichts enden – oder bei einer Roboterstimme. Seit dem 15. Juni, als eine israelische Rakete ein Öldepot im Süden Teherans traf, hat sich der Kontakt vieler Iraner:innen im Ausland zu ihren Angehörigen verändert: Manchmal klingelt das Telefon endlos. Manchmal antwortet ein gespenstisches KI-Fragment. Nie jedoch: die Mutter, der Bruder, der Sohn.
Viele Betroffene in Großbritannien, Kanada und den USA , berichteten, dass sie beim Versuch, ihre Verwandten zu erreichen, auf vorgefertigte Stimmen stießen – manche in gebrochenem Englisch, andere auf Persisch, einige sogar mit scheinbar beruhigenden Lebensweisheiten: „Stellen Sie sich einen Ort vor, der Ihnen Frieden bringt… Vielleicht ein Wald, vielleicht das Meeresrauschen.“ Doch die Wirkung ist keine Erleichterung. Sondern Beklemmung. Psychologische Kriegsführung, nennen es manche. Ein gezielter Eingriff in das intime Band zwischen den Welten. Zwischen dem Exil und dem Zuhause. Zwischen Sicherheit und Angst. IT-Expert:innen, die die Aufnahmen analysierten, sind uneins. Einige glauben, der iranische Staat leite Auslandsgespräche systematisch auf Chatbots oder Sprachbausteine um, um Informationen abzuschirmen. Andere, wie die Berlinerin Marwa Fatafta von „Access Now“, halten auch einen israelischen Ursprung für denkbar – als Teil einer Desinformationsstrategie.
Sicher ist: Der Iran befindet sich im Ausnahmezustand. Internetzugänge wurden gekappt, Mobilfunknetze eingeschränkt, Satellitenschüsseln verboten, Starlink-Nutzer werden zur Denunziation freigegeben. Wer reden will, braucht Umwege – wie Ellie, die nur noch über ein iranisch-türkisches Telefon-Duo Kontakt zu ihrer Mutter herstellen kann. Ein Bekannter an der Grenze wählt mit dem iranischen Handy ihre Mutter, hält das Gerät ans türkische, wo Zahra wartet. „Wir haben ihr erzählt, dass ein Roboter ihre Anrufe beantwortet. Sie war schockiert. Ihr Telefon hat nie geklingelt“, sagt sie. Andere wie M., deren Schwiegermutter nach einem Angriff auf den Nordosten Teherans auf der Intensivstation liegt, erhalten seither nur noch Audio-Mantras, als wäre das Leid nicht real, sondern eine Simulation: „Schließen Sie die Augen. Gehen Sie durch einen Wald. Spüren Sie den Wind.“ Was wirklich bleibt, ist das Gegenteil von Trost. „Ich fühle nur noch Hilflosigkeit“, sagt M. Und inmitten dieses digitalen Schweigens verdichtet sich eine Wahrheit, die kaum erträglicher sein könnte: Es ist nicht nur die Infrastruktur, die zerbombt wird. Es sind die Stimmen. Die Nähe. Die letzten Brücken zur Hoffnung.