Manche Bewegungen kommen nicht mit Marschmusik, sondern mit Gebet. Leise, geisterhaft, organisiert. Die sogenannte New Apostolic Reformation – kurz NAR – ist eine solche Bewegung. Kein Kirchenverband, keine klassische Sekte, sondern ein loses, aber ideologisch straff verbundenes Netzwerk erzkonservativer christlicher Nationalisten, die sich berufen fühlen, über das Land zu herrschen. Nicht im übertragenen, sondern im wörtlich-politischen Sinn. Spätestens seit dem 6. Januar 2021 ist klar, dass diese Bewegung nicht im Abseits steht. Sie stand am Rand des Kapitols. Dutch Sheets, einer ihrer bekanntesten Wortführer, rief öffentlich zum geistlichen Kampf auf, segnete Donald Trump und erklärte ihn zum von Gott gesandten Führer. Noch Wochen zuvor hatte er Zutritt zum Weißen Haus – nicht als Kritiker, sondern als eingeladener Gast. Sheets ist kein Einzelfall. Er unterrichtete am „Christ For the Nations Institute“ (CFNI) in Dallas, einer theologischen Ausbildungsstätte, aus deren Reihen sich immer wieder Figuren mit NAR-Hintergrund rekrutieren – Prediger, Missionare, politische Aktivisten. Die Schule steht ideologisch für das dominionistische „Sieben-Berge-Mandat“, nach dem Christen alle gesellschaftlichen Machtbereiche zurückerobern sollen – von Justiz über Medien bis zur Regierung.
Das Einfallstor in die Politik ist das sogenannte Faith-Based and Neighborhood Partnerships Office, kurz Glaubensbüro, in Washington. Ursprünglich ein Ort religiöser Vielfalt und zivilgesellschaftlicher Förderung, wurde es unter Donald Trump zur ideologischen Schaltzentrale evangelikaler Machtansprüche umgebaut. Trumps persönliche Pastorin Paula White, selbst eng mit der NAR verbunden, übernahm 2019 die Leitung. Seither bestimmte nicht mehr pluralistische Seelsorge, sondern ein machtpolitischer Absolutismus die Agenda: Gebetsversammlungen in Regierungsgebäuden, Segnungen von Gesetzen, direkte Einflussnahme auf politische Entscheidungen – alles im Namen eines exklusiv christlich verstandenen Amerika. Im Jahr 2025 ist dieser Umbau abgeschlossen. Unter Trumps zweiter Präsidentschaft wurde das Glaubensbüro nicht etwa reformiert, sondern radikalisiert. Netzwerke wie „Intercessors for America“, „The Call“, „One Voice“ oder „Dutch Sheets Ministries“ sind zurück an den Schalthebeln – mit Zugang zu Kabinettsmitgliedern, Gesetzesentwürfen und Kommunikationsteams. Das Büro dient mittlerweile weniger der Glaubensförderung als der zentralen Koordination religiöser Loyalität gegenüber der MAGA-Agenda.


Die ideologische Schnittmenge zwischen NAR und Trumpismus ist vollständig geworden: Beide lehnen säkulare Strukturen ab, beide berufen sich auf ein vorpolitisches Sendungsbewusstsein, beide sehen in Andersdenkenden – ob liberal, queer, säkular oder muslimisch – eine Bedrohung des angeblich göttlichen Nationalkörpers. Die Gewaltbereitschaft, die aus diesem Denken erwächst, zeigte sich jüngst im Fall von Vance Boelter – einem ehemaligen CFNI-Absolventen, der im Juni 2025 zwei demokratische Abgeordnete in Minnesota angriff, eine von ihnen und ihren Ehemann tötete. Boelter sah sich offenbar als moralischer Vollstrecker eines göttlichen Auftrags, inszenierte sich in Polizeiuniform und führte eine Liste mit weiteren Zielen. Was für Außenstehende wie Wahnsinn erscheinen mag, ergibt im Kontext dieser Theologie ein System: Christen seien berufen, verlorene Gesellschaften „zurückzuerobern“ – notfalls mit gewalttätigem Gebet, so Boelters eigene Worte. Dass in seinen Predigten Begriffe wie „Feind“, „Unreinheit“ und „göttliche Ordnung“ auftauchten, ist kein Zufall – sondern Ausdruck einer Weltanschauung, in der Demokratie zweitrangig und Widerspruch Sünde ist.
Diese Entwicklung betrifft nicht nur die USA. Auch in Europa mehren sich die Verbindungen rechter Parteien zu charismatischen Gruppierungen, in denen politische Herrschaft als geistlicher Auftrag verstanden wird. Die Vorstellung, dass ein Land „zurückgeholt“ werden müsse – kulturell, religiös, demografisch – verbindet christliche Nationalisten in den Vereinigten Staaten mit Rechtsradikalen in Deutschland, Polen oder Ungarn. In dieser Logik ist nicht mehr der Souverän das Volk, sondern Gott – und seine angeblichen Boten auf Erden beanspruchen für sich, in seinem Namen zu sprechen. Wir erinnern uns an die Bilder vom 22. April 2025, als Dutzende evangelikale Führer im Glaubensbüro gemeinsam die Hände auf Trump legten – nicht kniend, sondern stehend, selbstgewiss, entschlossen. Diese Szene widersprach jeder politischen Normalität. Hier wurde nicht mehr gebetet – hier wurde gesegnet. Nicht der Präsident bat um Führung, sondern religiöse Führer erklärten ihn zur Inkarnation ihrer Vision. Wer diese Bilder verlacht, verkennt ihre Botschaft: Die Demokratie hat Konkurrenz bekommen. Nicht von außen, sondern aus ihrem Innersten – durch ein religiös verbrämtes Sendungsbewusstsein, das keine Gewalt braucht, um gefährlich zu sein. Was die Vereinigten Staaten derzeit erleben, ist kein bloßer Kulturkampf. Es ist ein schleichender Verfassungsbruch im Namen Gottes. Und das Glaubensbüro, einst gedacht als Brücke zwischen Glaube und Gesellschaft, wurde zur Kommandobrücke einer neuen Ordnung – fromm, autoritär, unheilig.
Wie bekämpft man ein solches System? Nicht durch Schweigen, nicht durch Anpassung. Sondern durch Aufklärung, Öffentlichkeit, mutige Analyse. Man muss es benennen wie andere extremistische Netzwerke auch – als organisierte Unterwanderung demokratischer Grundprinzipien. Als wären sie der Ku-Klux-Klan oder Scientology, nur mit Bibel und Regierungsausweis. Wer sich dem entgegenstellt, braucht Rückgrat, Geduld – und keine Angst. Denn Brücken dieser Art brechen nicht von selbst. Man muss sie entlarven. Und das Risiko eingehen, darüber zu gehen – nicht für den Glauben, sondern für die Demokratie.

Sehr gut geschrieben.
Vielen Dank