Kilmar Abrego Garcia: Zwischen Gitterstäben und Gerechtigkeit

VonRainer Hofmann

Juni 14, 2025

Vor dem Bundesgericht in Nashville, Tennessee, flackerten am Freitag nicht nur die Neonröhren im Verhandlungssaal – es war das Gleißen einer tief zerrissenen Nation, die sich in den Augen eines Mannes spiegelte: Kilmar Abrego Garcia, 29 Jahre alt, Ehemann, Vater – und Sinnbild einer Migrationspolitik, die längst keine Grenzen mehr kennt zwischen Recht und Rache.

In einem orangefarbenen Häftlingsanzug, begleitet von Pflichtverteidigern und umringt von Unterstützer:innen vor dem Gerichtssaal, bekannte sich Abrego Garcia in zwei Anklagepunkten für nicht schuldig: Verschwörung zur rechtswidrigen Beförderung von Migranten und deren rechtswidriger Transport – beides mit angeblichem finanziellen Motiv. Die Anklage lautet formal auf „Verschwörung zur rechtswidrigen Beförderung illegaler Migranten zu finanziellen Zwecken“ sowie „rechtswidrigen Transport illegaler Migranten zum Zwecke des finanziellen Gewinns“. Im Zentrum der Anhörung am Freitag stand jedoch weniger die Schuldfrage als vielmehr die Entscheidung darüber, ob Abrego Garcia bis zum Prozess auf freien Fuß gesetzt werden darf. Magistratsrichterin Barbara Holmes kündigte an, sie werde die Forderung der Staatsanwaltschaft auf fortgesetzte Inhaftierung „eher früher als später“ schriftlich entscheiden.

Die Szene im Gericht war sachlich, doch zwischen den Zeilen lag die ganze Wucht eines politischen Schauprozesses. Abrego Garcia sprach nur ein einziges Mal – durch einen Übersetzer: „Ich verstehe.“ Doch was versteht ein Mensch, der drei Monate in einem berüchtigten salvadorianischen Hochsicherheitsgefängnis eingesperrt war, zu Unrecht abgeschoben, getrennt von seiner Familie, instrumentalisiert in einem ideologischen Krieg?

Es war weniger ein juristischer als ein symbolischer Prozess, der sich am 13. Juni im Gerichtssaal von Magistratsrichterin Barbara Holmes entfaltete. Die Frage, ob Abrego Garcia bis zu seinem Prozess in Haft bleiben muss, wurde nicht beantwortet – die Entscheidung will Holmes schriftlich und „bald“ verkünden. Doch der Schauplatz war gewählt, die Rollen verteilt.

Ankläger Rob McGuire, kommissarischer Bundesstaatsanwalt, zeichnete das Bild eines gefährlichen Mannes – angeblich Mitglied der MS-13, über neun Jahre aktiver Schleuser von Migranten, Waffen und Kindern. Nur: Für keine dieser Vorwürfe wurde Abrego Garcia bislang angeklagt. Es sei vielmehr, so Verteidiger Dumaka Shabazz, ein Kartenhaus aus haltlosen Behauptungen, gestützt auf Aussagen fragwürdiger Belastungszeugen.

„Das Einzige, was ihn heute gefährlich erscheinen lässt“, so Shabazz, „ist der Versuch der Regierung, ihm jegliches rechtsstaatliche Verfahren zu verweigern und ihre eigenen Fehler zu vertuschen.“ Die dreimonatige Inhaftierung in einem salvadorianischen Terrorgefängnis sei nicht nur eine Schande, sondern ein Beweis für systemische Grausamkeit.

Der Ursprung der Ermittlungen ist so unspektakulär wie aufschlussreich: Ein einfacher Verkehrsstop im Jahr 2022 in Tennessee. Neun hispanische Männer auf der Rückbank eines Chevrolet Suburban, gefahren von Abrego Garcia. Kein Haftbefehl, keine Festnahme – der Vorfall schien erledigt. Doch drei Jahre später, im April 2025, griff das Heimatschutzministerium den Fall wieder auf. Warum? Das bleibt vage. Was klar ist: Seither wurde ein Ermittlungsapparat aktiviert, der landesweit Daten, Bewegungsprofile und vermeintliche Zeugen zusammenführte.

Der zentrale Belastungszeuge: Peter Joseph, Spezialagent des Department of Homeland Security. Erst am 28. April, nach Rückführungsanordnung durch den Obersten Gerichtshof, sei er dem Fall zugewiesen worden. Seine Erkenntnisse stützen sich auf Kennzeichenerkennungssysteme, fragwürdige Aussagen von fünf „Vertraulichen Informanten“ – vier davon aus einer einzigen Familie – und auf Indizien, die drei Jahre lang unbeachtet blieben. Besonders schwer wiegt der Vorwurf, Abrego Garcia habe auch Minderjährige befördert – darunter eigene Kinder. Es ist ein juristischer Schachzug, denn sobald mutmaßliche Risiken für Kinder im Raum stehen, können strengere Haftgründe geltend gemacht werden. Doch erneut: Keine Anklage, keine Namen, keine konkreten Taten – nur Behauptungen, gespeist von einem Zeugen, der angibt, es habe vor Jahren „sexuelle, aber keine körperlichen“ Kontakte mit ihm gegeben, als sie minderjährig gewesen sei.

Selbst Richterin Holmes nannte das Argument der Fluchtgefahr „weitgehend akademisch“. Denn die Einwanderungsbehörden haben bereits einen sogenannten Hold auf Abrego Garcia gesetzt – würde er freigelassen, wäre er sofort wieder in Gewahrsam.

Die Verteidigung ließ keinen Zweifel daran: Dieser Fall ist größer als der Mensch, um den es geht. „Die Vereinigten Staaten, von D.C. bis Tennessee, haben ein Narrativ konstruiert, das nicht der Wahrheit dient, sondern ihrer politischen Agenda“, sagte Anwalt Shabazz. Tatsächlich ist der Fall Abrego Garcia längst ein Symbol. Für eine Migrationspolitik, die Menschen entrechtet, zurückschiebt, beschuldigt – und dann mit Verspätung nach Gründen für diese Behandlung sucht. Der Angeklagte wurde zur Figur auf dem Schachbrett einer Regierung, die Härte zeigen will, koste es, was es wolle. Draußen vor dem Gerichtsgebäude in Nashville hielten Unterstützer:innen Schilder hoch: „We are all Kilmar.“ Es ist kein bloßes Pathos – es ist eine Mahnung. Denn mit jedem Tag, den Kilmar Abrego Garcia in Haft verbringt, rückt Amerika ein Stück weiter ab von dem, was es vorgibt zu sein.

Untersuchungsrichterin Holmes hat nun das Wort. Doch das letzte Wort wird die Geschichte sprechen – über ein Land, das entscheiden muss, ob es sich an seine Prinzipien erinnert. Oder an seiner eigenen Härte zerbricht.

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