Während Kalifornien noch um seine verfassungsmäßigen Rechte ringt und das juristische Tauziehen über den Einsatz der Nationalgarde weitergeht, zeichnet sich auf den Straßen von Los Angeles längst ein anderes Bild: das einer Regierung, die auf Eskalation setzt – strategisch, demonstrativ, gewollt. Es ist Kristi Noem, Trumps Heimatschutzministerin, die diesem Vorgehen einen Namen gibt. „Das hier ist eine Blaupause“, sagt sie. Nicht nur für L.A., sondern für das ganze Land.
Die Worte fallen in einem Moment, in dem die politische und juristische Ordnung der Vereinigten Staaten sichtbar ins Wanken gerät. Nur Stunden nachdem ein Bundesrichter entschieden hatte, dass der Präsident die Kontrolle über Kaliforniens Nationalgarde zurückgeben müsse, stoppte das 9. US-Berufungsgericht die Entscheidung – ohne Begründung, ohne Debatte, ohne öffentliche Verhandlung. Das offizielle Dokument, das diese massive Intervention begründet, ist kaum mehr als eine Seite lang, abgeheftet unter dem nüchternen Titel „Dkt. No. 10.1“ und in seinem Tonfall eher verwaltungstechnischer Verwaltungsakt als Verfassungsentscheidung. Das Gericht, bestehend aus den Richter:innen Bennett, Miller und Sung, teilte lapidar mit, man habe dem Eilantrag der Regierung stattgegeben – die einstweilige Verfügung von Richter Breyer sei „vorläufig aufgehoben, bis auf Weiteres“. Als Grundlage zitiert das Gericht einen Präzedenzfall, der mit der aktuellen Lage wenig gemein hat. Die Anhörung? Online per Zoom, am 17. Juni. Der Rechtsstaat? In der Schwebe. Man könnte das Papier fast für einen Schmierzettel halten – wenn es nicht um fundamentale Fragen von Gewaltenteilung und Demokratie ginge.

Und so marschieren sie weiter, die 2.000 Nationalgardisten und bald 700 Marines, in einer Stadt, in der die Proteste zwar laut, aber überwiegend friedlich sind. „Das ist nur der Anfang“, verkündet Noem. Tausende Razzien seien geplant. Hunderte seien schon verhaftet worden – die meisten, weil sie auf Aufforderung nicht verschwanden. Der Ton? Härter denn je. Der Inhalt? Verfassungsrechtlich fragwürdig. Die Botschaft? Glasklar. Wer sich gegen diese Regierung stellt – sei es als Einwanderer, Demonstrant oder Senator –, hat mit Konsequenzen zu rechnen. So geschehen am Donnerstag, als US-Senator Alex Padilla aus Kalifornien während einer Pressekonferenz von Noem handgreiflich entfernt wurde, weil er eine Frage stellen wollte. „Wenn das der Umgang mit einem gewählten Senator ist“, sagte Padilla später, „möchte ich mir nicht vorstellen, wie man mit Tagelöhnern oder Hausangestellten umgeht.“
Das ist der Moment, in dem aus Innenpolitik Strategie wird. Die Bilder aus Los Angeles – von berittenen Polizisten, Tränengas, und Verhaftungen auf offener Straße – sind keine Ausnahme, sondern Teil eines Plans. In Washington spricht man offen davon, ähnliche Truppeneinsätze in andere Städte zu verlagern. In Texas stehen 5.000 Gardisten bereit. Was früher als Ausnahme galt, wird zur Norm. Was als Notfall gedacht war, wird zur Methode.
Gouverneur Gavin Newsom warnt vor einem „Staatsumbau im Schatten“, einem Bruch mit der föderalen Ordnung. Und tatsächlich: Wenn Uniformierte auf Signalbefehl gegen Zivilisten agieren, wenn Minister keine Antworten mehr geben, sondern Drohkulissen bauen, wenn selbst ein Senator abgeführt wird – dann sind wir nicht mehr nur in einer politischen Auseinandersetzung. Dann ist das, was bleibt, ein Test. Für die Institutionen. Für den Anstand. Für die Demokratie.
Kristi Noem hat diesen Test längst beantwortet. Sie braucht keine Debatten. Keine Prozeduren. Keine Abwägung. Sie hat einen Plan. Und dieser Plan beginnt dort, wo die Angst wohnt – inmitten von Sirenen, Verhaftungen und der Überzeugung, dass Härte alles ist. Es ist ein Plan für Kontrolle, nicht für Frieden. Ein Plan für Unterwerfung, nicht für Ordnung. Und er trägt den Namen einer Demokratie, die sich selbst nicht mehr erkennt.
