„Der amerikanische Traum ist vorbei“ – Wie Trumps Abschiebepolitik Lateinamerikaner nach Spanien treibt

VonRainer Hofmann

Juni 2, 2025

Benjamin Enrique Berardinelli Manjarrez sitzt in einem Straßencafé in Madrid, wo der Frühling langsam in die Glut des Sommers übergeht. Er ist 33 Jahre alt, Kolumbianer, und erst seit wenigen Wochen hier – angekommen über Italien, gestrandet in Spanien. Seine Reise hätte ursprünglich in eine andere Richtung geführt: in die Vereinigten Staaten. „Mein erster Plan war es, in die USA zu gehen. Wie viele andere Lateinamerikaner träumte ich vom amerikanischen Traum – von einem besseren Leben und der Möglichkeit, Geld zu verdienen“, erzählt er. „Dort kann man an einem einzigen Tag genug verdienen, um in Kolumbien die Miete für einen Monat zu zahlen.“ Doch dann wurde Donald Trump erneut Präsident – und mit ihm kehrte eine Politik zurück, die nicht nur Grenzen schließt, sondern Leben umlenkt.

Berardinelli wollte über Mexiko einreisen, illegal. Doch Trumps verschärfte Einwanderungspolitik zwang ihn zur Umkehr. „Viele kolumbianische Freunde sagen, sie wollen zurück. Sie fühlen sich nicht mehr sicher, haben Angst vor ICE und der Polizei“, sagt er. Seine Frau und sein fast dreijähriger Sohn blieben in Bogotá zurück. In Spanien darf er nun frühestens in zwei Jahren eine Aufenthaltsgenehmigung für Menschen in „irregulärer Situation“ beantragen. Und doch sagt er: „Die USA sind zu gefährlich geworden. Der amerikanische Traum ist vorbei. Jetzt ist Europa unser Ziel.“ Spanien ist kein Zufall, sondern ein Knotenpunkt. Gleiche Sprache, ähnliche Kultur, visumsfreier Kurzaufenthalt – für viele Latinos ist Madrid nicht nur die geografische, sondern auch die psychologische Alternative zur US-Grenze. Das spiegelt sich in den Zahlen: Allein im ersten Quartal 2025 verzeichnete Spanien 23.724 Asylanträge von Venezolaner:innen – ein Zuwachs von 54 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Und das, sagt Ana María Diez, sei erst der Anfang. Diez ist Präsidentin der internationalen Coalition for Venezuela. „Viele haben jetzt Angst, in die USA zu gehen – wegen Trumps fremdenfeindlicher und antirechtlicher Rhetorik. Sie geben den amerikanischen Traum auf und hoffen auf den europäischen – und der beginnt meistens in Spanien.“

In Mexiko stieg die Zahl der aus den USA abgeschobenen Menschen auf fast 39.000. Und der Trend ist nicht zu Ende. Der US-Supreme Court hat inzwischen der Trump-Regierung erlaubt, Abschiebeschutzprogramme für rund 350.000 Venezolaner:innen zu beenden. Die politische Botschaft ist eindeutig: Schutz gibt es nur noch auf Zeit – und nur für die, die ins Raster passen. In einem anonym geführten Gespräch berichtet ein venezolanischer Anwalt, der drei Tage zuvor in Madrid angekommen war, dass er ebenfalls andere Pläne hatte. Er wollte in die USA. „Unter Biden war es schwer – aber möglich. Jetzt mit Trump ist es fast unmöglich“, sagt der 40-Jährige. Schon früher hatte er in Österreich um Asyl gebeten – vergeblich. Danach war er zurückgekehrt, hoffte auf einen Weg in die USA. Dann kam die Nachricht vom Tod eines Freundes, der beim Versuch zu fliehen ertrunken war. Das änderte alles. Jetzt hofft er auf ein spanisches Gesetz, das Nachfahren spanischer Auswanderer die Staatsbürgerschaft ermöglicht. Seine Frau und zwei Kinder will er nachholen. Geld hat er kaum. „Ich weiß nicht, wo ich in den nächsten Wochen schlafen werde. Ich hoffe, ich finde zur Tourismussaison einen kleinen Schwarzmarktjob. 40 oder 50 Euro am Tag – das wäre etwas. Madrid ist sehr teuer.“

Auch Menschen, die sich bereits in den USA aufhalten, suchen den Ausweg nach Europa. „Alle wollen jetzt nach Spanien“, sagt die Einwanderungsanwältin Máchelin Díaz. In ihrer Kanzlei landen zunehmend Anfragen von Latinos mit Aufenthaltserlaubnis oder guten Jobs in den USA, die nun Schutz oder ein neues wirtschaftliches Leben in Europa suchen. Doch das spanische System ist am Limit. Wegen verschärfter Grenzkontrollen in Italien und Griechenland weichen viele über die Kanarischen Inseln aus – und überfüllen die Aufnahmeeinrichtungen. Díaz sagt: „Bis zum ersten Termin kann es bis zu einem Jahr dauern – und dann vergehen noch Monate bis zur Entscheidung.“ Zwar habe die spanische Regierung das Ausländerrecht reformiert, um Verfahren zu beschleunigen – doch das Grundproblem bleibt. Spanien hatte 2024 eine Asylanerkennungsquote von nur 18,5 Prozent – weit unter dem EU-Durchschnitt von 42 Prozent. Besonders Kolumbianer:innen und Kubaner:innen seien betroffen. „Obwohl wir wissen, dass in diesen Ländern keine echte Demokratie herrscht, sagen die Behörden oft, sie kommen nur aus wirtschaftlichen Gründen – nicht, weil sie Schutz brauchen.“ Eine Geschichte, die exemplarisch für das neue Klima steht, ist die von Alexander Jose Salazar Ramirez. Der 34-jährige Venezolaner lebte seit 2018 in Peru, war politisch verfolgt, ein Fall für das UN-Flüchtlingshilfswerk. 2023 wurde er für ein Resettlement-Programm in die USA ausgewählt. Der Flug war gebucht – 13. Februar 2025, Chicago. „Ich hatte alle Dokumente. Ich verkaufte alles, kündigte meinen Job, gab meine Wohnung auf“, erzählt er. Doch eine Woche vor dem Abflug kam die Nachricht: Reise gestrichen – per Anordnung des Präsidenten. Ramirez sitzt seither fest. Eine Rückkehr nach Venezuela ist ausgeschlossen – dort droht Gefängnis. „Ich habe die Menschenrechtsverletzungen in Venezuela angeprangert. Ich bin ein Ziel. Und auch hier fühle ich mich nicht sicher.“ Er denkt über Spanien nach – aber er hat kein Geld für den Flug.

Ana María Diez fordert nun, dass Spanien gemeinsam mit der UN und den USA ein strukturiertes Aufnahmeprogramm für Menschen wie Ramirez entwickelt. „Diese Menschen bleiben sonst in der Sackgasse stecken – ohne jede Alternative.“ Zwar hat die spanische Regierung angekündigt, einen Plan zur Aufnahme der aus den USA abgeschobenen Latinos auszuarbeiten – doch konkrete Details gibt es bisher nicht. Diez sagt: „Die jüngsten Entscheidungen der USA haben leider die gesamte Region Südamerika erschüttert. Andere Länder ziehen bereits nach – selbst Argentinien, das früher ein sicherer Hafen war. Auch dort wachsen die Barrieren. Und das wird noch mehr Menschen in die Flucht treiben.“

Am Ende bleibt eine bittere Erkenntnis: Der amerikanische Traum hat an Kraft verloren – nicht nur in den Herzen jener, die einst nach ihm strebten, sondern auch in der globalen Realität, die er mitgestaltet. Was früher Hoffnung war, ist heute Unsicherheit. Was einst Ziel war, ist jetzt Zwischenstation – auf einem ungewissen Weg durch ein Europa, das ebenfalls hadert. Die Welt sortiert sich neu. Nur eines scheint sicher: Niemand träumt mehr bedingungslos von Amerika.

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Wilfried Ehrmann
Wilfried Ehrmann
5 Monate zuvor

Sehr gut geschrieben – viele traurige Geschichten als Folge der herzlosen Brachialpolitik unter dem Möchtegerndiktator Trump.

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