… oder: Was uns der Fall der Aktien über uns selbst verrät.
Es sind Tage wie dieser, an denen sich der Zustand der Welt nicht in Reden, sondern in Kursverläufen abbildet. Nicht in Programmen, sondern in Prozentpunkten. Die Vereinigten Staaten taumeln nicht nur politisch, sondern ökonomisch – und ihre Börsen sind der Seismograf für eine Wahrheit, die alle betrifft und doch von niemandem ganz begriffen wird: Wir haben unser Schicksal ausgelagert – an Märkte, an Algorithmen, an eine Hoffnung, die nicht spricht, sondern rechnet.
Am Dienstag sank der S&P 500 erneut, ebenso der Dow Jones und der Nasdaq. Eine Bewegung, die wie Routine wirkt – doch sie ist Ausdruck einer tiefen Nervosität. Die AI-Euphorie, die in den letzten Monaten die Wall Street beflügelt hat, verliert ihren Glanz. Unternehmen wie Palantir, deren Aktienpreise sich innerhalb eines Jahres verfünffacht hatten, stürzen trotz guter Zahlen. Warum? Weil das Versprechen allein nicht mehr reicht. Weil ein Algorithmus keine Garantien gibt – nur Projektionen.
Und über all dem: die neue Unsicherheit, die alte Handschrift – Donald Trumps Zölle, willkürlich, erratisch, geopolitisch blind und wirtschaftlich explosiv. Sie bringen Unternehmen dazu, ihre Zukunftsprognosen zurückzuziehen. Clorox? Schlechter Umsatz. Mattel? Pausierte Planung. Ford? 1,5 Milliarden Dollar Verlust, keine Jahresprognose mehr. Archer Daniels Midland? Gewinneinbruch von 31 %. Und all das nicht, weil die Welt untergeht – sondern weil sie nicht weiß, ob sie es morgen wird.
Die Weltwirtschaft ist ein Vogel geworden, der nur noch flattert, weil man ihm die Richtung genommen hat. Und der Mensch – dieser Homo Economicus, dieser Verbraucher, dieser Anleger – ist ein Wesen, das in Angst investiert.
Man könnte meinen, dies sei ein Problem der Unternehmen. Doch es ist längst in die Wohnzimmer gedrungen. In Kaufentscheidungen. In Weihnachtspläne. In Rentenprognosen. Die amerikanischen Haushalte sind, so die Analysten, pessimistischer denn je. Weil niemand sagen kann, ob Trump nächste Woche neue Zölle verhängt – oder sie zurücknimmt. Ob ein Handelskrieg geführt wird – oder nur simuliert. Ob man sich auf etwas verlassen kann – oder gerade deshalb besser nichts tut.
Die Märkte sind längst nicht mehr Spiegelbild der Realwirtschaft. Sie sind ihre Vorausahnung, ihre Karikatur, ihr Fiebertraum. Und in ihnen leben wir – mit unseren Lebensversicherungen, unseren Rentenfonds, unseren Erwartungen.
Der Handel, der gerade erst begann sich zu erholen, taumelt erneut. Der US-Handelsbilanzüberschuss stieg im März auf einen Rekordwert – nicht wegen Stärke, sondern aus Angst. Aus Panikkäufen vor den Zöllen, die im April kamen und im Juli drohen. Die Wirtschaft, sagen die Ökonomen, ist im ersten Quartal um 0,3 % geschrumpft – nicht, weil nichts produziert wurde, sondern weil zu viel eingelagert wurde. Aus Furcht. Aus Ungewissheit.
Ford, Clorox, Mattel, DoorDash – sie alle sind Symptome. Was sie sagen, ist immer dasselbe: „Wir wissen nicht, was kommt.“
Und was sie tun, ist ebenfalls gleich: Sie stoppen, sie pausieren, sie warnen.
Die Politik Trumps ist keine Strategie, sondern eine Stimmung. Eine Bewegung ohne Ziel. Und die Wirtschaft reagiert wie ein lebendiger Organismus, dem der Taktgeber fehlt. Die Fed bleibt ruhig, vielleicht zu ruhig. Zinssenkungen stehen im Raum, doch es ist zu früh – oder zu spät? Die Wahrheit ist: Es gibt kein „richtigen Moment“ mehr. Nur noch die Hoffnung, dass er bald kommt.
„Wir leben in einem Traum, dessen Träumer sich nicht mehr erinnert, was er wollte.“ Und vielleicht ist das der Markt: ein Träumer, dessen Vertrauen verletzt wurde.
Denn was ist ein Markt anderes als ein Spiegel unserer kollektiven Erwartungen? Und was sind Erwartungen anderes als Politik in gefühlter Form? Wenn Trump die Welt mit Zöllen überzieht, dann zittert nicht nur die Außenhandelsbilanz – dann zittert die Idee von Verlässlichkeit selbst.
Man kann es an der Börse ablesen. Nicht in einem Absturz, sondern im langsamen, unentschlossenen Sinken. Nicht im Crash, sondern im Verlust von Richtung. Palantir verliert, obwohl es liefert. Clorox verliert, obwohl es produziert. Ford verliert, weil es vorausahnt. Und wir alle verlieren – weil wir nicht mehr wissen, woran wir glauben sollen.
Und so bleibt am Ende dieses Tages nicht nur eine sinkende Kurve, sondern eine Frage: Was passiert mit einer Demokratie, deren Nervensystem in Echtzeit auf Aktienkurse hört – aber nicht mehr auf Vernunft?
