Verhandelt über unsere Zukunft – nur ohne uns: Trump behandelt die Ukraine, als könne man sie Moskau einfach übertragen

VonRainer Hofmann

November 21, 2025

Bis kurz vor diesem Artikel haben wir noch recherchiert, Gespräche geführt, Informationen gesammelt. Was Trump als Friedensplan bezeichnet, geht weiter als alles, was Moskau je zu hoffen wagte. In Kiew lebte man jahrelang mit einer scheinbar festen Gewissheit: Die Ukraine entscheidet über ihre Zukunft selbst. Keine Gespräche hinter verschlossenen Türen, keine Absprachen über fremde Köpfe hinweg. Doch genau dieses Prinzip wird nun von jenem Partner untergraben ohne dem das Land militärisch längst nicht mehr überlebensfähig wäre. Die Trump-Regierung verhandelt mit Moskau an einem Friedensentwurf, der tief in die Souveränität der Ukraine eingreift – ohne die Ukraine, ohne Europa, ohne die Menschen, die täglich in diesem Krieg sterben. Was wie eine diplomatische Panne wirkt, folgt einem Muster. Washington arbeitet auf mehreren Ebenen gleichzeitig: eine Achse über Sicherheitsgarantien, eine über geopolitische Verschiebungen – und eine über territoriale Zugeständnisse, die für die Ukraine schlicht nicht akzeptabel sind.

Trump behandelt die Ukraine, als könne man sie Moskau einfach übertragen

Dass die USA mit Russland einen solchen Entwurf vorbereiteten, trifft Europa und die Ukraine nicht nur unvorbereitet, sondern mitten ins Herz. Kaum jemand rechnete damit, dass Washington Forderungen aufgreift, die seit Jahren aus dem Kreml kommen. Kaja Kallas, die höchste Vertreterin der EU-Außenpolitik, fand dafür klare Worte. Ohne die Zustimmung derer, die diesen Krieg tragen, gebe es keinen tragfähigen Plan. Doch während Europa und die Ukraine außen vor bleiben, nehmen sich amerikanische und russische Unterhändler das Recht heraus, über fremdes Land und fremde Sicherheit zu sprechen – als wäre es eine Übung auf einem Schachbrett.

Was Trump als Friedensplan bezeichnet, geht weiter als alles, was Moskau je zu hoffen wagte.

Der Entwurf, von dem in Kiew mehrere Passagen zirkulieren, enthält Forderungen, die weit über das hinausgehen, was in den vergangenen Jahren je ernsthaft verhandelt wurde: Gebietsverluste, eine gedeckelte Armee, der Verzicht auf weitreichende Waffen und ein Einspruch gegen jede internationale Schutztruppe. Gleichzeitig soll die Ukraine dauerhaft an den Rand der NATO gedrückt werden. Selbst jene Staaten, die erst nach dem Krieg dem Bündnis beitreten könnten, sollen künftig blockiert werden. Während diese Punkte debattiert wurden, starben in Ternopil 26 Menschen durch einen russischen Raketenangriff. Inmitten der Trümmer suchten Rettungskräfte nach Vermissten. Es ist genau dieser Kontrast – Büroverhandlungen in Washington, während in der Ukraine wieder Kinder aus zerstörten Wohnungen gezogen werden –, der das Misstrauen in Kiew weiter nährt.

Trump handelt, als müsse die Ukraine nicht einmal gehört werden

Gleichzeitig war Steve Witkoff, Trumps Sondergesandter, zusammen mit Kirill Dmitriew, einem engen Putin-Vertrauten, mit dem Schreiben des Friedensvorschlags befasst. Währenddessen reiste Armeeminister Dan Driscoll mit einem eigenen Team nach Kiew, um eine andere Verhandlungsachse zu eröffnen. Und Keith Kellogg arbeitet als dritter Unterhändler an einer weiteren Linie. Die Folge: Ein diplomatisches Durcheinander, das in Kiew und in europäischen Hauptstädten ratlos macht. Niemand weiß, wer in Washington eigentlich den Kurs vorgibt – oder ob überhaupt jemand den Überblick behält.

Ein enger Berater Selenskyjs berichtete, er habe in Washington noch die klare Zusage erhalten, zuerst über eine Lösung für die Ukraine zu sprechen – erst danach über breitere West-Ost-Fragen. Doch nun liegt ein Papier auf dem Tisch, das beides vermengt und massive Folgen für die europäische Sicherheitsordnung hätte. Hinzu kommt, dass Trumps Entwurf dnoch weiter geht als bisher angenommen. Er würde Russland nicht nur große Teile des Donbas überlassen, sondern auch jene Gebiete, die Moskau militärisch nie vollständig einnehmen konnte. Ein solcher Schritt wäre nicht nur verfassungswidrig, sondern politisch nicht einmal im Ansatz durchsetzbar. Er würde die Ukraine spalten und den Präsidenten stürzen.

Die EU ist in diesem gefährlichen Spiel nicht Akteur, sondern Statist

Dazu ein weiteres Zugeständnis: Russland dürfte in die Gruppe der führenden Industrienationen zurückkehren, während Sanktionen gelockert werden – obwohl Moskau weiterhin Städte angreift. Die Stiftungsidee des Westens, dass Aggression keine Belohnung verdient, würde damit zerbrechen. Zwar sollen laut dem Entwurf 100 Milliarden Euro eingefrorener russischer Vermögen für den Wiederaufbau der Ukraine freigegeben werden. Doch selbst in europäischen Regierungskreisen sieht man darin weniger eine Wiedergutmachung als den Versuch, einen politischen Preis zu verpacken, der die Ukraine dauerhaft schwächt und Russland stärkt.

Selenskyj reagiert zurückhaltend. Er weiß, dass er die USA nicht vor den Kopf stoßen kann. Doch hinter den Kulissen wächst die Sorge, Washington könnte nach den militärischen Rückschlägen der letzten Monate den Druck erhöhen, um Kiew in ein erzwungenes Abkommen zu drängen. Europa dagegen spricht offen. Die Niederlande warnen, dass ohne die Ukraine kein Friedensplan Bestand hat. Die schwedische Außenministerin erinnert daran, dass Moskau bislang nicht einmal den Anschein zeigt, ernsthaft verhandeln zu wollen. Stattdessen fordert sie die Freigabe russischer Vermögen, um Druck aufzubauen. Parallel behauptet der russische Generalstabschef Gerassimow, seine Truppen hätten Kupjansk komplett erobert – eine Darstellung, die der ukrainische Generalstab umgehend zurückweist. Auch dieses Detail zeigt, wie weit die Frontlinien voneinander entfernt sind. Wie soll ein Friedensplan funktionieren, wenn nicht einmal die Realität der Kampfgebiete übereinstimmt? Während in Brüssel und Kiew Unverständnis wächst, schweigt der Kreml zu entscheidenden Punkten des Entwurfs. Wozu auch bewegen, wenn die USA bereit sind, Forderungen zu prüfen, die Russland selbst kaum noch für erreichbar hielt?

Am Ende steht ein bedrückendes Bild: Ein Staat, der seit Jahren unter russischen Angriffen lebt, und ein Kontinent, der den größten Teil der Kosten trägt, sitzen nicht am Tisch. Stattdessen verhandeln Washington und Moskau über Land, Menschen und politische Grenzen, als gehöre all das ihnen. Es ist der Versuch, einen Krieg zu lösen, indem man seinen Opfern die Stimme entzieht. Und genau darin liegt die größte Gefahr: Ein Frieden ohne die Ukraine – und ohne Europa – wäre keiner. Er wäre der Beginn der nächsten Krise, nicht ihr Ende.

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