Donald Trump wollte dieses Kapitel um jeden Preis geschlossen halten. Wochenlang stemmte er sich gegen jede Bewegung im Kongress, die eine Veröffentlichung der Epstein-Akte erzwingen könnte. Doch in der Nacht zu Montag, kurz nach der Landung auf der Air-Force-One-Rollbahn von Joint Base Andrews, drehte er abrupt ab: Die Republikaner im Repräsentantenhaus, schrieb er, sollten jetzt für die Offenlegung stimmen. Man habe „nichts zu verbergen“, behauptete er, und sprach von einem „Demokraten-Schwindel“, der einzig dazu diene, von den „Erfolgen“ seiner Partei abzulenken.

Diese Kehrtwende kommt nicht aus Überzeugung, sondern aus reiner Machtarithmetik. Die Stimmen sind da – und Trump weiß es. Dass er sich nun vorneweg stellt, ist ein Versuch, die Niederlage zu kaschieren, bevor sie sichtbar wird. Ein Versuch, Kontrolle zu behaupten, während sie ihm durch die Finger rinnt.
Im Hintergrund arbeiten Abgeordnete beider Parteien längst an einem Gesetz, das das Justizministerium verpflichten würde, sämtliche Akten und internen Nachrichten zur Epstein-Ermittlung offenzulegen – inklusive aller Hinweise auf die Untersuchung seines Todes im Bundesgefängnis. Nur Informationen über Opfer oder laufende Ermittlungen dürften geschwärzt werden. Es ist ein ungewöhnlich breites Bündnis, das sich da formiert hat: Thomas Massie aus Kentucky, einer der eigenständigsten Köpfe der Republikaner, und Ro Khanna aus Kalifornien, einer der profiliertesten Demokraten, haben im Juli die selten genutzte Entlassungspetition eingereicht, die die Führung des Hauses entmachtet und eine Abstimmung erzwingt.
Der republikanische Abgeordnete Thomas Massie hatte eine politische Erschütterung ausgelöst. In einem TV-Interview warf er FBI-Direktor Kash Patel vor, die amerikanische Öffentlichkeit über zentrale Aspekte der Epstein-Ermittlungen getäuscht zu haben – und sprach zugleich von einer internen Liste, die das FBI seit Jahren unter Verschluss halte. Darauf sollen rund 20 weitere Männer stehen, die mit Epsteins Sexhandels-Netzwerk in Verbindung gebracht werden, darunter nach Massies Darstellung sogar ein hochrangiger Regierungsbeamter. Die Brisanz liegt in der Behauptung, dass diese Namen nie offengelegt wurden, obwohl sie den Ermittlern längst vorlagen. Für viele im Kongress wirkt das wie der Moment, in dem eine jahrelange Abschottung ins Wanken gerät. Die Forderung, die Liste ohne weitere Verzögerung zu veröffentlichen, kommt nun ausgerechnet aus den Reihen der Republikaner selbst.
Als Adelita Grijalva die Entlassungspetition unterzeichnete und damit endgültig den Weg für eine Abstimmung über die Veröffentlichung der Epstein-Akten freimachte, markierte dieser Moment einen der bemerkenswertesten Einschnitte im bisherigen Machtkampf um Transparenz im Kongress.
Seit der Vereidigung von Adelita Grijalva vergangene Woche – genau jene 218. Stimme, die fehlte – ist die Mehrheit besiegelt. Für Mike Johnson, den Sprecher des Repräsentantenhauses, ist das eine Blamage, für Trump ein politischer Kontrollverlust. Die Bilder der Zeremonie, wie Johnson Grijalva die Hand hebt, haben sich in Washington festgesetzt wie ein Symbol: Trotz aller Verzögerungen, trotz aller Manöver, trotz der Sommerpause, die Johnson vorgezogen hatte, um Zeit zu gewinnen – die Sache kam zurück und nahm Fahrt auf. Massie spricht inzwischen von „100 oder mehr“ republikanischen Abgeordneten, die das Gesetz unterstützen werden. Ein Veto-sicheres Ergebnis? Möglich. Und selbst wenn es so weit nicht kommt: Die Botschaft ist klar. Johnson und Trump werden im eigenen Lager überstimmt. „Ich bin noch nicht müde vom Gewinnen“, sagte Massie in einer Mischung aus Ironie und Kampfansage. „Aber wir gewinnen.“

Der Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Mike Johnson, wirkt nicht gerade, als hätte er den Fall noch unter Kontrolle
Auch Johnson selbst klingt, als habe er die Niederlage bereits eingepreist. Man werde die Abstimmung „hinter sich bringen“ und „weitergehen“. Er behauptete, der Aufsichtsausschuss habe sowieso schon weit mehr veröffentlicht, als das Gesetz erzwingen würde. Doch niemand im Haus glaubt ernsthaft, dass er die Lage im Griff hat. Zumal die Debatte durch neue Dokumente weiter angeheizt wird. Darunter eine E-Mail aus dem Jahr 2019, in der Epstein einem Journalisten schrieb, Trump habe „von den Mädchen gewusst“. Das Weiße Haus wirft den Demokraten vor, damit den Präsidenten verleumden zu wollen. Doch der Schaden ist angerichtet – und die Frage steht im Raum, ob hinter den geschwärzten Passagen der Akten mehr steckt, als das Weiße Haus zugeben möchte.
Trump selbst wurde nie einer Straftat im Zusammenhang mit Epstein beschuldigt, und die bloße Erwähnung seines Namens in Ermittlungsunterlagen bedeutet nichts. Epstein umgab sich über Jahrzehnte mit Hunderten prominenter Bekannter, von Clinton über Prinz Andrew bis zu Tech-Milliardären. Doch in dieser politischen Lage reichen Andeutungen aus, um Misstrauen zu schüren. Genau das spaltet jetzt auch das republikanische Lager.
Marjorie Taylor Greene, Nancy Mace und Lauren Boebert – drei der lautesten Stimmen im MAGA-Flügel – haben die Petition unterschrieben. Greene zahlte sofort einen Preis. Trump kündigte öffentlich an, sie politisch zu „ersetzen“, sollte sich ein geeigneter Gegenkandidat finden. Greene reagierte fassungslos: Sie habe mit vielen Frauen gesprochen, die behaupten, Trump habe nichts Unrechtes getan. Warum also kämpfe er so hart gegen die Freigabe? „Ich habe keine Ahnung, was in den Akten steht“, sagte sie. „Aber das fragt sich jeder.“
Marjorie Taylor Greene: „Ich habe keine Angst, Namen zu nennen. Und wenn sie mir eine Liste [Epstein] geben wollen, gehe ich ins Kapitol, auf den Boden des Repräsentantenhauses, und spreche jeden einzelnen verdammten Namen aus, der diese Frauen missbraucht hat. Ich kann das für sie tun. Und ich wäre stolz darauf.“
Khanna, der demokratische Mitinitiator, hält die Erwartungen niedriger. Er hofft auf „40 oder mehr“ Republikaner. Ihm geht es um etwas anderes: dass Trump sich mit Betroffenen trifft, die am Dienstag im Kapitol auftreten werden. Er sagt, er wisse nicht, „wie sehr Trump überhaupt involviert war“. Doch es gebe viele andere Namen, die endlich öffentlich gemacht werden müssten. Massie wiederum hat eine Warnung an seine republikanischen Kollegen, die aus Angst vor Trumps Zorn dagegen stimmen könnten: Sie hinterlassen einen Makel, der länger bleibt als die zweite Amtszeit des Präsidenten. „Der Eintrag dieser Abstimmung wird länger leben als Donald Trumps Präsidentschaft“, sagt er.
Und selbst wenn das Gesetz das Repräsentantenhaus mit großer Mehrheit passiert, bleibt die Frage, ob die Republikaner im Senat die Tür öffnen oder verriegeln werden. Massie setzt auf den Druck: Wenn die Abstimmung im Haus eindeutig ausfällt, werde niemand die Verantwortung tragen wollen, die Offenlegung zu blockieren. „Ich glaube, wir könnten eine Welle von Republikanern bekommen“, sagt er.
Opfer von Jeffrey Epstein haben sich für ein Video zusammengeschlossen, in dem sie den Kongress auffordern, die Epstein-Akten freizugeben.
Es ist ein Moment, der Trump gefährlicher werden könnte als jedes Impeachment oder jeder politische Skandal der vergangenen Jahre: nicht wegen dessen, was in den Akten steht, sondern wegen dessen, was sein Widerstand ausgelöst hat. Eine Rebellion im eigenen Lager, die zeigt, wie sehr seine Macht bröckelt. Während draußen in Washington Protestkunst an den Wänden hängt – Trump und Epstein, nebeneinander, wie zwei Schatten einer Vergangenheit, die noch immer unaufgearbeitet ist – versucht das Weiße Haus, die Kontrolle zurückzugewinnen. Doch die Entscheidung liegt nicht mehr bei Trump. Sie liegt bei einem Parlament, das sich ausnahmsweise nicht einschüchtern lässt. Und genau deshalb ist die Kehrtwende des Präsidenten weniger ein Zeichen von Stärke als ein stilles Eingeständnis: Die Welle, die er stoppen wollte, rollt längst über ihn hinweg.
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irgend etwas paßt nicht…
Mein erster Gedanke war – welche „Details“ wurden schnell entfernt, so dass die Akten nun veröffentlicht werden können.
Ich denke auch, dass die „Verzögerung“ dazu genutzt wurde gewisse Details zu löschen oder zu fälschen. Sorry, aber den maßgeblichen Figuren dort traue ich inzwischen so ziemlich Alles zu.
Dass die Personen, deren Namen in den Akten stehen, möglicherweise alle! ihre schmutzigen Finger auf die Opfer gelegt haben, setze ich inzwischen voraus. Was mich jetzt wirklich interessiert sind die geschäftlichen Beziehungen und politischen Verstrickungen in diesem „Darkroom“. Der britische König Charles III hatte sicherlich sehr gute Gründe so hart gegen seinen Bruder vorzugehen.
Es idt sehr, sehr viel Zeit vetgangen.
Hunderte (?) FBI Agenten waren mit der Durchsicht beschäftigt.
Was wurde entfernt, umgeschrieben, „fälschlich“ geschwärzt?
Trump hat das Justizministerium angewiesen gegen Bill Clinton und andere zu ermitteln.
In laufenden Verfahren dürften die Akten unter Verschluss gehalten werden, „um laufende Ermittlungen nicht zu gefährden“
Damit kauft sich Trump noch mehr Zeit.
Ich befürchte, hoffe aber das ich mich irre, dass die Akten derart gefälscht und geschwärzt sind, dass kein kleiner Schatten aif Trump und seine loyalen Freunde fällt.
Dafûr um so mehr auf politische Gegner oder andere Feinde.
Dann hätte Trump seinen großen Moment, der die MAGA wieder zusammenbringt, dass ihr göttlicher Präsident so etwas nie, nie, nie machen würde.
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