Zwischen Brooklyn und Albany – New Yorks Wahl als Spiegel der amerikanischen Zeiten

VonRainer Hofmann

November 4, 2025

New York – An diesem Dienstag entscheidet die größte Stadt der Vereinigten Staaten nicht nur über ihren nächsten Bürgermeister, sondern über ein politisches Selbstverständnis, das weit über die Grenzen der Fünf Boroughs hinausreicht. Es ist die erste große Abstimmung seit Donald Trump ins Weiße Haus zurückgekehrt ist – und sie fällt in eine Zeit, in der der Präsident seine Macht so expansiv auslegt, dass selbst konservative Juristen von einer „Exekutive im Ausnahmezustand“ sprechen.

Im Zentrum dieses politischen Erdbebens steht ein Dreikampf, wie ihn New York in dieser Form noch nie erlebt hat: der 34-jährige Zohran Mamdani, Sohn ugandischer Einwanderer und Vertreter des progressiven Flügels der Demokraten, gegen den einst allmächtigen Ex-Gouverneur Andrew Cuomo, der nach seinem Rücktritt 2021 wegen Belästigungsvorwürfen eine beinahe unvorstellbare politische Wiederauferstehung sucht– und gegen Curtis Sliwa, den ewigen Straßenkämpfer mit roter Barettmütze, der hofft, dass seine Mischung aus Wut, Pathos und Law-and-Order-Rhetorik diesmal reicht, um das Undenkbare zu schaffen: ein republikanischer Bürgermeister im Jahr 2025.

Andrew Cuomo, Curtis Sliwa,Zohran Mamdani

Ein Sieg Mamdanis wäre eine Zeitenwende. Er wäre der erste muslimische Bürgermeister in der Geschichte New Yorks – und der jüngste seit Generationen. Vor allem aber würde er die Ideale des demokratischen Sozialismus in den wohl sichtbarsten Regierungssitz der Vereinigten Staaten katapultieren. Mamdani spricht von kostenloser Kinderbetreuung, kostenlosem Nahverkehr, eingefrorenen Mieten für rund eine Million Wohnungen. Seine Reden tragen den Ton des Aufbruchs, aber auch die Härte eines Mannes, der weiß, was Widerstand bedeutet. Geboren in Kampala, aufgewachsen in Queens, durchdrungen von der Erfahrung des Dazwischen – und nun bereit, das Establishment herauszufordern, das ihn einst übersehen hat.

Doch die Fronten sind brutal. Trump selbst hat Mamdani ins Visier genommen, ihn als „Gefahr für die Stadt“ bezeichnet und unverhohlen gedroht, im Falle seines Sieges „die Kontrolle über New York zu übernehmen“. Noch am Vorabend der Wahl rief der Präsident die Republikaner dazu auf, Cuomo zu wählen – ein Schulterschluss zwischen Erzfeinden, geboren aus taktischem Kalkül. Der Demokrat Mamdani gilt im Weißen Haus als Symbol eines „neuen Radikalismus“, den Trump zu vernichten versprochen hat. Cuomo wiederum bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Reue und Revanche. Vier Jahre nach seinem Sturz kehrt er mit der Pose des Unbeirrbaren zurück. Er gibt den erfahrenen Macher, den letzten Erwachsenen im Raum, der die Stadt managen kann, wenn die Ideologen sich gegenseitig zerfleischen. Seine Botschaft an die Wähler lautet: „Ich habe Fehler gemacht – aber ich habe New York regiert, als es brannte.“ Unterstützt wird er von alten Kräften des Zentrums: Michael Bloomberg, der 1,5 Millionen Dollar in eine Pro-Cuomo-Super-PAC pumpte; der scheidende Bürgermeister Eric Adams, dessen Rückzug viele seiner moderaten Wähler an Cuomo binden könnte; orthodoxe Gemeinden, die in Mamdanis Palästina-Positionen einen Affront sehen.

Denn Mamdani hat sich nie gescheut, seine Meinung beim Namen zu nennen. Er nannte Israels militärisches Vorgehen in Gaza „genozidal“, verweigerte die Formel vom „jüdischen Staat“ und geriet damit ins Kreuzfeuer jener Demokraten, die längst gelernt haben, Kritik an Israel als politisches Risiko zu vermeiden. Einige seiner Sätze aus früheren Jahren verfolgt er nun wie Schatten, gegen die sich auch die größten politischen Talente nicht wehren können. Mamdani hat seine Wortwahl gemildert, aber nicht seine Haltung – und das macht ihn für viele New Yorker umso faszinierender, für andere unerträglicher.

Curtis Sliwa, 71, verkörpert derweil das Gegenteil jeder neuen Welt. Gründer der Guardian Angels, Dauerauftritt in Radioshows, ein Mann, der die 1980er nie verlassen hat. Sein Wahlkampf ist eine Hommage an jene Zeit, in der Kriminalität das Stadtbild prägte und Law and Order als Erlösung galt. Seine Chancen sind gering, sein Ego groß – und sein Verbleib im Rennen dient am Ende wohl nur einem: Mamdani zu schaden. Selbst Trump nannte ihn „not exactly prime time“ und forderte ihn auf, sich zurückzuziehen, um Cuomo den Weg freizumachen. Sliwa lehnte ab, mit der stoischen Überzeugung, dass in New York noch Platz sei für „einen echten Kämpfer“.

Die Wahl ist ein Prüfstein dafür, was aus Amerikas liberaler Ikone geworden ist. Unter Trumps zweiter Amtszeit hat sich das politische Klima selbst hier verformt. Moderaten Demokraten gilt Mamdani als zu riskant, Republikanern Cuomo als zu verschlagen, und die Wut im Untergrund wächst. Der ehemalige Gouverneur setzt auf den Pragmatismus des Alltags, der Sozialist auf das Pathos der Veränderung – zwei Sprachen, die sich selten berühren und doch beide etwas Echtes versprechen: Sicherheit oder Hoffnung.

Cuomos Vergangenheit bleibt jedoch eine offene Wunde. Der Bericht der Generalstaatsanwältin, elf Frauen, die von Berührungen, Blicken, Gesten sprachen, steht unauslöschlich im Raum. Er nannte seine Kritiker „Lügnerinnen“, sprach von „politischen Feinden“, zeigte Reue und Trotz in wechselnder Reihenfolge. Dass ausgerechnet er jetzt wieder für das höchste Amt der Stadt kandidiert, ist entweder ein Zeichen amerikanischer Vergebung – oder ihrer kollektiven Amnesie.

Mamdani dagegen trägt die Zukunft in seinem Gesicht, aber auch die Last einer Bewegung, die sich selbst oft im Weg steht. Zwischen idealistischem Überschwang und strategischer Naivität balanciert er auf einem Drahtseil, das quer über Manhattan gespannt scheint. In den Cafés von Harlem und den Hinterhöfen von Queens schwören junge Menschen auf ihn, während in Midtown die Stimmen für Cuomo gesammelt werden – leise, berechnend, wohlhabend. Am Ende dieser Wahl geht es nicht nur um eine Stadt. Es geht um das Selbstbild einer Nation, die noch immer nach einer Antwort sucht auf die Frage, wie viel Wandel sie erträgt. Wird New York erneut zum Symbol des Fortschritts – oder zur Bühne einer Rückkehr, die man einst für unmöglich hielt?

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
2 Comments
Älteste
Neueste Meist bewertet
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Ela Gatto
Ela Gatto
16 Stunden zuvor

Sliwa steht eigentlich für Trumps rückwärtsgerichtete Politik.
Aber eigentlich ist New York bekannt dafür nach vorne zu gehen.

Cuomo steht für die „alten Säcke“ der Demokraten. Stillstand und verhaftet im festgefahrenen Denken.
Dazu die Belästigungsvorwürfe. Ein Sexualstraftäter unterstützt den anderen …. es passt ins Bild.
Und natürlich wird Trump Cuomo, sofern der gewinnt, deutlich daran erinnetn „Das er ihm was schuldet“.
Es ist traurig, dass die drastischen Verfehlungen von Cuomo so in den Hintergrund treten.
Gerade auch bei solch familienorientierten Gruppen, wieden orthodoxen Juden.

Mamdani. Jung und sozial.
Die Reichen (Demokraten) sehen in ihm eine Gefahr für ihren Wohlstand.
Die jüdischen Gruppen kreiden ihm die Aussagen zu Gaza an.

Letztlich fürchte ich, dass das Geld und das Festhalten an „alt bekannten“ Cuomo den Sieg bescheren wird.

Auf Mamdani hoffe ich.
Es wäre gut für die demokratische Partei Aufschwung zu bekommen.

2
0
Über ein Kommentar würden wir uns freuen.x