Es ist ein Buch, das wie ein letztes Wort aus dem Jenseits klingt – ungeschönt, erschütternd, fast zu direkt, um noch als Literatur durchzugehen. Nobody’s Girl, die posthum heute erscheinende Autobiografie von Virginia Giuffre, jener Frau, die Jeffrey Epstein einst entkommen konnte und doch nie ganz frei wurde, enthält ihre letzten Zeilen über Macht, Abhängigkeit und die Männer, die glaubten, sie gehörten zur Beute der Welt. Im Zentrum: Prinz Andrew.

Giuffre beschreibt in dem Buch mit einer Präzision, die jede Abwehr erstickt, wie Ghislaine Maxwell sie eines Abends „auf einen Prinzen vorbereitete“. Sie erinnert sich an die Vorfreude einer Siebzehnjährigen – „wie Cinderella, nur dass das Märchen in den Abgrund führte“. Maxwell habe sie für das Dinner herausgeputzt, Andrew sei charmant, gesprächig und zugleich kalt gewesen. Auf die Frage nach ihrem Alter, so schreibt sie, habe er richtig geraten – „meine Töchter sind nur ein bisschen jünger als du“, habe er gesagt. Maxwell lachte: „Dann müssen wir sie wohl bald austauschen.“

Was folgt, liest sich wie das Protokoll einer Macht, die keinen Widerstand kennt. Giuffre schildert, Maxwell habe ihr befohlen, „für ihn zu tun, was du für Jeffrey tust“. Der Prinz, so schreibt sie, habe sich verhalten, als stünde ihm Sex mit ihr zu – freundlich, aber selbstgewiss, als sei es sein Geburtsrecht. Es kam zu einem Bad, zu „Verkehr, der weniger als eine halbe Stunde dauerte“. Andrew sei besonders auf ihre Füße fixiert gewesen, habe sie gestreichelt, geleckt. Worte, die man kaum auf Papier erträgt. Epstein zahlte ihr danach 15.000 Dollar – „für die Dienstleistung an dem Mann, den die Boulevardpresse Randy Andy nannte“, schreibt sie. Sie habe nicht gewollt, aber geglaubt, sie müsse. „Unsere Existenz hing davon ab. Es gab kein Entkommen aus Epsteins und Maxwells Griff.“

Später beschreibt Giuffre eine zweite Begegnung. Wieder war Maxwell dabei, diesmal mit einer Puppe, die Andrew ähnelte. Sie setzte sie Giuffre auf den Schoß, ließ die Hand der Puppe auf ihre Brust fallen – eine groteske Szene, die sie als Symbol ihrer Lage deutet: „Wir waren ihre Puppen, und sie zogen die Fäden.“ Eine dritte Begegnung, so schreibt sie, habe auf Epsteins Privatinsel stattgefunden – als Orgie mit dem Prinzen, Epstein und acht weiteren Mädchen, viele von ihnen kaum volljährig, manche ohne ein Wort Englisch. „Epstein lachte, dass sie nicht sprechen konnten – die einfachsten Mädchen, mit denen man auskommt.“

Als Giuffre 2011 beschloss, an die Öffentlichkeit zu gehen, übergab sie der britischen Journalistin Sharon Churcher ein Foto: Andrew, Maxwell, sie – das Bild, das um die Welt ging. „Ich gab ihr die Schnappschüsse, die ich in einem Buchregal versteckt hatte“, schreibt sie. Später sah sie ein anderes Foto: Andrew, zehn Jahre danach, wieder an Epsteins Seite. „Es machte ihn nur noch arroganter – Randy Andy, der unbelehrbare Prinz.“ In den Jahren danach kämpfte sie um juristische Aufarbeitung – und gegen Mauern aus Geld, Einfluss und Schweigen. 2020, so schreibt sie, habe Andrew sich nach Balmoral zurückgezogen, um der Zustellung ihrer Klage zu entgehen. Ein Richter warf seinen Anwälten vor, „Verstecken hinter Palastmauern“ zu spielen. Und selbst als Maxwell 2021 vor Gericht stand, so Giuffre, habe Andrews Lager gezielt Gerüchte gestreut, Trolle engagiert, sie diskreditiert.

Nobody’s Girl erscheint heute – Monate nach Giuffres Suizid in der Nähe ihres australischen Zuhauses. Es ist das Vermächtnis einer Frau, die vom System verschlungen und doch zur Stimme all jener wurde, deren Geschichten nie jemand hören wollte. In ihren letzten Sätzen klingt nichts von Rache, nur eine bittere Klarheit: dass Macht, wenn sie nicht begrenzt wird, jede Moral frisst – und dass Könige, Prinzen, Präsidenten am Ende alle denselben Schatten werfen.
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