Vor wenigen Augenblicken entschied das 9. US-Berufungsgericht in San Francisco im Fall Trump v. State of Oregon, Az. 25-17108, dass Donald Trump formal das Kommando über die Nationalgarde von Oregon übernehmen dürfe – obwohl er sie vorerst nicht einsetzen kann. Ein juristischer Pyrrhussieg, doch einer, der die Machtbalance zwischen Bund und Bundesstaat neu vermisst. Der Fall begann vor drei Wochen, als U.S. District Judge Karin Immergut, eine in Portland geborene Juristin mit republikanischem Hintergrund und früherer Bundesanwältin, zwei einstweilige Verfügungen gegen das Weiße Haus erließ. Sie untersagte dem Präsidenten zunächst, 200 Soldaten der Oregon National Guard nach Portland zu befehligen, um dort „die öffentliche Ordnung wiederherzustellen“. Als Trump die Anordnung umging, indem er stattdessen Truppen aus Kalifornien beorderte, folgte ihre zweite Verfügung: kein einziger Nationalgardist, egal aus welchem Staat, dürfe ohne Zustimmung Oregons im Bundesstaat eingesetzt werden.
Es war ein klarer Schlag gegen ein zunehmend autoritäres Weißes Haus – und der Auftakt zu einem juristischen Tauziehen, das nun in San Francisco seinen nächsten Akt erlebte. Ein dreiköpfiges Richtergremium des 9th Circuit hob Immerguts erste Verfügung auf. Die Mehrheit: Richter Ryan D. Nelson und Richterin Bridget S. Bade, beide von Donald Trump ernannt. Die Minderheit: Richterin Susan P. Graber, berufen von Bill Clinton, eine erfahrene Juristin mit jahrzehntelanger Erfahrung in Zivilrechtsfragen und bekannt für ihre präzise, unaufgeregte Sprache.
Nelson, ein früherer Anwalt des Energiesektors aus Idaho, und Bade, ehemals Bundesanwältin in Arizona, argumentierten, der Präsident habe mit hoher Wahrscheinlichkeit das Recht, die Truppen zu „föderalisieren“. In ihrem 24-seitigen Mehrheitsvotum schreiben sie, der Oberbefehlshaber könne sich auf den „Insurrection Act“ und die Exekutivbefugnis zur „Durchsetzung der Gesetze“ berufen, wenn er feststelle, dass diese ohne militärische Unterstützung nicht durchsetzbar seien. „Selbst wenn der Präsident das Ausmaß der Lage in den sozialen Medien übertreiben mag“, heißt es wörtlich, „scheinen die Fakten seine Entscheidung grundsätzlich zu unterstützen.“
Das klingt wie juristische Nüchternheit – ist aber politisch Sprengstoff. Denn die Fakten, auf die sich die Richter stützen, sind dünn: In Portland gab es zuletzt kleine nächtliche Proteste vor dem ICE-Gebäude, begrenzt auf einen Straßenblock. Keine brennenden Polizeiautos, keine Plünderungen, keine massiven Ausschreitungen. Bundesrichterin Immergut hatte in ihrer ursprünglichen Entscheidung betont, die Darstellung des Weißen Hauses, Portland sei „kriegsähnlich verwüstet“, sei „schlicht nicht durch Fakten gedeckt“. Graber, die Clinton-Richterin, griff das in ihrem abweichenden Votum auf – und formulierte den schärfsten juristischen Satz des Monats:
„In den zwei Wochen vor dem Social-Media-Beitrag des Präsidenten vom 27. September gab es keinen einzigen Vorfall, bei dem Demonstranten die Durchsetzung der Gesetze behinderten“, schrieb sie. „Es ist schwer nachvollziehbar, wie ein winziger Protest ohne jegliche Störung den Standard erfüllen könnte, dass der Präsident nicht in der Lage sei, die Gesetze auszuführen.“
Das ist mehr als ein Dissens. Es ist ein Weckruf. Graber warnt, dass das Urteil, würde es Bestand haben, „dem Präsidenten eine einseitige Macht verleihen“ würde, „Soldaten auf die Straßen der Bundesstaaten zu schicken – mit kaum mehr als einer Behauptung als Begründung.“
Tatsächlich ist die Linie, die hier gezogen wird, von enormer Tragweite. Das Berufungsgericht hat nicht nur über Oregon entschieden, sondern über das Verhältnis von Bund und Ländern in Zeiten politischer Eskalation. Es testet, wie weit ein Präsident gehen darf, wenn er innere Unruhe behauptet – und was passiert, wenn die Justiz ihm Glauben schenkt. Hinter der juristischen Rhetorik steht ein politisches Muster: Trump sucht die Konfrontation mit demokratisch regierten Bundesstaaten. Nach Oregon will das Weiße Haus nun auch Nationalgardetruppen in Chicago stationieren. In Kalifornien läuft bereits ein Parallelverfahren – dort hatte ein Richter entschieden, dass der Einsatz von Tausenden Nationalgardisten in Los Angeles gegen den Posse Comitatus Act verstößt, ein Gesetz aus dem Jahr 1878, das die Nutzung des Militärs für zivile Polizeiaufgaben grundsätzlich untersagt.
Das Justizministerium argumentiert derweil, Gerichte sollten sich nicht anmaßen, die Entscheidung des Präsidenten über Truppeneinsätze zu überprüfen. Doch genau das ist der Kern der Auseinandersetzung: Wo endet Exekutivgewalt, wo beginnt Willkür?
Oregons Generalstaatsanwalt Dan Rayfield, ein Demokrat, will das Urteil anfechten. Er kündigte an, eine größere Richterbank („en banc“) des 9th Circuit einzuschalten. Sein Kommentar klang wie eine Warnung an das ganze Land: „Wenn dieses Urteil Bestand hat, verleiht es dem Präsidenten eine einseitige Macht, Soldaten auf unsere Straßen zu schicken – ohne wirkliche Begründung. Wir bewegen uns auf einem gefährlichen Pfad in Amerika.“ Der Fall Trump v. Oregon ist noch nicht entschieden – aber er hat bereits Geschichte geschrieben. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten prüft ein US-Berufungsgericht, ob ein Präsident das Militär faktisch gegen Bundesstaaten einsetzen darf, deren Regierung ihm politisch widerspricht.
Ob das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten diesen Präzedenzfall aufgreifen wird, ist offen. Doch eines steht fest: Sollte es so weit kommen, wird der Konflikt nicht nur juristisch, sondern historisch – ein Kampf um die Frage, wem die amerikanische Armee letztlich gehorcht: der Verfassung oder dem Willen eines Mannes.
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