Es war ein Satz, wie ihn nur Donald Trump formulieren kann – direkt, grell, maximal entgleisend: „Putin has gone absolutely crazy.“ Keine diplomatische Note, kein Vorbehalt, kein Subtext. Ein Urteil, das in seiner Schärfe ebenso überraschend kam wie der Absender selbst – jener US-Präsident, der sich jahrelang als Putin-Versteher inszenierte, der nie ein klares Wort über Kriegsverbrechen verlor, aber stets das große Geschäft im Blick hatte.
Nun also dieser Bruch – und die Reaktion aus Moskau? Gekonnt nüchtern, fast süffisant: Der Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte, Trumps Äußerungen seien Ausdruck „emotionaler Überlastung aller Beteiligten“. Keine Gegenbeschimpfung, kein diplomatischer Eklat – sondern ein kalkulierter Spiegel, der dem US-Präsidenten seine eigene Impulsivität vorhält. Es ist ein rhetorischer Zug, der sitzt. Denn wo Trump Lautstärke wählt, antwortet der Kreml mit psychologischer Diagnose.
Doch was steckt hinter dieser scheinbar kühlen Reaktion? Es ist Strategie. Wer seinen Gegner als emotional instabil darstellt, stellt ihn automatisch in Frage – in seiner Urteilskraft, seiner Führungsfähigkeit, seiner Glaubwürdigkeit. Gerade Trump, der sich in Wahrheit stets als rationaler Macher inszenieren will, trifft ein solcher Seitenhieb ins Mark. Und doch ist es nicht nur ein persönlicher Affront, sondern auch ein Hinweis auf das neue Spannungsfeld zwischen den einstigen Machtspielern Trump und Putin.
Denn Trumps „verrückt“-Aussage fällt nicht in ein Vakuum. Sie kommt nach dem heftigsten russischen Luftangriff auf die Ukraine seit Beginn des Krieges, bei dem 367 Drohnen und Raketen abgefeuert wurden – 13 Menschen starben, Dutzende wurden verletzt. Die Weltöffentlichkeit war erschüttert, selbst in Washington wurde erstmals offen von „Zügellosigkeit“ Putins gesprochen. Doch statt auf institutioneller Ebene zu reagieren, wählte Trump – ganz in seinem Element – den persönlichen Angriff.
Und das ist Teil des Problems: Emotion ersetzt Strategie. Wo kluge Diplomatie gefragt wäre, liefert der US-Präsident ein Showformat, das den Krieg in ein persönliches Drama zwischen Männern mit übergroßen Egos verwandelt. Die Folge: Moskau gewinnt, indem es gelassen bleibt. Es stilisiert sich als kontrollierte Macht, die sich selbst bei maximaler Provokation nicht aus der Ruhe bringen lässt – ein Narrativ, das besonders im globalen Süden ankommt.
Zugleich aber offenbart sich in Trumps Ausbruch auch eine Wahrheit, die sich nicht wegdiagnostizieren lässt: Putins Angriffskrieg hat jede Grenze überschritten. Die Zahl der Angriffe, ihre Brutalität, ihre Zielrichtung gegen zivile Infrastruktur – all das rechtfertigt scharfe Worte. Nur: Wer sie ausspricht, sollte dies mit Maß und Verantwortung tun, nicht im Stil eines Truth-Social-Posts zwischen zwei Golfturnieren.
Dass Trump ausgerechnet in diesem Moment auch den ukrainischen Präsidenten Selenskyj kritisierte, macht die Lage nur absurder. Selenskyj, so Trump, schade seinem Land mit seiner Wortwahl – eine Aussage, die an Zynismus kaum zu überbieten ist, wenn man bedenkt, wer sie äußert.
Am Ende bleibt ein Bild: Ein Präsident, der laut „verrückt“ ruft – und ein Regime, das kalt lächelnd zurückspiegelt: „Nicht er, wir.“ Der Kampf um Deutungshoheit ist eröffnet – und wie so oft in der Propaganda gilt: Wer schreit, verliert. Wer kalt bleibt, gewinnt. Nur die Wahrheit bleibt auf der Strecke. Und mit ihr die Hoffnung auf Vernunft.
