Ein Präsident, der keine Grenzen mehr kennt – Ein Kommentar zum aktuellen Stand

VonRainer Hofmann

Oktober 7, 2025

Es gibt Momente in der Geschichte, in denen politische Macht nicht mehr nach außen strebt, sondern sich nach innen kehrt – gegen das eigene Land, gegen die eigenen Bürger. In diesen Wochen erlebt Amerika genau das. Donald Trump führt keine klassische Regierung mehr, keinen ideologischen Streit, keine Auseinandersetzung um Programme oder Mehrheiten. Er führt einen Feldzug, ein Regime. Und dieser Feldzug, dieses Regime, richtet sich gegen alles, was in seinen Augen schwach, illoyal oder liberal ist. Was sich derzeit entfaltet, gleicht einer schleichenden inneren Entwaffnung der Demokratie. Trump nutzt die Instrumente „seines“ Staates, seiner Rache – Militär, Heimatschutzministerium, ICE, Justiz – nicht länger zum Schutz der Nation, sondern als Werkzeuge einer politischen Vergeltung. Es ist eine Form des Bürgerkriegs von oben, angeführt durch einen Präsidenten, der seine Gegner nicht mehr als politische Gegner, sondern als Feinde betrachtet.

Der Weg in diesen Zustand war kein Zufall, sondern das Ergebnis jahrelanger Vorbereitung. Stephen Miller, Trumps engster politischer Berater, hat daraus nie ein Geheimnis gemacht. Bei der Trauerfeier für Charlie Kirk in Phoenix sprach er offen davon, wie diese Regierung mit ihren „inneren Feinden“ umgehen werde: Man werde sie aufspüren, ihr Geld, ihre Macht und – wo möglich – ihre Freiheit nehmen. Es war keine Drohung, es war eine Ankündigung. Und sie war erschütternd präzise. Seit Kirks Ermordung hat sich die politische Sprache der Regierung verändert. Wo zuvor von Einheit und Ordnung gesprochen wurde, regieren jetzt Begriffe wie „Reinigung“, „Säuberung“, „Feinde im Inneren“. Diese Rhetorik ist nicht zufällig gewählt. Sie dient als ideologische Grundlage für eine systematische Entmachtung demokratischer Institutionen. Jede Krise, jede Tragödie, jedes Attentat wird zum Vorwand, um das nächste Stück politischer Freiheit abzuschaffen.

Die Liste der Maßnahmen wächst täglich. 321 Energieprojekte – gestrichen. 7,5 Milliarden Dollar – entzogen. Fast ausschließlich in Bundesstaaten, die demokratisch regiert werden. Kalifornien, New York, Massachusetts, Oregon – allesamt Zielscheiben einer Administration, die offene Feindseligkeit zur Regierungspraxis erhoben hat. Selbst milliardenschwere Infrastrukturprojekte in New York City, darunter die Verlängerung der Second Avenue Subway und der neue Tunnel unter dem Hudson River, wurden über Nacht gestoppt. Offiziell, weil die „finanzielle Verantwortung“ Priorität habe. In Wahrheit, weil politische Strafe jetzt Staatsraison ist.

Die Regierung nutzt die Schließung des Bundes als Waffe – und als Labor. Sie prüft, wie weit sie gehen kann, ohne offenen Widerstand hervorzurufen. Das ist das eigentlich Gefährliche: Die Zerstörung geschieht schrittweise, bürokratisch, mit Formularen und Verordnungen. Kein Putsch, kein Blut, kein Marsch auf Washington – sondern eine kalte, administrative Machtverschiebung, getarnt als Regierungshandeln. Parallel dazu läuft eine zweite Front: die gezielte Einschüchterung von Gegnern. Das Justizministerium hat den früheren FBI-Direktor James Comey anklagen lassen – wegen angeblicher Falschaussage. Die Begründung ist juristisch schwach, der politische Effekt aber enorm: Es sendet eine Botschaft. Wer Trump widerspricht, wird nicht kritisiert, sondern kriminalisiert. Nur Tage später feuerte der neue FBI-Direktor Kash Patel rund zwanzig Agenten, weil sie im Jahr 2020 bei einer Demonstration niedergekniet hatten – ein Zeichen des Mitgefühls nach dem Tod von George Floyd. Kurz darauf wurde ein Mitarbeiter entlassen, weil er in seinem Büro eine Regenbogenfahne aufgehängt hatte.

Die Repression wird zur Routine. Trump spricht inzwischen offen darüber, „Demokraten-Städte“ als Trainingsgelände für das Militär zu nutzen – um, wie er sagt, „den Feind im Inneren“ zu bekämpfen. In Quantico applaudierten Generäle, einige zögerlich, andere mit sichtbarer Begeisterung. Für den Präsidenten ist das keine Provokation, sondern eine Probe. Er testet die Loyalität seiner Befehlshaber und die Reaktionsbereitschaft der Bevölkerung. Was sich hier abzeichnet, ist eine gefährliche Synthese aus politischer Rhetorik und institutioneller Gewalt. Die Forschung kennt dieses Muster. Der Politikwissenschaftler Ryan Enos von der Harvard University beschreibt es als klassische autoritäre Strategie: Eine Bedrohung wird überhöht, eine Krise konstruiert, die dann als Begründung für Machtzuwachs dient. Der Reichstagsbrand sei, so Enos, kein einmaliges Ereignis, sondern das bekannteste Beispiel eines Mechanismus, der sich in vielen Epochen wiederholt hat – immer mit denselben Folgen: Verlust von Rechtsstaatlichkeit, Einschränkung von Bürgerrechten, Gleichschaltung der Gesellschaft.

Trump und Miller wenden dieses Prinzip in Echtzeit an. Die Ermordung Kirks wird zur Zäsur erklärt, die Regierung inszeniert sie als Angriff auf das konservative Amerika. Dabei spielt die Geschwindigkeit eine zentrale Rolle: Innerhalb weniger Stunden nach dem Attentat stand die Erzählung von der „linksextremen Bedrohung“. Sie war fertig, wie aus der Schublade gezogen, und sie diente fortan als Rechtfertigung für alles – für Entlassungen, für Polizeieinsätze, für Überwachung, für die Militarisierung des öffentlichen Raums. Die Sozialwissenschaftlerin Barbara Walter von der University of California beschreibt diesen Prozess als „autokratische Versuchung“. Autokraten, schreibt sie, stoßen immer an dieselbe Grenze: In Demokratien besitzen Bürger Rechte, sie können Wahlen beeinflussen, sie können die Regierung absetzen. Wer diese Macht beseitigen will, braucht einen Vorwand. Gewalt liefert ihn. Deshalb provozieren autoritäre Führer oft gezielt Unruhen, um anschließend „Ordnung“ herzustellen – mit Notstandsgesetzen, mit Ausnahmezuständen, mit militärischer Präsenz in den Straßen.

Trump scheint diese Logik verinnerlicht zu haben. Schon seine Sprache verrät, dass er weniger auf Beruhigung als auf Eskalation setzt. Er redet von „Feinden“, „Säuberung“, „innerer Bedrohung“. Er stellt sich selbst als den letzten Verteidiger der Nation dar – und alle, die widersprechen, als Verräter. Es ist eine gefährliche Selbststilisierung, die in der Geschichte oft Vorbote von Gewalt war. Auch in der Wissenschaft wächst die Sorge, dass Trump auf eine bewusste Provokation hinarbeitet. Die Politikwissenschaftlerin Theda Skocpol von der Harvard University sagt, das Ziel der Regierung sei es, Proteste herbeizuführen, um sie anschließend als „Gewalt“ zu brandmarken und militärisch zu unterdrücken. Städte, so Skocpol, seien in der Erzählung der Rechten längst zu Feindbildern geworden – Orte der Dekadenz, der Kriminalität, der moralischen Schwäche. Fox News liefert dazu täglich die passenden Bilder. In diesem Weltbild ist „die Stadt“ das Symbol der Bedrohung, und die Nationalgarde die Lösung.

In Wahrheit, schreibt der Politologe Rory Truex von Princeton, geht es um etwas anderes: um Kontrolle über das Narrativ. Jede Form von Gewalt – egal von wem sie ausgeht – stützt Trumps Erzählung, dass Amerika in Auflösung begriffen sei und nur autoritäre Stärke das Land retten könne. Selbst Anschuldigungen gegen ihn werden umgedeutet, indem er behauptet, die Linke wolle ihn „zum Schweigen bringen“. Es ist ein zynischer Kreislauf: Gewalt rechtfertigt Macht, Macht erzeugt neue Gewalt.

Am Ende steht ein Präsident, der den Ausnahmezustand nicht mehr als Notfall begreift, sondern als Regierungsform. Bruce Cain von der Stanford University nennt das einen „prätextuellen Autoritarismus“ – eine Herrschaft, die sich durch Scheinbegründungen legitimiert. Trumps jüngste Äußerungen zur „Nutzung urbaner Gewalt als Trainingsgrund“ zeigten, dass er längst bereit sei, die Grenze zwischen Innen- und Außenpolitik, zwischen Militär und Gesellschaft, zwischen Recht und Macht endgültig zu verwischen. Was Trump so gefährlich macht, ist nicht seine Lautstärke, sondern seine Konsequenz. Er ist kein impulsiver Zerstörer, sondern ein strategischer. Er baut eine Architektur der Angst, deren Pfeiler aus Bürokratie, Loyalität und Einschüchterung bestehen. Und Stephen Miller liefert ihm die moralische Fassade dazu – ein quasireligiöses Weltbild, das Gut und Böse in unversöhnliche Gegensätze teilt. Bei Kirks Gedenkfeier brüllte Miller ins Mikrofon, die Gegner der Bewegung seien „Neid, Hass, Nichts“. Es war kein politischer Satz, sondern ein Glaubensbekenntnis.

Am anderen Ende dieses Spektrums steht ein entlassener Staatsanwalt, Michael Ben’Ary, der an die Tür seines ehemaligen Büros schrieb: Er habe an die Aufgabe geglaubt, das Land zu schützen, doch was aus dem Justizministerium geworden sei, zerstöre genau diese Mission. Zwischen diesen beiden Stimmen – Millers Pathos und Ben’Arys Ernüchterung – liegt das ganze Drama des gegenwärtigen Amerika.

Die einen glauben, sie retten die Nation, indem sie ihre Gegner vernichten. Die anderen erkennen, dass diese Rettung selbst zur Zerstörung geworden ist.

Und währenddessen beginnt ein neues Amerika zu entstehen: ein Staat, in dem jede Opposition als Bedrohung gilt, jede Kritik als Angriff, jede Institution als potenzieller Verräter. Vielleicht wird es keinen offiziellen Bürgerkrieg geben, keine zwei Fronten, keine Fahnen. Doch wenn er kommt, keiner möchte den Krieg in der Gesellschaft, dann wird er Dimensionen erschaffen, die dem Zuschauer aus der anderen Welt das Blut in den Adern gefrieren lässt. Die Spaltung, die Trump geschaffen hat, ist tief genug, um das Fundament einer Demokratie zu zersetzen, einen Bürgerkrieg auszurufen. Trump ist nicht mehr der Anführer einer Bewegung. Er ist ihr Vollstrecker geworden – und Stephen Miller ihr Architekt. Gemeinsam verwandeln sie das, was einmal eine Republik war, in ein Instrument der Vergeltung. Und die größte Gefahr liegt nicht darin, dass sie scheitern könnten, sondern darin, dass sie Erfolg haben – ganz ohne Krieg, ganz ohne Putsch, allein mit der Macht der Gewöhnung.

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Ela Gatto
Ela Gatto
3 Stunden zuvor

Es ist furchtbar zu sehen, was da geschieht.
Und man selber hat keine Möglichkeit etwas dagegen zu tun.
Man steht fassungslos und hilflos daneben.

Das in Quantico Generäle begeistert geklatscht haben, macht mir Angst.
Denn das sind die, die ihre Treue an Trump und nicht an die Vetfassung hängen.
Das ist so gefährlich. Denn wenn das Militär auf der falschen Seite steht, haben die Bürger, auch wenn es 60% sind, keine Chance.

MAGA wird weiter jubeln.
Bis irgendwann auch ihre Reihen „ausgedünnt“ werden. Weil sie nicht loyal, nicht weiß, nicht evangelikal oder sonstwas waren.

„…Innerhalb weniger Stunden nach dem Attentat stand die Erzählung von der „linksextremen Bedrohung“. Sie war fertig, wie aus der Schublade gezogen, und sie diente fortan als Rechtfertigung für alles – „
Das nährt immer mehr den Verdacht dass es ein Attentat aus den eigenen Reihen war.
Kirk wollte die Offenlegung der Epstein Files. Das pasdte nicht in Trumps Linie.
Aber ein Märtyrer passte sehr gut.

In einem Punkt muss ich aber etwas „widersprechen“, Rainer:
„..
. Was Trump so gefährlich macht, ist nicht seine Lautstärke, sondern seine Konsequenz. Er ist kein impulsiver Zerstörer, sondern ein strategischer. Er baut eine Architektur der Angst, deren Pfeiler aus Bürokratie, Loyalität und Einschüchterung bestehen….“

Trump ist kein Stratege.
Er ist ein lauter und Impulsiver Zerstörer.
Das Konstrukt aus Strategie, Angst, Loyalität, etc kommt von Stephen Miller, Project 2025.
Solch echte Strategie überfordert Trumps Intellekt in meinen Augen.
Dafür hat er Miller, Loomer, Vought, Thiel etc.

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