Vor unser aller Augen

VonRainer Hofmann

September 26, 2025

Am 25. September 2025 hat sich in New York ein Vorfall ereignet, der in seiner Brutalität kaum zu ertragen ist – und doch symptomatisch für das geworden ist, was Donald Trumps Amerika ausmacht. Im Flur des Einwanderungsgerichts an der 26 Federal Plaza wurde eine Frau, Mutter zweier Kinder, von einem ICE-Beamten zu Boden gestoßen. Kurz zuvor war ihr Ehemann aus Ecuador, unmittelbar nach seiner Asylanhörung, von Beamten festgesetzt worden. Sie fleht auf Spanisch: „Bitte, nehmt mich auch mit.“ Der Zivilbeamte antwortet: „Berühren Sie mich nicht“, packt sie, drückt sie gegen die Wand – dann liegt sie am Boden, die Kinder daneben in Tränen. Als sie weinend weiter um ihren Mann bittet, hört man den Beamten höhnisch „Adios“ sagen, bevor er sie brutal zu Boden stößt.

Unter teils kriegsähnlichen Bedingungen gelang es, die verletzte Frau gemeinsam mit den Kindern in das Wahlkreisbüro des demokratischen Abgeordneten Dan Goldman zu bringen, das sich nur wenige Schritte von der 26 Federal Plaza entfernt befindet. Von dort aus wurde die Familie in das nahegelegene NewYork-Presbyterian Lower Manhattan Hospital gebracht, wo die Frau medizinisch versorgt werden musste. Goldman sprach anschließend von einem „ungeheuerlichen Akt exzessiver Gewalt“ und forderte disziplinarische Konsequenzen für die Verantwortlichen.

Die Szene ist kein Einzelfall. Seit Monaten häufen sich Berichte über ICE-Agenten, die Migrantinnen und Migranten unmittelbar nach ihren Anhörungen in den Korridoren des Gerichts verhaften – oftmals ohne sichtbare Haftbefehle, oft unter den Augen kleiner Kinder. Erst in der Vorwoche hatten Proteste gegen diese Praxis an gleicher Stelle zu über 70 Festnahmen geführt, darunter mehrere Abgeordnete. Menschenrechtsanwälte, Ärztinnen, Journalisten, Freiwillige, wir alle, versuchen seither, das Unmögliche zu leisten: die Opfer medizinisch zu versorgen, juristisch zu vertreten, menschlich zu stützen. Doch die Spirale aus Gewalt und Angst dreht sich weiter und die Welt schaut zu.

Während eine Mutter in Manhattan ins Krankenhaus gebracht wird, debattieren die Schlagzeilen über Trumps Pläne, TikTok „zu retten“. Während Familien auseinandergerissen werden, spricht Europa vom „Dialog“ mit Washington. Doch wer diese Bilder sieht und weiter mit verschränkten Armen zusieht, macht sich mitschuldig. Eine Regierung in Berlin, in Paris, in Brüssel, die diese Exzesse toleriert, unterscheidet sich in nichts von einer Regierung, die selbst die Würde mit Füßen tritt.

Es sind nicht immer die bekannten Namen, über die berichtet wird. Es sind die tausenden Unbekannten, die jeden Tag durch diese Hölle gehen. Und so lange die internationale Gemeinschaft es nicht wagt, die USA für diese systematischen Menschenrechtsverletzungen zu sanktionieren, wird Trump mit seiner Horde weiter versuchen, die Welt in den Abgrund zu stoßen. Es ist dieser permanente Ausnahmezustand, in dem rechte Parteien wie die AfD wachsen – gestärkt durch die Botschaft, dass man Gewalt nur entschlossen genug ausüben muss, um sie salonfähig zu machen.

Dass die AfD-Vorsitzende Alice Weidel jüngst in einer Rede im August 2025 Trump als „Chance für alle freiheitsliebenden Menschen“ pries, ist mehr als nur ein Skandal. Es ist das offene Bekenntnis einer Partei, die sich längst nicht mehr hinter Phrasen versteckt. „Die Masken fallen“, sagte Weidel, und sie meinte es als Triumph. Doch in Wahrheit fallen die Masken vor unser aller Augen – nicht nur in Washington, sondern auch in Berlin.

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