Europa spürt den kalten Atem einer politischen Zeitenwende – und er kommt nicht aus Moskau. Es sind die Vereinigten Staaten unter Donald Trump, die mit missionarischem Eifer an Europas innerem Gleichgewicht rütteln. Der Präsident hat die Europäische Union wiederholt als Gegner bezeichnet, geschaffen, um Amerika auszunehmen, schlimmer als China als ökonomischer Rivale. Sein Vize, JD Vance, geht tiefer an die Fundamente: Er beschreibt europäische Demokratie als verfaultes System, das Religionsausübung unterdrücke, Migration gegen den Wählerwillen fördere, Wahlen aussetze und die radikale Rechte zensiere. Im Februar trat Vance in München mit einem Frontalangriff auf – und verließ die Bühne nicht, ohne sich in deutsche Innenpolitik einzumischen: Er traf den Chef der als verfassungsfeindlich eingestuften AfD, mitten im Wahlkampf. Ein Tabubruch, der Schule machte.

Seither sprechen hochrangige Regierungsvertreter in Washington unverhohlen ihre Sympathie für nationalkonservative Parteien nahezu überall in Europa aus: in Großbritannien, Tschechien, Frankreich, Ungarn, Italien, den Niederlanden, Rumänien, der Slowakei und Spanien. Das gemeinsame Programm heißt Zivilisationsnationalismus: nationale Identität, starke Führer, jüdisch-christliche Werte, traditionelle Geschlechterrollen, Anti-Migrations- und Anti-Islam-Politik. In den Augen der neuen amerikanischen Konservativen ist das die einzige wirksame Gegenmedizin zu einem Liberalismus, den sie als sicherheitsgefährdend betrachten. Schon jetzt werden diese Kontakte über transnationale Plattformen wie die „National Conservatism Conference“ systematisch vernetzt, wo US-Regierungsvertreter und europäische Rechtsparteien gemeinsame Strategien austüfteln – eine Art Gegenstück zur internationalen Sozialdemokratie vergangener Jahrzehnte, nur mit umgekehrtem ideologischen Vorzeichen.

Die Ermordung von Charlie Kirk und der Umgang der Regierung damit haben den ideologischen Feldzug weiter befeuert. Während Trump und seine Leute die Redefreiheit der Rechten zur Staatsräson erklären, intensivieren sie gleichzeitig den Kampf gegen das, was sie als linke Hassrede brandmarken – bis hin zur Genugtuung über das Verstummen populärer Kritiker wie Late-Night-Moderator Jimmy Kimmel. Der Vorsitzende der Federal Communications Commission, Brendan Carr, deutete an, Regulierungsinstrumente gegen ABC und seine Senderketten zu prüfen. Ein Signal an Europas Rechte, sagen viele hier: So könnte es auch bei uns laufen – mit Rückendeckung aus Washington.

Dass die Botschaften nicht zufällig sind, zeigte sich im Mai in Warschau. Kristi Noem, Heimatschutzministerin und stramme Kulturkämpferin, warnte dort Konservative vor „Führern, die aus Angst regieren“ und die Freiheit per Angstpolitik pervertierten. Sie stellte sich offen hinter Karol Nawrocki, Kandidat einer polnischen Rechtsaußenpartei, die die EU neu zuschneiden will. Trump empfing Nawrocki im Wahlkampf im Weißen Haus – und nach dessen Wahlsieg ein weiteres Mal. Es ist diese Kette von Gesten, die in europäischen Hauptstädten das Wort „Regimewechsel“ auf die Zunge legt. Man sieht amerikanische Funktionsträger, die nicht nur in Wahlkämpfe platzen, sondern EU-Regulierung unterlaufen, sich in Grönland – Hoheitsgebiet eines NATO-Partners – einmischen und französische wie rumänische Gerichte attackieren, wenn Urteile Rechtsaußen-Kandidaten schaden.

Natürlich sind Trump und Vance frei, Weltbilder zu verachten, die nicht die ihren sind. Doch während Russland im Schatten operiert, kommen die US-Interventionen offen daher – und brechen mit der Zurückhaltung unter Verbündeten, die jahrzehntelang galt. Gleichwohl halten viele europäische Regierungen still: Aus Sicherheitsgründen will man Washington nicht verlieren. Öffentliche Schmeichelei, private Empörung – so beschreibt es ein ranghoher europäischer Beamter. Der frühere Chatham-House-Direktor Robin Niblett analysiert nüchtern: Vance und seine Gefolgsleute sehen sich an der Spitze einer identitären Revolution des Westens – hin zu einem ausdrücklich jüdisch-christlichen Abendland, das von wertelosen Eliten verwässert worden sei. Ja, sagt Niblett, es geht um einen Regimewechsel in Europa. Der niederländische Historiker Luuk van Middelaar greift zu einem historischen Bild: eine rechtsgerichtete Internationale, ein konservativer Gegen-Kominterm.

Das Weiße Haus schweigt, Vance ebenfalls. Aus dem Umfeld hieß es, er wolle keine Wahlen beeinflussen, spreche mit allen Lagern – vor seinem damaligen Münchner Auftritt auch mit Olaf Scholz. Doch geleakte Nachrichten zeichneten ein anderes Klima. Verteidigungsminister Pete Hegseth schimpfte in einer privaten Runde, die Europäer seien „PATHETIC“, Vance schrieb mit Blick auf den Jemen: „Ich hasse es, die Europäer schon wieder herauszuhauen.“ Auf der Webseite des State Department forderte Samuel D. Samson, Berater im Menschenrechtsbüro, im Mai explizit neue Allianzen mit politisch Gleichgesinnten in Europa. Regierungen diesseits des Atlantiks führten einen „aggressiven Feldzug gegen die westliche Zivilisation“, lösten Nation, Kultur und Tradition – die Anker – auf und gefährdeten damit amerikanische Sicherheit. Die Antwort heißt bei Samson „civilizational alliance“: geschmiedet aus Kultur, Glaube, Familie, Beistand in Krisen – und vor allem einer gemeinsamen zivilisatorischen Erbschaft.

Der Feldzug streift Gerichte, Medien und Wahlkämpfe. Trumps Leute verurteilten die strafrechtliche Verurteilung Marine Le Pens und rügten europäische Hate-Speech-Gesetze. Während er Trump beriet, forderte Elon Musk die Deutschen auf, die Mitteparteien abzuwählen und die AfD zu wählen – Auftritte auf AfD-Bühnen inklusive. Das Treffen der AfD mit Vance im Februar verlieh der Partei zusätzliche Weihen und verärgerte den Kandidaten der Mitte, Friedrich Merz, der die Wahl am Ende nur knapp gewann. Analysten wie Rem Korteweg in Den Haag zählen eins und eins zusammen: Vance und die Seinen zielen längst über Rüstungsausgaben und Handelsbilanz hinaus – sie wollen das „woke“ Weltprojekt zerschlagen, das MAGA als Unterminierung amerikanischer Macht versteht. In Brüssel wiederum fürchten Beamte, dass die US-Rückendeckung für Rechtsparteien im Europäischen Parlament Mehrheiten kippen könnte – ein Szenario, das die Gesetzgebungsfähigkeit der Union fundamental verändern würde.

Institutionen, die lange als Hüter transatlantischer Kontinuität galten, wirken nun als Verstärker. Kevin Roberts, Chef der Heritage Foundation, beschimpft die EU als „aggressivsten Feind des Nationalstaats weltweit“. Sein Kollege Nile Gardiner preist Trumps Europastrategie als revolutionär: Die Verteidigung der westlichen Zivilisation; erstmals stelle sich eine US-Regierung offen gegen das europäische Projekt. Trumps Zolldrohungen und seine Forderung, Europa solle den Krieg in der Ukraine endlich selbst schultern, treffen Volkswirtschaften, die von Schulden und Stagnation ohnehin gezeichnet sind. Sabine Weyand, eine der wichtigsten Stimmen der EU-Handelspolitik, sagte unlängst, viele Zugeständnisse an Washington seien aus Furcht erfolgt – aus dem Bedürfnis, Sicherheitskooperation um fast jeden Preis zu sichern, während in Europa Krieg herrscht. „Die Nachkriegsordnung ist endgültig vorbei“, sagt sie. Und sie spricht damit vielen – meist hinter vorgehaltener Hand – aus der Seele. Parallel baut Heritage enge Bande zu europäischen Schwestern im Geiste, etwa zum ungarischen Mathias Corvinus Collegium. Der frühere französische Botschafter in Washington, Pierre Vimont, warnt derweil vor europäischer Selbstzufriedenheit. Wer die nächste Ordnung mitgestalten will, braucht jetzt eine eigene, tragfähige Vision – eine, die universelle Rechte und Werte nicht aus dem Blick verliert. Und er fügt hinzu: Die Sprache des „Zivilisationsnationalismus“ sei für europäische Gesellschaften nicht unschuldig, sie wecke Erinnerungen an die 1930er Jahre – eine historische Parallele, die niemand laut ausspricht, die aber in den Amtsstuben präsent ist.
Das ist die eigentliche Herausforderung: Europa muss begreifen, dass dieser Konflikt nicht nur Handel, NATO-Beiträge oder ein paar Wahlkampfbilder betrifft. Er richtet sich gegen sein politisches Betriebssystem – gegen die Vorstellung einer offenen, pluralen, rechtsstaatlich eingehegten Demokratie, die Kompromiss als Stärke begreift. Washingtons neue Rechte bietet dafür eine Alternativ-Erzählung an: eine identitäre, religiös aufgeladene, hierarchische Ordnung, die Freund und Feind sauber scheidet und die mediale Öffentlichkeit diszipliniert. Wer das unterschätzt, wird am Ende nicht nur Zölle bezahlen, sondern Deutungshoheit verlieren. Europa braucht daher weniger höfliche Pressekonferenzen und mehr eigene Kanäle, Koalitionen, harte Interessenpolitik – kurz: strategische Mündigkeit. Nur dann wird es nicht Objekt eines Regimewechsels, sondern Subjekt seiner eigenen Zukunft.
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Das ist sehr traurig, aber war. Gut, dass endlich jemand, in dem Fall ihr, das offen ausspricht und schreibt. Danke.
vielen dank
Danke für die klaten Worte, Rainer.
Ich sehe das schon seit geraumer Zeit mit Sorge kommen.
Militärhilfen für die baltischen Staaten – gestrichen
Hilfen für die Ukraine -sporadisch, unsicher, von Trumps Launen abhängig
Keine Sanktionen oder andere Strafen gegen Russland
Militärhilfe für Taiwan gestrichen … genau an dem Tag, an dem Trump mit Xi wegen TikTok telefonieren wollte … und wohl einen Deal erreicht hat
Offene Sympathie für rechtsextreme Parteien.
Und wir hofieren Trump weiter, weil wir die USA aus Sicherheitsgründen nicht verlieren wollen?
Sagen wir es doch klar und deutlich: Wir haben absolut keine Hilfe aus den USA zu erwarten.
Nur das kommt in den Köpfen der Politiker einfach nicht an.
Die Royals pudern Trump den Allerwertesten, sehen über drastisch Protokollverstöße kommentarlos hinweg, so dass Starmer seinen tollen Deal mit USA erreicht.
Also einfach ausgedrückt, noch mehr Abhängigkeit von den USA, als weniger.
Ich sehe uns knapp vorm Abgrund.
Schaffen wir es nicht abzustürzen?
Derzeit sieht es nicht so aus.
..ich danke dir und europa muss das endlich begreifen
Strikter Nationalismus kann nur durch Furcht, Lügen/Schleimen und Korruption bestehen. Es wird keinen freundschaftlichen Verbund mehr geben, nur noch Misstrauen und Erpressung. Gewaltandrohung gegen anders Denkende wird sich bis in den kleinsten Familienkosmos ausbreiten (Stasi). Politische Flüchtlinge, später auch Wirtschaftsflüchtlinge des domestizierten, arm gehaltenen Volkes werden die Folge sein, die aber keiner mehr aufnimmt, da von Seiten der „Starken“ mit Sanktionen und Gewalt gedroht wird.
Die Hölle tut sich auf.
👍