Tränengas gegen Bürger – Wie ICE in Illinois den Protest niederknüppelte

VonRainer Hofmann

September 19, 2025

Es war kein Polizeieinsatz mehr, es war eine Schlacht. In Illinois traten am Freitagmorgen schwerbewaffnete Bundesbeamte an wie ein Heer im Häuserkampf. Schwarze Helme, Tarnuniformen, Gasgranaten, Sturmgewehre mit Reizstoffaufsätzen – ein Bild, das nicht an zivile Ordnung erinnert, sondern an Falludscha oder Kabul. Von den Dächern der Einrichtung regnete es Tränengas und sogenannte Sting-Balls auf die Menge. Beamte feuerten von oben, als seien die unbewaffneten Demonstrierenden eine feindliche Armee, die es zu zerstreuen galt. Auf Bodenniveau rückten Spezialkräfte in Formation vor, Gewehre im Anschlag, Rauchschwaden im Hintergrund, das Dröhnen der Kommandos gellte durch die Straßen. Menschen husteten, krümmten sich, Tränen liefen über Gesichter, einige kollabierten. Das Areal um das ICE-Gebäude verwandelte sich binnen Minuten in ein Gasfeld.

Die offizielle Begründung: Demonstrierende hätten Fahrzeuge blockiert. Doch das martialische Bild passte nicht zur Behauptung von ein paar blockierten Autos. Hier wurde mit Gewalt ein Exempel statuiert. ICE sprach von „Randalierern“. Die Realität sind Bürger, die ihr Recht auf Protest wahrnahmen – und von einer Bundesbehörde wie Aufständische behandelt wurden. Unter den Betroffenen waren nicht nur Aktivistinnen und Aktivisten, sondern auch gewählte Vertreter. Der Chicagoer Stadtrat Andre Vasquez war vor Ort, ebenso zeitweise die Vize-Gouverneurin von Illinois, Juliana Stratton. Eine Kongresskandidatin berichtete, sie sei zu Boden gestoßen und mit Reizstoffen getroffen worden. Dass ein Bundesdienst bereit ist, auch auf Mandatsträger loszugehen, ist eine offene Drohung.

Der Hintergrund erklärt die Härte. Illinois ist zum Symbol geworden im Rahmen der „Operation Midway Blitz“, einer neuen Abschiebekampagne der Regierung. Woche für Woche sammeln sich hier Menschen, die gegen das System ICE protestieren. Woche für Woche eskaliert es stärker. Der tödliche Schuss eines ICE-Beamten auf Silverio Villegas González hängt wie ein Menetekel über den Demonstrationen. Anstatt deeskalierend zu wirken, greift ICE zur nächsten Stufe: chemische Waffen, Schockmunition, bewaffnete Truppen auf den Straßen. Die Zahlen dieses Tages wirken fast beiläufig: rund 100 Teilnehmende, mindestens zwei Festnahmen, vielleicht drei. Doch sie täuschen über das Wesentliche hinweg. Es geht nicht mehr nur um Zahlen, es geht um Bilder – Bilder von schwerbewaffneten Männern, die in den Straßen von Illinois gegen Zivilisten vorrücken. Bilder von einem Staat, der seine Abschiebepolitik durchsetzt wie eine Frontlinie.

Illinois ist kein Ausnahmefall, Illinois ist ein Brennglas. Es zeigt, wie weit die USA unter Trump bereit sind zu gehen, um politischen Widerstand zu brechen. Tränengas vom Dach, Sturmtruppen auf Asphalt – das sind Bilder aus einem inneren Krieg, den sich die Regierung selbst erschaffen hat. Wer sie sieht, erkennt: Es geht nicht mehr um Ordnung. Es geht um Einschüchterung, um die Botschaft, dass Protest gegen ICE mit Gewalt beantwortet wird. Und es bleibt die Frage: Wenn eine Demokratie beginnt, ihre Bürger wie Feinde zu behandeln, was bleibt dann noch übrig von der Demokratie? Illinois liefert eine düstere Antwort.

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Esther Spori
Esther Spori
1 Monat zuvor

Da bleiben einem die Worte im Hals stecken….🤬

Esther
Esther
1 Monat zuvor

Ich hoffe nur dass Pritzker (Dem), der Gouverneur von Illinois nicht nachlässt mit seinen Aktionen….ist immerhin ein Staat mit mehr als 12 Mio Einwohnern….wie die Schweiz!

Miau
1 Monat zuvor

Der eine Idiot mit dem Schild, der hat schon einen Stein geworfen. In Großbritannien und Frankreich kann die Polizei auch schon ähnlich brutal vorgehen. Der „ganz normale“ „bürgerliche Staat“ eben. Die Demonstranten können sogar die Polizei beschimpfen. In echten Diktatur geht das nicht. Da sollten beide Seiten den eigenen Anteil an der Eskalation kritisch hinterfragen, nicht immer nur die „Andrigen“! Ziviler Ungehorsam nach Mohanda Gandhi schaut ein wenig anders aus. Der Trend zur Übertreibung, den haben wohl alle politischen Glaubensgemeinschaften.

Ela Gatto
Ela Gatto
1 Monat zuvor

Ganz im Trumps Sinne.
Die demokratischen Staaten als gefährlich und kriminell deklarieren und mit absolutely Härte „die Sicherheit der US-Bürger wieder herstellen“

Stecken hinter den Masken von ICE die Proud boys, Oath Keeper, Klukluxklan?
Oder gibt es so viele willfähige Personen, die mit Begeisterung auf friedlich Demonstranten einprügeln?

Wo ist Pritzker?
Ich habe noch kein Statement gelesen.
Obwohl seine Stellvertreterin vor Ort in die Angriffe gekommen ist und mindestens eine Mandatsträgerin verletzt wurde.
Er hat vorher groß gesagt „wir sind bereit“.
Wofür?
Seine Leute hat er nicht geschützt oder unterstützt.

Der nächste Bundesstaat der einknickt?
Oder hat Pritzker noch etwas in der Hinterhand?

Wie auch immer, diese Bilder gehen viral und MAGA nutzt sie fleißig um Stimmung gegen Demokraten zu machen, die angeblich keine Sicherheit für US-Amerikaner wollen.

Sarah Pallas
Sarah Pallas
1 Monat zuvor

It is so important to get the stark truth about Fuhrer Trump out there. Americans seem to be in a purposely blind state about it. Thank you.

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