Politik gegen die Schwächsten – Das 10 Millionen Dollar Verhütungsdepot von Geel als Schlachtfeld der Trump Politik

VonRainer Hofmann

September 18, 2025

Es beginnt nicht mit einer Entscheidung, sondern mit einem Laut: dem Ruf „Schande, Schande, Schande – Trump ist schuld“, der an diesem Donnerstag über die Rue Zinner weht, hinüber zur US-Botschaft in Brüssel. Rund fünfzig Frauenrechtsaktivistinnen haben sich versammelt, einige tragen Holzkreuze mit Aufschriften wie „700+ Frauen tot“ und „people will die“. Sie protestieren gegen etwas, das sich technisch, fern und bürokratisch anhört – die mögliche Vernichtung eines Verhütungsmittel-Vorrats in einem von den USA finanzierten Lagerhaus im flämischen Geel – und das in der Realität über Leben und Tod entscheidet. Denn im Inneren dieses Depots liegen Antibabypillen, Implantate und Spiralen im Wert von mehr als neun Millionen Dollar, bezahlt von US-Steuerzahlern, bestimmt für Frauen in Kriegsgebieten und Flüchtlingslagern. Die Kisten sind gepackt, die Routen sind geplant – nur die Politik ist stehen geblieben.

Angebote, die Verhütungsmittel in von Krisen betroffenen Ländern zu kaufen und zu verteilen, wurden ignoriert; stattdessen bezahlte Washington dafür, sie verbrennen zu lassen. Wir versuchen das aktuell zu verhindern.

Der Stillstand kam, als die Regierung in Washington die Auflösung der US-Entwicklungsbehörde vorantrieb und das „Was nun?“ über den Beständen schweben ließ. Wo vorher eine funktionierende Lieferkette war, klafft ein Machtvakuum, in dem Entscheidungen verschoben und Verantwortlichkeiten verschleiert werden. Aktivistinnen rechnen vor, was administrative Untätigkeit anrichtet: Bis zu 362.000 ungewollte Schwangerschaften und mehr als 700 zusätzliche Todesfälle von Frauen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt – nicht als Schreckensszenario, sondern als wahrscheinliche Folge, wenn die Bestände nicht dorthin gelangen, wo sie dringend gebraucht werden. In Tansania etwa decken die vorgesehenen Lieferungen ein Drittel des landesweiten Bedarfs. Anders gesagt: Eineinhalb Millionen Frauen und Mädchen warten auf Mittel, die in Europa in der Warteschleife hängen. Diese Zahlen sind kein politischer Frame, sie sind die nüchterne Übersetzung von Kartons, Chargennummern und Ablaufdaten in Menschenleben.

Brüssel und die Region Flandern versuchen, das Schlimmste zu verhindern. In Flandern gilt ein klares Verbot, wiederverwendbare Güter zu verbrennen; eine Ausnahme wäre nur mit Genehmigung des Umweltministers und nach Zahlung einer doppelten Verbrennungsabgabe möglich. Bislang hat niemand eine solche Ausnahme beantragt, die zuständigen Behörden haben das Lager in der vergangenen Woche kontrolliert und bestätigt, dass die Bestände noch da sind; Verbrennungsanlagen wurden angewiesen, jeden Versuch der Vernichtung sofort zu melden. Auch auf US-Seite heißt es, es gebe noch keine endgültige Entscheidung; man prüfe den weiteren Weg. Doch „prüfen“ nützt niemandem, wenn die Zeit gegen die Schwächsten läuft. Verhütungsmittel sind keine abstrakten Debattenobjekte. Sie sind Schutz vor Zwang, vor Armut, vor vermeidbarer Müttersterblichkeit – und sie sind es gerade dort, wo Krieg, Vertreibung und marode Gesundheitssysteme die Risiken vervielfachen.

Der Protest in Brüssel richtet sich deshalb nicht nur gegen eine mögliche Vernichtung, sondern gegen ein Kalkül, das dahintersteht: die Kontrolle über Körper und Selbstbestimmung als Verhandlungsmasse globaler Politik. Wer Lieferketten künstlich kappt, Sendungen auf Eis legt oder gar in Flammen aufgehen lässt, betreibt keine „Neuordnung“ der Hilfe, sondern übt Macht aus – über Frauen, die keinen Lobbyapparat haben, keine Kameras, keine Mikrofone. Die Szene vor der Botschaft ist klein, aber sie steht für ein großes Prinzip: Es geht um die Frage, ob in der internationalen Gesundheitspolitik Evidenz und Menschlichkeit den Ausschlag geben – oder Ideologie und innenpolitische Symbolik. An den Zäunen von Missionen und Ministerien lassen sich Entscheidungen gern als „technisch“ verpacken. In den Dörfern von Kongo, Kenia, Mali, Tansania oder Sambia hat das Technische einen anderen Namen: Geburt bei Nacht ohne Hebamme, eine zu frühe Schwangerschaft, eine vermeidbare Blutung – oder eben eine Spirale, die rechtzeitig ankommt.

Auf Nachfrage und Recherchen teilten die belgischen Behörden mit, ein Verhütungsmittelbestand im Wert von 10 Millionen Dollar sei bislang noch nicht vernichtet worden. Von USAID gekaufte Verhütungsmittel lagern in einem belgischen Lagerhaus. Die US-Regierung erklärte, die Produkte seien zerstört worden, doch die lokalen Behörden fanden sie dort vor.

Die Verantwortung ist verteilt, und genau darin liegt die Gefahr. Wenn niemand klar entscheidet, wenn Zuständigkeiten zwischen Washington und Europa zirkulieren, wenn selbst banale Logistik politisiert wird, siegt am Ende die Trägheit – und sie trifft immer die Falschen. Die flämischen Regeln setzen der Vernichtung Grenzen, doch sie ersetzen keine politische Entscheidung zur Auslieferung. Das „Noch nicht entschieden“ aus dem Außenministerium ersetzt keine Frachtpapiere. Und der Hinweis, die Behörde sei „im Umbau“, ersetzt keine Versorgung. Wer das Recht auf reproduktive Gesundheit ernst nimmt, darf diesen Vorrat nicht zur Trophäe einer ideologischen Schlacht machen. Er muss raus aus dem Lager und dahin, wo er Menschen schützt.

Deshalb klingt der Ruf „Schande“ an diesem Mittag nicht wie eine Parole unter vielen, sondern wie eine letzte Erinnerung daran, was Politik im Kern ist: die Verantwortung, mit den eigenen Entscheidungen die Zahl der Toten nicht zu erhöhen. Alles Weitere sind Vorwände.

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Ela Gatto
Ela Gatto
5 Tage zuvor

Es sind wieder alte weiße Männer, die über die Reproduktionsrechte der Frauen entscheiden.

Nüchtern.
Mit dem Touch „wir greifen nicht in Gottes Plan ein, der Vermehrung als elementary ansieht“

Frauen in den USA sehen hier, wo der Weg hingeht.
Männer bestimmen über die Reproduktion.
Verhütung nicht mehr erlaubt.
Willkommen in Gilehead.

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