Der Richter sprach – doch ICE verhaftete trotzdem

VonRainer Hofmann

Mai 25, 2025

Der Wahnsinn hat Struktur bekommen. Und er trägt Uniform.

In San Diego wurde ein Mann auf dem Flur eines Gerichtsgebäudes festgenommen – direkt vor dem Büro eines Richters, der seine Verhaftung ausdrücklich untersagt hatte. ICE, die US-Einwanderungsbehörde, ließ sich davon nicht beeindrucken. Es gibt ein Video. Es zeigt, wie der Anwalt des Mannes dazwischengeht, mit ruhiger Stimme auf das Schreiben des Richters hinweist. Doch es hilft nichts. Die Beamten greifen zu. Der Mann wird abgeführt.

„Das ist Entführung! Warum ignoriert ihr den Richter?!“ ruft eine Gruppe Menschen, die sich dem Zugriff entgegenstellt, den Aufzug blockiert, die Körper dazwischenstellt. Für Sekunden ist das, was man Demokratie nannte, noch spürbar – in der Wut, im Protest, in der Ohnmacht.

Doch ICE war vorbereitet. Sie standen bereit, systematisch. In den Fluren des Gerichts. In einem Gebäude, das früher einmal Symbol für Gerechtigkeit war. Die Strategie ist klar: Verhaftung direkt nach der Anhörung. Keine Zeit für Schutz. Keine Zeit für Flucht. Kein Respekt vor der Gewaltenteilung.

Ein Sprecher verteidigte das Vorgehen. Man habe sogenannte I-200-Haftbefehle – Dokumente, ausgestellt von ICE selbst, ohne richterliche Unterschrift. Das reiche, so die Argumentation, um in „öffentlichen Räumen“ zuzuschlagen. Der Flur eines Gerichtsgebäudes zählt in dieser neuen Logik offenbar dazu.

Was hier geschieht, ist mehr als ein Einzelfall. Es ist ein Symptom. Die USA, einst Fluchtpunkt und Hoffnungsträger, versinken unter Trump ein zweites Mal in autoritärem Nebel. Es ist ein Land geworden, in dem die Polizei Menschen aus Gerichtssälen entführt – und der Präsident dazu schweigt oder applaudiert. Wo Anwälte sich vor Beamten aufbauen müssen wie in Diktaturen. Und wo jedes neue Video nicht mehr erschüttert, sondern bestätigt, was viele längst wissen: Das Recht gilt nicht mehr für alle. Und die Angst ist zurück.

Menschenrechtsorganisationen in den USA, in Mittelamerika, in Südamerika – sie arbeiten rund um die Uhr. Auch wir, als Journalist:innen, tun, was wir können: dokumentieren, helfen, stützen, retten, wo noch etwas zu retten ist. Doch die Fälle überholen uns. Die Zahlen wachsen schneller als unser Schreibtempo. Und immer öfter ertappt man sich bei einem Gedanken, den man nie zu denken hoffte: Es fühlt sich an wie 1933. Was bleibt, ist die Wut. Die Würde. Und der Widerstand.

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