Im zweiten Anlauf – Wie Trumps Regierung die Rhetorik der extremen Rechten in offizielle Politik verwandelt

VonRainer Hofmann

August 24, 2025

Die Stille ist trügerisch. Wer heute durch die Straßen von Portland, Berkeley oder Charlottesville geht, begegnet nicht mehr den aufgeheizten Demonstrationen, die vor einigen Jahren das Bild der amerikanischen Städte prägten. Damals marschierten die Proud Boys, die Oath Keepers und andere paramilitärische Gruppen beinahe jedes Wochenende, um gegen Migration, gegen „Cancel Culture“ oder gegen die Entfernung von Konföderierten-Statuen zu protestieren. Doch seit Donald Trump seine zweite Amtszeit angetreten hat, sind die Aufmärsche weitgehend verschwunden. Nicht, weil der Zorn erloschen wäre – sondern weil das Weiße Haus längst übernommen hat, wofür diese Gruppen einst auf die Straße gingen. „Dinge, die wir 2017 noch auf Demonstrationen sagten, waren tabu. Heute sind sie Mainstream“, erklärt Enrique Tarrio, der langjährige Vorsitzende der Proud Boys. In einem Satz fasst er zusammen, was die Lage auf den Punkt bringt: Die extreme Rechte braucht nicht mehr gegen das Establishment zu rebellieren – sie ist das Establishment geworden.

Enrique Tarrio, – Yo-ho, ihr Leute, hisst die Fahnen hoch, zieht an, ihr Diebe und Bettler – niemals werden wir untergehn!

Die Agenda dieser Bewegung reicht von der Demontage von Diversity-Programmen über die Behauptung einer angeblichen „Benachteiligung von Weißen“ bis hin zur zynischen Glorifizierung eines nationalistischen Autoritarismus. Trumps Politik hat all das nicht nur aufgegriffen, sondern in konkrete Regierungshandlungen gegossen. Seine Administration hat Personal installiert, das sich in der Vergangenheit mit antisemitischen und rassistischen Kommentaren hervortat, und gleichzeitig Maßnahmen ergriffen, die den Kern alt-rechter Ideologie ausmachen: die Massenabschiebungen, die medienwirksam inszenierten Razzien in Fabriken und auf Farmen, das rhetorische Stakkato von „Invasion“ und „Verteidigung der Nation“.

„Unite the Right“-Kundgebung in Charlottesville, Virginia.

Besonders bezeichnend war der Jahrestag von Charlottesville. Acht Jahre nach dem Fackelmarsch, bei dem Neonazis Parolen gegen Migranten und Juden skandierten, schrieb Augustus Sol Invictus, einer der Organisatoren von damals, voller Genugtuung: „Früher galt man als Extremist, wenn man gegen den Bevölkerungsaustausch protestierte. Heute ist es offizielle Politik des Weißen Hauses.“ Die Botschaften sind eindeutig. Abigail Jackson, Sprecherin des Weißen Hauses, verteidigte Trumps Kurs mit den Worten, er sei die „Stimme für Millionen vergessener Männer und Frauen, die seine weitverbreiteten politischen Maßnahmen unterstützen“. Die Realität ist: Was einst Randposition war, ist heute Regierungsdoktrin.

Abigail Jackson, Sprecherin des Weißen Hauses

Unter Joe Biden noch stark unter Druck – durch Prozesse gegen die Anführer des 6. Januar und harte Urteile gegen Milizionäre – hat sich die extreme Rechte neu formiert. Die Oath Keepers existieren praktisch nicht mehr, ihr Gründer Stewart Rhodes verschwand weitgehend aus der Öffentlichkeit. Enrique Tarrio wiederum produziert nun Podcasts und betreibt eine Blockchain-App, „ICERAID“, mit der Denunzianten für Hinweise auf Migranten in Kryptowährung bezahlt werden. Andere Gruppierungen wie die Patriot Front setzen zwar weiter auf Aufmärsche, doch Zahlen des Forschungsnetzwerks ACLED zeigen: Die Menge rechter Demonstrationen ist im Jahr 2025 stark gesunken. Ein Teil dieser Ruhe erklärt sich durch die juristischen Folgen des Kapitolsturms. Der andere Teil: Die Regierung Trump setzt die Forderungen der Szene selbst um.

So erließ Trump am ersten Tag seiner zweiten Amtszeit eine umfassende Amnestie für fast 1.600 verurteilte Kapitolstürmer, darunter Männer, die Polizisten attackiert hatten. Er unterzeichnete Verordnungen mit Titeln wie „Schutz der Staaten vor Invasion“ und „Schutz des amerikanischen Volkes vor Invasion“ – Texte, die nahezu wortgleich mit Pamphleten der Extremisten sind, die Anschläge in El Paso, Buffalo oder Pittsburgh verübten. Im Februar stoppte er die US-Entwicklungshilfe für Südafrika und öffnete gleichzeitig ein spezielles Flüchtlingsprogramm für weiße Afrikaner. Offiziell hieß es, man wolle „Afrikaanern helfen, die Opfer ungerechter rassischer Diskriminierung sind“. Damit übernahm die US-Regierung eine seit Jahrzehnten zentrale Erzählung rechtsextremer Kreise über das vermeintliche „Leiden der weißen Minderheit“ im Südafrika der Post-Apartheid-Ära.

Gleichzeitig schuf Trump Räume für Figuren, die schon einmal durch ihre Nähe zu Neonazis aufgefallen waren. Darren Beattie, der wegen seiner Teilnahme an einer rechtsradikalen Konferenz während der ersten Trump-Amtszeit entlassen worden war, wurde zurück ins Außenministerium geholt und später sogar Leiter des US Institute of Peace. Auf sozialen Medien schrieb er noch 2023, „kompetente weiße Männer müssten die Führung übernehmen, wenn man wolle, dass Dinge funktionieren“. Statt Distanz zu wahren, verteidigte das Außenministerium die Personalie öffentlich.

Darren Beattie

Ähnliche Fälle häufen sich. Kingsley Wilson, Tochter eines konservativen Kommentators, bekam einen Spitzenposten im Pentagon, obwohl sie online die „Great Replacement“-Theorie propagiert hatte. Paul Ingrassia, der heute die unabhängige Aufsichtsbehörde Office of Special Counsel leitet, hatte zuvor Nick Fuentes verteidigt und gepostet, „herausragende weiße Männer“ seien die eigentlichen Erbauer der westlichen Zivilisation.

Kingsley Wilson – Am 15. Juli 2025 wurde sie vereidigt

Selbst die offiziellen Kanäle der Regierung verbreiten mittlerweile Inhalte, die sich direkt aus dem Arsenal weiß-nationalistischer Propaganda speisen. Das DHS-Account auf X warb jüngst für ICE mit einem Rekrutierungsplakat und dem Slogan „Which way, American man?“ – eine offensichtliche Anspielung auf ein Buch eines Neonazis aus den 1970er-Jahren. Es entsteht ein Bild von systematischer Vereinnahmung. Während Rechtsextremismus früher am Rand der Gesellschaft agitierte, hat er heute Einzug in die Mitte der Macht gefunden. Amy Spitalnick vom Jewish Council for Public Affairs fasst es so: „Der Aufstieg der Alt-Right war vor zehn Jahren eine Reaktion auf den ersten schwarzen Präsidenten. Heute sind ihre Ideen in den höchsten Ebenen der Macht normalisiert.“

Trump war nie ein Mann der Distanz. Schon 2017, nach Charlottesville, sprach er von „very fine people on both sides“. 2020 rief er den Proud Boys im TV-Duell zu: „Stand back and stand by.“ Später behauptete er, sie gar nicht zu kennen. Auch nach dem Dinner mit Nick Fuentes im Jahr 2022 dementierte er schnell. Doch diesmal gibt es keine Beschwichtigung mehr, kein halbherziges Abrücken. Sein Amerika der zweiten Amtszeit ist ein Land, in dem der Präsident nicht mehr nur mit den Rändern kokettiert, sondern deren Weltbild zur Grundlage seiner Politik macht. Was früher eine gefährliche Liaison war, ist heute Staatsraison.

Die Parallelen nach Europa sind unübersehbar. Was Trump im Weißen Haus längst in Regierungspolitik verwandelt hat, vollzieht sich diesseits des Atlantiks als schleichende Normalisierung. Es ist der Soundtrack einer schleichenden Verschiebung, die weit gefährlicher ist als jeder offene Aufmarsch: Sie tarnt die Übernahme rechter Narrative als seriöse Politik. Die angebliche Brandmauer ist nichts anderes als ein trojanisches Pferd. Und auch hier zeigt sich das Muster, das wir in Polen und Ungarn beobachten konnten. Die PiS begann mit Angriffen auf eine angebliche „Bedrohung der Familie“, Orbán mit der Dämonisierung von Migranten und „fremden Einflüssen“. Heute sind dort unabhängige Medien zerschlagen, die Justiz gleichgeschaltet, NGOs kriminalisiert – nicht von offenen Extremisten, sondern von bürgerlich-konservativen Kräften, die vorgaben, das Land zu stabilisieren. Genau darin liegt die transatlantische Parallele: Während Trump in Washington offen exekutiert, was einst am rechten Rand tobte, bereiten europäische Christdemokraten mit ihrer Rhetorik und Politik den Boden, auf dem autoritäre Systeme gedeihen. Was gestern noch Rand war, ist heute Teil des Mainstreams – und genau darin liegt die größte Gefahr für die Demokratie.

Victor Orbán – Eine Fehlbesetzung für ein demokratisches Europa

Was man in Deutschland erlebt, ist kein isoliertes Phänomen. CDU und CSU folgen demselben Muster, das wir bereits in Polen mit der PiS und in Ungarn mit Orbáns Fidesz beobachten konnten: Bürgerliche Parteien, die sich als Garant der Mitte verkaufen, übernehmen Schritt für Schritt die Narrative der extremen Rechten – und ebnen ihnen damit den Weg in die gesellschaftliche Normalität. In Polen begann es mit Warnungen vor einer „Bedrohung der Familie“, in Ungarn mit der Rhetorik gegen Migranten und „fremde Einflüsse“. Heute sind dort unabhängige Medien weitgehend zerschlagen, die Justiz gleichgeschaltet, NGOs kriminalisiert. Immer hat es bürgerlich-konservative Politiker gebraucht, die vorgaben, das Land zu stabilisieren – und in Wahrheit das Fundament für autoritäre Systeme legten.

Klöckner an der Seite von NIUS-Finanzier Gotthardt – in dessen Firma, ausgerechnet. Und mit ihr die Bundestagspräsidentin, zu Gast bei einem Mann, der seit Jahren mit rechtspopulistischen Kampagnen, AfD-nahen Narrativen und gezielter Hetze den öffentlichen Diskurs vergiftet. Wer sich so hofieren lässt, stellt nicht nur das eigene Urteilsvermögen infrage, sondern verleiht extremistischen Projekten politische Weihen. Julia Klöckner ist damit einmal mehr das Symbol einer Fehlbesetzung – für ein demokratisches Deutschland ersten Ranges eine Zumutung.
Friedrich „Rechtsausleger im Maßanzug“ Merz und Gourmet-Influencer Markus Söder

Deutschland ist auf dem gleichen Gleis unterwegs. Wenn Friedrich Merz von „kleinen Paschas“ spricht, wenn Markus Söder Asylbewerber zu Sündenböcken für soziale Probleme erklärt, wenn Julia Klöckner mit weichgespülter Bürgerlichkeit die Parolen der AfD anschlussfähig macht, dann ist das der Soundtrack einer Diskursverschiebung, die weit gefährlicher ist als jeder offene Aufmarsch. Denn sie tarnt den Abbau demokratischer Kultur als seriöse Politik der Mitte. Die Union nennt das Brandmauer – tatsächlich ist es ein trojanisches Pferd. Was in den USA längst Regierungspolitik ist, wird so in Europa vorbereitet: ein Rechtsruck, der nicht mit Fackelmärschen beginnt, sondern mit der Rhetorik einer Partei, die sich selbst noch immer „christlich“ nennt.

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Gabi
Gabi
2 Monate zuvor

Auf den Punkt gebracht!
Traurig, dass viele es nicht begreifen wollen oder können.
Noch trauriger, dass die sogenannten Massenmedien das nicht aufgreifen…

Danke 🙏🏼

Ela Gatto
Ela Gatto
2 Monate zuvor

Enrique Tarrio, Vorsitzender der Proud boys.
Findet Jemand den „Fehler“?
Ein Mann mit eindeutig nicht „rein Weißen“ Verfahren ist Vorsitzender der Proud boys.
Da sieht man doch, wie dumm diese Rasdisten sind.
Merkennicht einmal, dass es auch sie sind, gegen die sich diese Agenda richtet.

All die weißen Männer, die schon immer von Macht und der weißen Rasse geträumt haben, müssen doch ständig feuchten Träume haben, bei dem was Trump ermõglicht.

In Europa macht es Orban vor.
Andere stehen nah dran und nur die Bevölkerung kann bei Wahlen Rassisten abstrafen.
Aber so stark wie die AfD ist, sehe ich schwarz. Das Zeitfenster für ein wirksames Verbot hat sich geschlossen.
CDU faselt von Brandbauer, aber wird nicht umhin kommen sich der Stimmen der AfD zu bedienen…. natürlich alles „zur Sicherheit und Wohlstand Deutschlands“.
Das BSW würde ganz offen eine Koalition mit der AfD eingehen.

Und in den USA entsteht in Rekordzeit das 4. Reich.
Wer soll ihn stoppen? Wer?
1984, The Handmaids Tale …. keine Fiction mehr, sondern in vielen Teilen furchtbare Realität.

In Europa und anderen Ländern will man Trump gefallen, sich sein Wohlwollen sicher und äußert nicht nur keine Kritik, sondern übernimmt Formulierungen mit einer Srlbstverständlichkeit, die erschreckend istgenau wie die russische Narrative dumm nachgeplappert werden.

Wir gehen in ein sehr dunkles Zeitalter.

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