Am 18. März 2014 annektierte Russland die Halbinsel Krim von der Ukraine, ein Vorgang, der schnell und weitgehend unblutig verlief, jedoch die Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen in eine Krise stürzte, wie es sie seit dem Kalten Krieg nicht mehr gegeben hatte.
Die Annexion war nicht nur eine massive geopolitische Zäsur, sondern ebnete auch den Weg für den großangelegten russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine im Jahr 2022. In dessen Verlauf verleibte sich Russland weitere Gebiete des Nachbarstaates ein. Doch warum ist die Krim so umkämpft, und welche Rolle spielt sie heute?
Krim: Geostrategischer Knotenpunkt mit langer Geschichte
Die Krim, eine rautenförmige Halbinsel im Schwarzen Meer, war über Jahrhunderte hinweg ein begehrtes Territorium. Bereits im 18. Jahrhundert wurde sie von Katharina der Großen für das Russische Zarenreich annektiert. Seither kämpfte Russland immer wieder um ihre Kontrolle.
Bis zur russischen Eroberung war die Krim die Heimat der krimtatarischen Bevölkerung. Doch unter der Herrschaft Stalins ereignete sich eine der dunkelsten Episoden der Halbinsel: 1944 ließ der sowjetische Diktator fast 200.000 Krimtataren – etwa ein Drittel der Bevölkerung – in entlegene Gebiete Zentralasiens deportieren. Sie wurden kollektiv der Kollaboration mit Nazi-Deutschland bezichtigt, ein Vorwurf, den Historiker heute als haltlos betrachten. Fast die Hälfte der Deportierten starb innerhalb der folgenden 18 Monate an Hunger und Krankheit.
1954 übergab der sowjetische Führer Nikita Chruschtschow die Krim von der Russischen Sowjetrepublik an die Ukrainische Sowjetrepublik – ein symbolischer Akt zur Feier der 300-jährigen Einheit Moskaus und Kyjiws. Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 blieb die Krim Teil des unabhängigen Staates Ukraine.
Dennoch behielt Russland einen Fuß in der Tür: Der bedeutende Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol blieb bestehen. Historisch war die Krim zudem ein beliebter Rückzugsort für die russische Elite. Bereits Zar Nikolaus II. zog sich hierher zurück, und während der Sowjetzeit war die Halbinsel mit ihren Kurorten, insbesondere Jalta, ein bevorzugtes Ferienziel.
Warum Russland die Krim 2014 annektierte
Die Annexion der Krim war Putins direkte Antwort auf den Machtwechsel in Kyjiw. Im Februar 2014 wurde der pro-russische ukrainische Präsident Wiktor Janukowytsch nach monatelangen Protesten auf dem Maidan aus dem Amt gedrängt und floh nach Russland.
Russland reagierte umgehend: Truppen in Uniformen ohne Hoheitszeichen – später als „grüne Männchen“ bekannt – besetzten die Krim, während in Windeseile ein Referendum über den Beitritt zu Russland organisiert wurde. Weder die Ukraine noch westliche Staaten erkannten die Abstimmung als legitim an, dennoch erklärte Russland die Krim offiziell zu russischem Staatsgebiet.
Die Reaktion des Westens war scharf: Die USA, die Europäische Union und andere Verbündete verhängten Sanktionen gegen Russland, was die Beziehungen auf ein neues Tief rutschen ließ. Internationale Anerkennung erhielt die Annexion nur von Ländern wie Nordkorea und Sudan. Für den Westen war die Annexion ein „fait accompli („vollendete Tatsache“) das sich nur durch eine riskante militärische Eskalation rückgängig machen ließ.
Das Budapester Memorandum, ein leeres Versprechen
1994 gaben die USA und Großbritannien der Ukraine im Budapester Memorandum Sicherheitsgarantien – im Austausch für den Verzicht auf Atomwaffen. Doch das Abkommen war kein Verteidigungspakt. Als Russland es brach, gab es für den Westen keine rechtliche Verpflichtung zum Eingreifen – und keinen politischen Willen
Obamas Zurückhaltung und NATO-Zögern
US-Präsident Obama wollte direkte Konfrontationen vermeiden. Die USA hatten sich gerade aus dem Irak und Afghanistan zurückgezogen, eine neue Eskalation mit Russland war nicht gewollt. Zudem war die Ukraine kein NATO-Mitglied, sodass Artikel 5 nicht griff. Europas Abhängigkeit von russischem Gas tat ihr Übriges zur westlichen Zurückhaltung.
Doch in Russland selbst löste sie eine Welle patriotischer Begeisterung aus. Der Slogan „Krym nash!“ („Die Krim gehört uns!“) wurde zum Schlachtruf, und Putins Popularität schoss in die Höhe: Laut dem unabhängigen Levada-Zentrum stieg seine Zustimmungsrate von 65 % im Januar 2014 auf 86 % im Juni desselben Jahres.
Die Folgen der Annexion: Ein Konflikt ohne Ende
Nach der Krim-Annexion begannen in der Ostukraine bewaffnete Kämpfe zwischen von Russland unterstützten Separatisten und ukrainischen Regierungstruppen. Moskau bestritt jegliche direkte Beteiligung, doch Beweise für russische Waffenlieferungen und Truppenpräsenz waren erdrückend.
Im Juli 2014 wurde ein Passagierflugzeug der Malaysia Airlines über dem von Separatisten kontrollierten Gebiet abgeschossen. Alle 298 Menschen an Bord kamen ums Leben. Eine internationale Untersuchung belegte, dass das verwendete Luftabwehrsystem aus Russland stammte.
Trotz anhaltender Kämpfe blieb die Krim für Russland ein strategischer Ankerpunkt. Als Putin im Februar 2022 die großflächige Invasion der Ukraine befahl, spielte die Halbinsel eine zentrale Rolle: Von hier aus marschierten russische Truppen in den Süden der Ukraine ein und besetzten rasch Gebiete wie Cherson und Saporischschja.
Ein hochrangiger russischer Militär bestätigte später, dass eines der Hauptziele der sogenannten „Spezialoperation“ darin bestand, eine Landbrücke zur Krim zu sichern – indem Russland große Teile der Ost- und Südukraine eroberte.
Die Krim als Ziel ukrainischer Gegenangriffe
Während die Ukraine vor 2022 primär auf diplomatische Wege setzte, um die Krim zurückzuerlangen, änderte sich diese Strategie mit dem Krieg. Seither hat Kyjiw immer wieder Angriffe auf die Halbinsel gestartet, um Russlands Kontrolle zu untergraben.
Ukrainische Drohnen und Raketen trafen wichtige Ziele:
Die russische Schwarzmeerflotte in Sewastopol wurde mehrfach attackiert.
Luftwaffenstützpunkte und Munitionslager gerieten unter Beschuss.
Die strategisch bedeutende Krim-Brücke, die die Halbinsel mit dem russischen Festland verbindet, wurde 2022 und 2023 schwer beschädigt.
Zukunft der Krim: Unklare Perspektiven
Putin hat die Krim als „heilige Stätte“ bezeichnet und jeden Widerspruch zur russischen Hoheit über die Halbinsel unter Strafe gestellt. Kritiker, insbesondere die Krimtataren, sehen sich mit Repressionen konfrontiert – mindestens 30.000 von ihnen haben die Krim seit 2014 verlassen.
Für die Ukraine bleibt die Rückgewinnung der Krim ein zentrales Kriegsziel. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat mehrfach betont, dass die Halbinsel ukrainisches Staatsgebiet ist und zurückerobert wird.
Doch mit Russlands weiterem Vormarsch und der geopolitischen Pattsituation zwischen Kyjiw und Moskau bleibt die Zukunft der Krim eine der umstrittensten Fragen dieses Krieges – und womöglich der entscheidende Schlüssel für einen dauerhaften Frieden in der Region.
