Washington ist in diesen Augusttagen ein Ort, an dem die Luft knistert, als stünde die Stadt unter einer unsichtbaren Hochspannung. Straßenzüge, die sonst von Restaurantgästen, Touristen und dem geschäftigen Treiben der Hauptstadt geprägt sind, wirken plötzlich wie Kulissen eines politischen Ausnahmezustands. Entlang der 14th Street Northwest stehen Checkpoints, flankiert von Beamten der Metropolitan Police und schwer bewaffneten Bundesagenten – Homeland Security Investigations, ICE-Einheiten, DEA, FBI. Manche tragen Masken, die ihre Gesichter verbergen, und lösen damit den spontanen Ruf aus der Menge aus: „Take off your mask!“ Auf beiden Seiten der Straße stehen Anwohner dicht gedrängt, schimpfen, pfeifen, zeigen Schilder. „Go home, fascists!“, „Get off our streets!“ – Worte, die sonst eher auf Transparenten in Krisengebieten fernab der Vereinigten Staaten zu lesen sind, hallen jetzt durch eine amerikanische Hauptstadt, die sich fremd geworden ist.



Was sich hier abspielt, ist das direkte Ergebnis einer Anordnung von Präsident Donald Trump, die ihresgleichen sucht: die Übernahme der Polizeigewalt in Washington D.C. durch die Bundesregierung – rechtlich gestützt auf eine Sonderbefugnis, politisch motiviert durch das erklärte Ziel, „die Kriminalität in der Hauptstadt zu beenden“. Offiziell für 30 Tage, doch schon am dritten Tag deutet der Präsident an, er werde eine Verlängerung anstreben. Falls nötig, so Trump, werde er „einen nationalen Notstand ausrufen“. Im gleichen Atemzug betont er auf seiner Plattform Truth Social, D.C. sei „unter Belagerung durch Verbrecher und Mörder“ gewesen, nun aber „zurück unter Bundeskontrolle, wo es hingehört“. Die Diskrepanz zwischen dieser Rhetorik und den offiziellen Kriminalitätsstatistiken ist frappierend: Die Gewaltkriminalität liegt auf einem 30-Jahres-Tief, nachdem sie 2023 einen Höchststand erreicht hatte. Für die Stadtverwaltung ist das Vorgehen daher weniger ein notwendiger Sicherheitsschritt als ein „autoritäres Durchgreifen“.
Die Präsenz der Bundeskräfte ist in den vergangenen Tagen stetig gewachsen. Etwa 1.450 Bundes- und Stadtpolizisten patrouillieren derzeit, unterstützt von bis zu 800 mobilisierten Nationalgardisten, die bislang nicht mit Waffen eingesetzt werden, deren Rolle aber jederzeit angepasst werden kann. Fünf gepanzerte Fahrzeuge standen bereits in Sichtweite des Washington Monuments, weitere Truppenteile sollen künftig Metrostationen, Denkmäler und zentrale Plätze besetzen. Auf dem Papier soll die Nationalgarde lediglich logistische Unterstützung leisten – faktisch erzeugt ihre Sichtbarkeit in den Straßen den Eindruck einer Stadt unter Militärverwaltung. Für viele Bewohner ist dieser Anblick weniger beruhigend als beunruhigend. Sheina Taylor, gebürtige Washingtonerin, berichtet, ihre Straße sei kürzlich komplett abgesperrt gewesen: „Es ist jetzt beängstigender, selbst wenn man ein gesetzestreuer Bürger ist. In D.C. weißt du nicht, was passiert – vor allem, wenn du Afroamerikaner bist.“



Die Liste der Festnahmen, die das Weiße Haus täglich präsentiert, wirkt weniger wie der Beweis eines Sicherheitsnotstands als wie eine Aufstellung alltäglicher Polizeiarbeit: Fahren unter Alkoholeinfluss, unerlaubtes Betreten, ein offener Haftbefehl wegen Körperverletzung, dazu die Sicherstellung von sieben illegalen Schusswaffen. „Das klingt nach einem normalen Samstagabend in jeder Großstadt“, spottet Stadträtin Christina Henderson, die offen erklärt, sie sehe in der Bundesintervention vor allem eine politische Inszenierung. Sie hat bereits Kontakt zu Verbündeten im Kongress aufgenommen, um einer Verlängerung der Maßnahme entgegenzutreten.

Parallel zur verstärkten Polizeipräsenz läuft eine Kampagne gegen Obdachlose. Zelte in Parks und auf Gehwegen werden geräumt, Menschen erhalten die Wahl zwischen einer Unterbringung in Notunterkünften oder Haft. Die Regierung spricht von Angeboten zur Suchttherapie, Menschenrechtsorganisationen warnen vor einer Kriminalisierung der Armut, die das Problem verschärfen statt lösen werde. Für Betroffene wie „Ms. Jay“, die nach Jobverlust und Wohnungsverlust in einem Zelt bei Georgetown lebte, ist der Druck enorm: „Letzte Nacht war so beängstigend. Ich will nicht warten, bis ich in letzter Minute fliehen muss.“ Der abrupte Eingriff in das Leben der Schwächsten der Stadt wirkt wie ein Spiegelbild der gesamten Operation: eine Politik der Härte, die den Anschein von Ordnung erzeugt, ohne die Ursachen anzugehen.

Währenddessen gleicht das Verhalten der Bundeskräfte an neuralgischen Punkten einem Dauerbelagerungszustand. In der Navy Yard patrouillieren DEA-Agenten mit städtischen Polizisten, am U Street Corridor mischen sich Ermittler des Heimatschutzministeriums unter die Passanten, auf der Massachusetts Avenue stehen FBI-Beamte. Am 14th Street-Checkpoint winken sie Autos aus dem Verkehr, durchsuchen Fahrzeuge, befragen Insassen. Selbst Bagatellen wie falsches Parken enden in Fahrzeugdurchsuchungen – eine Geste staatlicher Allmacht, die viele als Provokation empfinden. Die Empörung ist laut, aber bislang friedlich geblieben; keine physischen Zusammenstöße, nur Worte, Rufe, spürbare Anspannung.
Für Bürgermeisterin Muriel Bowser ist das alles ein politischer Drahtseilakt. Sie hatte die Maßnahmen zunächst als „beunruhigend und beispiellos“ kritisiert, später jedoch taktisch eingeräumt, dass mehr Präsenz und Waffenfunde grundsätzlich im Sinne der öffentlichen Sicherheit seien – auch wenn es keine klaren Zielvorgaben für die Aktion gebe. Fakt ist, Trump hat mit gefälschten Zahlen gearbeitet, ein Szenario erfunden, dass man meinen muss, er leide unter Verfolgungswahn. Doch – und das ist leider entscheidend – hinter dieser vorsichtigen Rhetorik steckt die Erkenntnis, dass Trump sich im rechtlichen Rahmen bewegt, Washington D.C. keine Eigenstaatlichkeit besitzt und der Präsident die Polizei des Distrikts für begrenzte Zeit unter Bundesbefehl stellen darf. Dass er offen mit einer Verlängerung spielt, macht jedoch deutlich, dass hier mehr als nur ein Sicherheitseinsatz auf Zeit im Gange ist.

In den Straßen vibriert die Spannung weiter. Die einen sehen in den Patrouillen und Kontrollen den Beweis, dass ihre Stadt „zurückerobert“ wird, von was auch immer in der MAGA-Wahnwelt. Die anderen sehen darin den Beginn einer gefährlichen Entwicklung, in der föderale Macht missbraucht wird, um politische Stärke zu demonstrieren. In dieser aufgeladenen Atmosphäre liegt die Verantwortung nun nicht nur bei den Entscheidungsträgern, sondern auch bei den Bewohnern selbst. Ruhe zu bewahren – so schwer es fällt – ist in diesen Tagen keine passive Haltung, sondern ein Akt politischer Klugheit. Denn die Grenze zwischen einer Stadt unter Kontrolle und einer Stadt im Chaos ist in Washington dieser Tage so schmal wie selten zuvor – und niemand darf sich dazu hinreißen lassen, den Schritt zu gehen, den Trump herbeizwingen will: den Weg in die Gewalt.
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Eine Stadt in Angst und Schrecken zu versetzen, hat nichts damit zu tun, Kriminalität zu bekämpfen, sondern die Freiheit der Bewohner einzuschränken und einen Zustand der Willkür zu erreichen. Trump hat jedes Maß verloren. Ob die Bürgermeisterin vom Parlament Unterstützung bekommt, wage ich zu bezweifeln.
welche kriminalität? die war so unten wie nie
Deutschland 1933
Mit Notstandsgesetzen die Macht übernehmen.
Leider hat DC keine rechtliche Handhabe.
Aber die Bürgermeisterin ist sowas von eingeknickt.
Warum hat sie es nicht bei ihrem ersten Statement belassen?
Warum musste sie jetzt quasi Trump „recht geben“ mit den Worten „dass mehr Präsenz und Waffenfunde“ für mehr Sicherheit Sorgen.
Ich lache mich gerade tot …. Waffenfunde… im Land der großen Waffenlobby wo fast jeder eine Waffen haben kann, dank der MAGA und das Pochen auf den 2. Verfassungszusatz.
Und noch was absurdly aus MAGA Kreisen: Die Anfrage für zu mietende Demonstraten in DC sei auf 400% gestiegen.
Auf meine Frage, wer da denn wem und wieviel bezahlt, kam natürlich nur schweigen.
Due Taktik der unbelegten Behauptungen.
Trump wird es eskalieren lassen.
Einfach damit er alles per Notstandsgesetz platt machen kann, was ihm nicht passt.
Er wird sicher Helfer haben, die als Zivilisten (angebliche Demokraten oder Antifa) zündeln bis es peng macht.
BTW die Nationalgarde konnte er am 6. Januar warum nicht aktivieren?
Kein Notstand?
…einfach ruhig bleiben, keine gewalt, so muss man sich trump stellen
Nur fürchte ich, dass Trumps Leute für Krawall Sorgen. Die dann zwar medienwirksam fest genommen werden, aber durch die Hintertür gehen können.
Während National Guard, Militär und Polizei komplett due Kontrolle übernehmen
Also unterm Strich lachend in die Kreissäge laufen. Aber mit Bedacht.
…vollkommen richtig
Ein weiterer Kipppunkt. Und bei selbst herbeiphantasiertem und lautstark verkündeten „Erfolg“, droht dann nicht die Skalierung und dadurch Eskalierung auf weitere Orte und Gebiete?
zuerst muss washington cool bleiben, und chicago ist stark gefährdet
😡