Trumps ICE-Fiasko: Wenn der Staat seine eigenen Retter opfert

VonRainer Hofmann

August 10, 2025

Die E-Mail erreichte die FEMA-Mitarbeiter am späten Dienstagabend. Management Directed Reassignment Effective August 5, 2025 – ein Betreff, der Karrieren beendete und Leben umkrempelte. Sara Birchenough, eine Personaldirektorin, deren Name normalerweise in den Akten verschwinden würde, verschickte das Ultimatum: Sieben Tage Zeit, um zu ICE zu wechseln oder den Job zu verlieren. Keine Diskussion, keine Alternative. Die Betroffenen waren sorgfältig ausgewählt worden. Mitarbeiter in der Probezeit, Menschen mit weniger als einem Jahr Betriebszugehörigkeit, deren arbeitsrechtlicher Schutz minimal war. Sie hatten bereits eine absurde Odyssee hinter sich: Zu Beginn von Trumps zweiter Amtszeit entlassen, nach Gerichtsurteil wieder eingestellt, monatelang in bezahlter Freistellung geparkt. Teil jener 100.000 Bundesangestellten, die Gehälter bezogen, ohne arbeiten zu dürfen – ein bürokratisches Niemandsland, das nun sein Ende fand. FEMA hatte bereits 2.000 Mitarbeiter seit Trumps Amtsantritt verloren. Die Behörde, die Amerikaner vor Naturkatastrophen schützen soll, wurde systematisch zerstört. Gleichzeitig schwamm ICE in Geld – 75 Milliarden Dollar über vier Jahre, ein Budget, das die Militärausgaben der meisten Länder übertrifft. Doch all diese Milliarden konnten nicht lösen, was ICE am dringendsten brauchte: Menschen, die den Job machen wollten.

Die Angebote wurden immer verzweifelter. Fünfzigtausend Dollar Signing-Bonus. Sechzigtausend Dollar Studienkreditrückzahlung. Die Wiedereinstellung von Rentnern. Die Aufhebung von Altersgrenzen. Nichts funktionierte. Die Agentur, die täglich 3.000 Menschen deportieren sollte, fand niemanden, der diese Arbeit übernehmen wollte. Die Verzweiflung zeigt sich in den immer großzügigeren Anreizen, die ICE potenziellen Rekruten bietet. Die Agentur hat Einstellungsboni von bis zu 50.000 Dollar als Teil eines Programms angeboten, um kürzlich pensionierte Mitarbeiter zurückzulocken. Sie hat Studienkredit-Vergebung und großzügige Rückzahlungspläne für neue Rekruten in Aussicht gestellt Parallel dazu spielte sich in Floridas Sheriffbüros ein weiteres Drama ab. Madison Sheahan, ICEs stellvertretender Direktor, hatte eine E-Mail an Tausende lokale Deputys verschickt. Diese Beamten waren durch das 287(g)-Programm geschult worden, eine Partnerschaft zwischen lokalen Behörden und ICE. Sheahan nutzte die E-Mail-Adressen, die für Schulungszwecke erhoben worden waren, um die Deputys direkt abzuwerben. Der Brief sprach von kritischen Zeiten für die Nation, von einzigartiger Verantwortung, von dringend benötigten Fähigkeiten. Die Reaktion war heftig. Grady Judd, Sheriff von Polk County und eigentlich Trump-Unterstützer, war außer sich. Seine Deputys waren auf Kosten des Counties ausgebildet worden, und nun versuchte ICE, sie abzuwerben. „Das beißt die Hand, die einen füttert“, sagte er. Andere Sheriffs wurden noch deutlicher: „Wie den Fuchs in den Hühnerstall lassen“, beschrieb es der Sheriff von Brevard County. „Jemand hat das Feuer am anderen Ende angezündet“, meinte der Sheriff von Bradford County.

Zwei örtliche Sheriffs gehören zu einer wachsenden Zahl von Polizeichefs, die ihre Frustration über die Einwanderungs- und Zollbehörde zum Ausdruck bringen. Sie sagen, die Bundesbehörde versuche, ihre Stellvertreter anzuwerben – und ihnen gefalle die Vorgehensweise dabei nicht. Sheriffs von Escambia, links und Santa Rosa, rechts verärgert über ICEs Rekrutierungstaktiken.

Jonathan Thompson von der National Sheriffs‘ Association nannte es unangemessenes Verhalten einer Partnerorganisation. Die Sheriffs, die ICE als Kraftmultiplikatoren unterstützt hatten, fühlten sich verraten. Einige forderten öffentliche Entschuldigungen. Judd verlangte, Heimatschutzministerin Kristi Noem solle „ihre großen Mädchenhosen anziehen und das Richtige tun“. Manche erhielten tatsächlich Entschuldigungen – das Sheriffbüro in Forsyth County bekam eine vom ICE-Büro Atlanta. Die Timing dieser Aktionen hätte schlechter nicht sein können. Nur Wochen zuvor hatte Texas die verheerendsten Überschwemmungen seit Jahren erlebt. Über 120 Menschen starben in den Fluten des Guadalupe River, darunter 35 Kinder. FEMA konnte nur ein Drittel der Hilferufe beantworten. Die Katastrophenhilfe-Hotline war überfordert, Personal fehlte an allen Ecken. Während Menschen um Hilfe riefen, wurde FEMAs Personal zu ICE versetzt.

Die Zahlen erzählen die Geschichte eines systematischen Versagens. ICE hatte ein Budget erhalten, das jede Vorstellung sprengte, konnte aber keine 10.000 neuen Agenten rekrutieren. Die Agentur versuchte alles: Rekrutierung an Colleges, in Großstädten, auf Jobmessen. Dean Cain, ein vergessener TV-Schauspieler, warb in peinlichen Videos für ICE. „Hilf Amerika retten“, sagte er, der Mann, der einst einen illegalen Außerirdischen namens Superman spielte. Die Realität auf der Straße sah anders aus. ICE-Agenten beklagten sich über unmögliche Quoten. Sie verhafteten Gärtner und Hausmeister, Menschen ohne Vorstrafen. Weit über zwei Drittel der Festgenommenen hatten keine kriminelle Vergangenheit. Die Agenten fragten sich, warum sie ihre Zeit damit verbrachten, arbeitende Menschen zu jagen, statt echte Kriminelle. Die Zwangsversetzung der FEMA-Mitarbeiter war nur ein Symptom einer größeren Krise. Das Department of Homeland Security erklärte, die Versetzungen seien temporär, nur für 90 Tage, um bei Einstellungen und Überprüfungen zu helfen. Aber die Betroffenen hatten keine Erfahrung mit Einwanderungsdurchsetzung. Viele waren für spezifische Aufgaben bei FEMA ausgebildet worden, die nichts mit ICEs Mission zu tun hatten.

Dean Cain – Ein ganz peinlicher Vogel

Die rechtlichen Fragen waren komplex. Einige der versetzten Mitarbeiter wurden durch den Disaster Relief Fund finanziert, was bestimmte Einschränkungen mit sich brachte. Bundesrecht erlaubte ihnen, bis zu 90 Tage nicht-katastrophenbezogene Arbeit zu leisten, aber nur zu Trainingszwecken. Die Arbeit bei ICE fiel nicht darunter. Trump hatte versprochen, FEMA abzuschaffen oder grundlegend umzustrukturieren. „FEMA ist langsam und schwerfällig“, hatte er gesagt. Die Bundesstaaten sollten mehr Verantwortung übernehmen. Doch als Texas Hilfe brauchte, war es FEMA, die reagieren musste – mit halbiertem Personal und bürokratischen Hürden, die Noem persönlich auferlegt hatte. Sie bestand darauf, jeden Vertrag über 100.000 Dollar persönlich zu genehmigen, was die Hilfe weiter verzögerte.

Kristi Noem, wir nennen sie gerne „ICE Barbie“, in ihrer Funktion als US-Heimatschutzministerin, posiert vor Gefangenen im CECOT

Die Sheriffs in Florida und anderen Bundesstaaten begannen, ihre Zusammenarbeit mit ICE zu überdenken. Einige drohten, aus dem 287(g)-Programm auszusteigen. Die Partnerschaft, die ICE stärken sollte, zerbrach unter dem Druck der eigenen Gier nach Personal. Ron DeSantis, Floridas Gouverneur, kritisierte öffentlich ICEs Vorgehen. Die Sheriffs sollten ihre Behörden verteidigen, sagte er, und für das kämpfen, was richtig sei. Die Geschichte wiederholt sich mit tragischer Regelmäßigkeit. Eine Administration, die Amerika angeblich sicherer machen will, schwächt systematisch die Institutionen, die Amerikaner schützen. FEMA wird ausgehöhlt, während Hurrikansaison beginnt. Lokale Partnerschaften werden zerstört, um eine Behörde zu stärken, die trotz unbegrenzter Ressourcen nicht funktioniert. Die E-Mail vom Dienstagabend war mehr als eine Personalentscheidung. Sie war ein Eingeständnis des Scheiterns. ICE, mit seinem aufgeblähten Budget und seinen unmöglichen Zielen, musste andere Behörden plündern, um zu überleben. Die Deportationsmaschinerie, die Trump versprochen hatte, fraß ihre eigenen Fundamente auf.

Die FEMA-Mitarbeiter standen vor einer unmöglichen Wahl. Die Sheriffs fühlten sich betrogen. Die Texaner, die in den Fluten starben, wurden zu Kollateralschäden einer Politik, die Prioritäten auf den Kopf stellte. Während die Administration von der größten Deportationskampagne der Geschichte träumte, zerfiel die Infrastruktur, die Amerika funktionsfähig hielt. Das Versprechen, Amerika zu schützen, verkehrte sich in sein Gegenteil. Statt Sicherheit kam Chaos. Statt Stärke kam Verzweiflung. Statt Ordnung kam der verzweifelte Versuch, mit Zwang und Drohungen zu erreichen, was mit Überzeugung nicht gelang. Die Rechnung zahlen am Ende die Amerikaner – mit weniger Katastrophenschutz, zerrütteten lokalen Partnerschaften und einer Einwanderungsbehörde, die trotz aller Milliarden nicht liefern kann, was sie verspricht.

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Josef Sanft
Josef Sanft
2 Monate zuvor

Danke für eure Arbeit, es ist wichtig, solche Themen zu recherchieren und zu veröffentlichen. Das geschieht medial viel zu selten und macht es um so wertvoller.

Ela Gatto
Ela Gatto
2 Monate zuvor

Und trotzdem gibt es.B. aus Texas kaum Kritik.
Stattdessen die bewährte Taktik.
Angriff und Verunglimpfung (der Demokraten).
Weil sie aus dem Stast gegangen sind um das Gerrymandering zu verhindern.

Böse Demokraten, sie verhindern damit die Abstimmung über Flutopferhilfen.
Was natürlich verschwiegen wird ist, dass die Demokraten erst eine Abstimmung über die Hilfen wollten, was die Republikaner vehement ablehnten.
Machterhalt vor Hilfe für die eigene Bevölkerung.

Ein wenig Hoffnung gibt es, dass ICE unter Personalmangel leidet.
Aber wo sind die tausenden Proud Boys etc?
Ist denen das zu Regierungsnah.

Lustig auch, wie diesbezüglich ständig falsche Infos gestreut werden (von rechten Seiten).
Das für 10.000 ICE Stellen mehr als 80.000 Bewerber kommen.

Euer sorgfältiger Bericht spricht eine ehrlich und andere Sprache.

Habt Ihr mitbekommen, dass die Micusukee Native sich gegen Alligator Alcatraz wehren wollen?

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